J. Marko u.a. (Hrsg.): Staat und Religion

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Titel
Staat und Religion. 9. Fakultätstag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz


Herausgeber
Marko, Joseph; Wolfgang, Schleifer
Erschienen
Graz 2014: Leykam
Anzahl Seiten
305 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Christian Reber

Dass sich gesellschaftlich geführten Debatten nicht regional eingrenzen lassen, sondern sich in diversen Ländern und auch international ähnlich präsentieren, belegt der 2014 erschienene Sammelband des 9. Fakultätstages der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz. Denn trotz – oder vielmehr gerade wegen – der Pluralisierung der Gesellschaft, der Migrationsbewegungen der letzten Jahrzehnte und diverser geostrategischer Konflikte rücken in gesamtgesellschaftlichen Fragestellungen auch religiöse Aspekte und Problemfelder (wieder) in den Blick der öffentlichen und politischen Wahrnehmung. Damit ergeben sich Verhältnisse, die rechtlicher Regelung bedürfen. Wie der Mitherausgeber des Bandes Joseph Marko in einem seiner Schlussergebnisse festhält, seien die historisch und länderspezifisch sehr verschieden gewachsenen Verhältnisse zwischen Staat und Religionsgemeinschaften heute im Umbruch begriffen. Hiermit einhergehend, seien das juristische Personal und die juristischen Hochschulfakultäten zum Nachdenken über begriffliche Grundlagen und damit über das Verhältnis von «Staat», «Kirche» und «Religion» neu herausfordert (vgl. Marko, S. 288).

In den auf Deutsch und Englisch verfassten Beiträgen geht es letzten Endes um Fragen, die die Gesamtgesellschaft angehen und die die untrennbare Verflechtung von Staat, Religion, Politik, Geschichte und Recht aufzeigen: Welche (modernen) Familienkonzepte finden sich im Familienrecht und in den diversen Religionen und wie lassen sich diese umsetzen? Inwieweit ist die Anwendung religiösen Rechts durch säkulare Gerichte erlaubt? Wann kippt Meinungsfreiheit in Blasphemie um? Wie steht es mit der Religionsfreiheit einzelner Menschen im Strafrecht? Wie geht der Staat – aus rechtsgeschichtlicher Per¬spektive – mit Macht und Religion um? Und umgekehrt: Wie steht die Religion zur Macht und zum säkularen Recht einzelner Staaten und der Europäischen Union? Welchen Umfang hat das Recht auf Religionsfreiheit im internationalen Recht? Welche Berührungspunkte bestehen zwischen dem Arbeitsrecht und der individuell¬en Religionsausübung?

So umfangreich sich die Themenwahl präsentiert, so verschieden zeigen sich in den jeweiligen Beiträgen die Blickwinkel und Zugangswege der Autorinnen und Autoren. Dass der Sammelband ein Tagungsergebnis ist, zeigt sich bereits mit der Einteilung des Bandes und mit Blick auf das Inhaltsverzeichnis. Der klassischen Dreiteilung, der Einführung ins Thema (Teil I: «Plenarveranstaltung»), der Abhandlung der Themen in einem Hauptteil (Teil II: «Arbeitskreise») und einer Zusammenfassung (Teil III: «Arbeitskreisergebnisse») schliesst sich ein Anhang (Teil IV) mit der Programmübersicht, den Arbeitsprogrammen und der Teilnehmerliste der Tagung an.

In Teil II – der mit Abstand den grössten Raum einnimmt – werden die unterschiedlichsten Themen aufgegriffen, die eine gehörige Spannbreite der aktuellen religionsrechtlichen und -politischen Diskussion in Österreich und in ausgewählten Ländern beinhalten. Die damit zusammenhängenden Problematiken, die sich sowohl für die Rechtsordnung eines Staates wie auch für einzelne Religionsgemeinschaften ergeben, werden aufgezeigt. Die einzelnen Beiträge sind in übergeordnete Themenkapitel zusammengefasst. Jedoch stehen einzelne, durchaus interessante und lesenswerte Arbeiten, im Gesamtaufbau des Bandes für sich und scheinen, besonders für Leser, die nicht an der Tagung teilgenommen haben, ohne erkennbaren Bezug zu den vorangehenden oder nachfolgenden Beiträgen. Das Verständnis der Beiträge ist abhängig vom Zugang, dem Schreibstil und der verwendeten (Fach-)Sprache der jeweiligen Autorinnen und Autoren. Dementsprechend leicht oder eben schwer fällt es der Leserin oder dem Leser, den zum Teil dichten Ausführungen der Autorenschaft zu folgen. Währendem sich gewisse Aufsätze flüssig und flott lesen lassen, wird ein Publikum, das sich nicht gewöhnt ist (rechts-)wissenschaftliche Arbeiten zu lesen, bei manchen Textabschnitten, Fachausdrücken und juristischen Abkürzungen wohl entsprechend Mühe bekunden. Zu bemängeln ist weiter, dass auf biographische Angaben zu den neun Autorinnen und neunundzwanzig Autoren verzichtet worden ist; wären doch entsprechende Kurzangaben über den Lebensverlauf eine Hilfestellung, um die persönlichen und oftmals individuell geprägten Ausgangspunkte und Denkweisen besser zu verstehen.

Die sieben Zusammenfassungen zu den einzelnen Beiträgen und Diskussionen im Teil III fallen, wie auch die Geleitworte und die fünf Einführungsbeiträge, gelungen aus und eignen sich sowohl als Übersicht vor dem eigentlichen Lesen wie auch als Gedankenstütze und Resümee nach der Lektüre. Allgemein lässt der Sammelband der Leserin und dem Leser offen, ob die Beiträge nach persönlicher Neigung und Interesse einzeln gelesen werden oder im Zusammenhang des Gesamtwerks.

Auch wenn einzelne Aufsätze Themen aus dem Ausland aufgreifen, liegt es in der Natur der Sache, dass bei dem Band, der auf eine Tagung an der Universität Graz zurückgeht, der Fokus der Beiträge primär auf den österreichischen Raum gelegt ist. Juristische (Einzel-)Fälle lassen sich deshalb nur schwerlich auf andere länderspezifische Kontexte übertragen. Nichtsdestotrotz sind die Fragestellungen – zumindest was den westeuropäischen Kontext anbelangt – aus struktureller Sicht länderübergreifend, auch wenn die Problemlagen und (rechtlichen) Antwortversuche partikular sind. Ein Blick über die eigenen (Landes-)Grenzen hinweg lohnt sich also immer. Im Speziellen wurden die Debatten zum Thema Religionsausübung und Arbeitsrecht bisher in der Schweiz (ausser im Bereich des Lehrerpersonals) nicht in grösserem Umfang geführt. Doch ist anzunehmen, dass sich arbeitsrechtliche Fragen, besonders zu den Thematiken der Sonderregelung und der Nichtdiskriminierung (gerade wenn religiöse Gemeinschaften als Arbeitgeber auftreten), mit der Zunahme des religiösen Pluralismus, der globalisierten Migrationsbewegungen und den damit steigenden Ansprüchen an den Arbeitsmarkt und Arbeitsstandort Westeuropa mittelfristig wohl vermehrt stellen werden. Hierzu und noch zu ganz anderen mannigfaltigen Themen werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Theologie, Islam- und Religionswissenschaft sowie Jurisprudenz in Zukunft vermehrt von der Politik und den Medien als Sachverständige angefragt werden. Entsprechend wird die Erwartungshaltung sein, dass sie zu diesen gesamtgesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Themenfeldern über religions- und staatsrechtliche Sachverhalte, Binnenperspektiven und Berührungspunkte Auskunft zu geben haben.

Wer sich also für aktuelle Zusammenhänge und Fragestellungen sowie für geschichtliche Zugänge an der Schnittstelle von Staat, Religion, Politik und Recht interessiert, wer sich für die anstehenden Diskussionen in näherer Zukunft wappnen will – und wer (bei Nichtkenntnis) über vereinzelte juristische Fachausdrücke und Abkürzungen hinwegzulesen vermag – dem sei das Buch sehr empfohlen.

Zitierweise:
Christian Reber: Rezension zu: Joseph Marko/Wolfgang Schleifer (Hg.), Staat und Religion. 9. Fakultätstag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz, Graz, Leykam-Verlag, 2014. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions und Kulturgeschichte, Vol. 109, 2015, S. 482-484.

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