P. von Moos: Heiden im Himmel?

Titel
Heiden im Himmel?. Geschichte einer Aporie zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit


Autor(en)
von Moos, Peter
Reihe
Schriften der philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 54
Erschienen
Heidelberg 2014: Universitätsverlag Winter
Anzahl Seiten
261 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Enrico Natale, Infoclio.ch Fachportal für Geschichtewissenschaft in der Schweiz, Schweizeriche Academie für Geistes- und Sozialwissentschaft.

Das vorliegende bescheidene Bändchen aus der Feder von Peter von Moos, Professor für Mittellateinische Philologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster 1969–1994, bewältigt ein sehr schwieriges Thema sehr souverän und anschaulich, nicht zuletzt, weil weitergehende Gedanken und Ausführungen klug in den Anmerkungen abgehandelt werden. Für die Gelehrten des Mittelalters war es ein grosses Problem, dass sie sich auf Autoritäten beriefen, bei denen sie nicht sicher sein konnten, dass sie, trotz aller intellektuellen Verdienste, auch im Himmel waren. Dies gilt insbesondere für Aristoteles, der für die hoch- und spätmittelalterliche Scholastik einfach unentbehrlich war, den man aber mit dem besten Willen nicht zu einem Christen machen konnte, weil er im vierten vorchristlichen Jahrhundert gelebt hatte. Damit hatte er aber noch Glück, denn «Denker, Dichter und Heiden der heidnischen Antike geniessen im ‹humanistischen› Diskurs des Mittelalters eine erstaunliche Hochschätzung. Heiden der eigenen Gegenwart hingegen finden sich in anderen, meist polemischen Diskursen als ausgegrenzte Feinde der christlichen Religion». Die scholastische Quaestionenliteratur bildete einen eigenen Zweig zur Frage heraus, ob «die Völker des Erdkreises zu allen Zeiten das Heil des ewigen Seelenheils erlangen konnten» (1). Je nach positiver oder negativer Antwort wurde der Ausschliesslichkeitsanspruch der Kirche gemildert oder verschärft. Nach einem Überblick über die Forschung kommt der Autor auf die Quaestio de salvatione Aristotelis zu sprechen, eine Schrift, die lediglich in einer um 1500 zu datierenden Inkunabel und in einer davon abgeschriebenen Handschrift überliefert ist. Ihr Autor ist der Weltkleriker Lambert de Monte (oder von Heerenberg), in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts Professor für Philosophie und Theologie an der Universität Köln und dreimal Dekan der theologischen Fakultät, der neben Paris und Löwen wichtigsten päpstlich anerkannten Zensur- bzw. Approbationsbehörde für Rechtgläubigkeit, war. Als solcher verfasste er 1487 ein ausschlaggebendes Gutachten über den «Hexenhammer», dem er «nach eingehender Lektüre Irrtumsfreiheit und Nützlichkeit für die Ausrottung der Hexen [...] attestierte» (13), wahrscheinlich weil das Werk thomistisch ausgerichtet war.

Die Frage nach dem Seelenheil des Aristoteles scheint Lambert schon lange be-schäftigt zu haben; jedenfalls werden ihm oder seiner Schule zwei weitere anonyme Werke ähnlicher Tendenz zugeschrieben, nämlich ein in leoninischen Metren verfasstes Gedicht De vita et morte Aristotelis und eine weitere Quaestio: Utrum Aristoteles fuit haereticus? Das Werk eines Philosophen konnte nur akzeptiert werden, wenn dieser auch ein gutes Leben geführt hatte, wenn möglich ein christliches Leben avant la lettre. Für die moderne Aristotelesforschung steht fest, «dass kaum ein antiker Philosoph den christlichen Dogmen ferner steht und sich für die Verchristlichung weniger eignet als Aristoteles» (23). Das Mittelalter kam hier, trotz heftiger Kontroversen, zur gegenteiligen Ansicht, ja, das oben angesprochene Gedicht De vita et morte Aristotelis gelangt sogar zum Schluss, dass Aristoteles ein hervorragender Ketzerbekämpfer und Inquisitor geworden wäre… Die Quaestio de salvatione Aristotelis kann als «Meisterstück spätscholastischer Argumentationskunst» gelten, «trotz oder vielmehr gerade wegen einer uns oft befremdenden, extrem ausgeklügelten Beweisführung» (27). Sie fragt nicht nur nach dem Seelenheil des Aristoteles, sondern nach demjenigen aller Heiden, auch derjenigen, die nach der Ankunft Christi lebten. Das Werk ist wohl als Reaktion auf eine vom 14. zum 16. Jahrhundert zunehmende fideistischbiblizistische Tendenz vornehmlich franziskanischer Prägung zu verstehen, «die philosophisches Gedankengut innerhalb der Theologie zu diskriminieren suchte, und damit in mancher Hinsicht die reformatorische Kritik der Neuzeit vorwegnahm» (34). Entsprechend fand Lamberts Quaestio in der frühen Neuzeit mehr Gefallen bei den Katholiken als bei den Protestanten. Der Humanist Heinrich Glarean, der wenige Jahre nach Lamberts Tod (1499) in Köln studierte und später die Reformation entschieden ablehnte, übersandte die Inkunabel nach 1511 seinem Freund, dem späteren Zürcher Reformator Huldrych Zwingli, von dem wir nicht wissen, wie er darauf reagierte. Immerhin waren für ihn Sokrates und Seneca ‹viel heiliger› als jemals ‹Franziskaner und Dominikaner›.

Auf diese Einführung folgt ein subtiler Kommentar zum Werk selber, das in der Folge von Philipp Roelli nach allen Regeln der Kunst herausgegeben wird. Das Buch ist Prof. Ruedi Imbach gewidmet, der Lamberts Schrift entdeckt hat und der ein Spezialist für Aporien wie die vorliegende ist.

Zitierweise:
Kathrin Utz Tremp: Rezension zu: Peter von Moos, Heiden im Himmel? Geschichte einer Aporie zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit. Mit kritischer Edition der Quaestio de salvatione Aristotelis des Lambertus de Monte (um 1500) von Philipp Roelli (=Schriften der philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 54), Heidelberg, Universitätsverlag Winter, 2014. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions und Kulturgeschichte, Vol. 108, 2014, S. 495-496.

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