Von Narren und istelfinken. Die Geschichte der Gesellschaft zum Distelzw

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Titel
Von Narren und Distelfinken. Die Geschichte der Gesellschaft zum Distelzwang


Herausgeber
Gesellschaft zum Distelzwang Bern
Erschienen
Bern 2015: Stämpfli Verlag
Anzahl Seiten
168 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Emil Erne

Die Geschichtsschreibung zur Berner Burgerschaft hat Konjunktur. Vor der kürzlich erschienenen, monumentalen Geschichte der Burgergemeinde Bern haben in den letzten Jahren Daniel Schläppi, Hans Braun, Katrin Rieder und weitere Historiker und Historikerinnen Burgertum, burgerliche Körperschaften und Familien mit zeitgemässen Fragestellungen untersucht und eingehend dargestellt. Nun legt ein hochkarätiges Team unter der Ägide von alt Burgerrat Karl Wälchli die Geschichte der Gesellschaft zum Distelzwang vor. Wie Annelies Hüssy, amtierende Präsidentin, einleitend betont, handelt es sich um ein Gemeinschaftswerk von Gesellschaftsangehörigen und Aussenstehenden. Da infolge vornehmer Zurückhaltung Personenangaben fehlen, vermag allerdings der Nichteingeweihte die drei Autorinnen und acht Autoren nicht ohne Weiteres den beiden Gruppen zuzuordnen (vgl. dazu S. 98). Die seit 1865 zum ersten Mal neu erforschte Geschichte über die «uralte adelige wohlgeehrte Gesellschaft zum Narren und Distelzwang» (S. 47) – wie die barocke Titulatur lautete – beginnt mit einem gerafften Überblick der beiden alt Staatsarchivare Karl Wälchli und Peter Martig über die Entwicklung von den frühesten schriftlichen Quellen um 1390 bis zur offenen Gesellschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts; standesgemäss folgt der Text über die «Abbaye des Gentilshommes» auch in Französisch. Die umfangreichsten Beiträge stammen vom externen freischaffenden Winterthurer Historiker Peter Niederhäuser über die Geschichte der Gesellschaft vom Mittelalter bis zum Ende des Ancien Régime und von Peter Martig über die Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert. In kürzeren Kapiteln befassen sich der frühere Präsident Alain Moilliet mit dem Gesellschaftsleben am Übergang vom 20. ins 21. Jahrhundert (Grosses Bott, Anlässe, zukünftige Herausforderungen), der Seckelmeister Elias Köchli mit den Finanzen im ganzen Zeitraum und der Architekturhistoriker Christoph Schläppi mit dem Haus zum Distelzwang an der Gerechtigkeitsgasse 79, an dessen Lage in der ehemaligen Stadtmitte und dessen Funktion als Landgerichtshalle und Freistatt in der Zeit vor 1798 die Bedeutung der Gesellschaft als Stube der Vornehmen und Einflussreichen ablesbar ist. Beschlossen wird der Band durch eine kurze Abhandlung des versierten Heraldikers Berchtold Weber über das Wappen der Gesellschaft. In den ganzen Text eingestreut sind Kästchen zu ausgewählten Themen und zu prominenten Gesellschaftsangehörigen wie Diebold Schilling, Hieronymus von Erlach, Friedrich Traugott Wahlen und Maja Beutler, verfasst von den genannten Autoren sowie von Projektleiterin Stéphanie von Erlach, die auch die Redaktion besorgt hat, und die Almosnerin Marina Zeller. Niederhäuser bettet, gestützt auf die Forschungen von François de Capitani und Roland Gerber, die Gesellschaftsgeschichte immer wieder in grössere Zusammenhänge ein. Die einzige Gesellschaft Berns, die nicht auf eine Handwerkerverbindung zurückgeht, sondern aus den beiden Vereinigungen «zum Narren» und «zum Distelzwang» (Distelfink) hervorgegangen ist, umfasste als «Netzwerk der Mächtigen» (S. 32) alles, was Rang und Namen hatte. Nach der Einführung der Reformation verlor sie die geistlichen Mitglieder und wandelte sich zur stark verwandtschaftlich geprägten Gesellschaft politisch und militärisch einflussreicher Geschlechter. 1567 erschienen in den Stubenrödeln erstmals Frauen. Ab dem 17. Jahrhundert gehörte die Fürsorge zugunsten von Witwen und Waisen zu den wichtigsten Aufgaben. Nach dem Umbruch von 1798 litt der Distelzwang stärker als andere Gesellschaften und wehrte sich vergeblich gegen die liberale Neuordnung um 1830, welche die Zünfte auf das Vormundschafts- und Armenwesen beschränkte. Martig behandelt die Rolle des Distelzwangs in den hauptsächlichen Entwicklungen und Ereignissen in Kanton, Stadt und Burgergemeinde Bern im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts. Niederlagen und Verluste reihten sich zunächst aneinander bis hin zum Existenzkampf der Burgergemeinde im Rahmen der Verfassungsrevision von 1885. Erleichterte Burgeraufnahmen und verstärktes kulturelles Engagement für die Allgemeinheit stabilisierten ihre Stellung. Zwischen Tradition und Erneuerung verlief die weitere Gesellschaftsgeschichte, wobei die Beteiligung an festlichen Umzügen zu den Höhepunkten gehörte (1891, 1914, 1939, 1953, 1991). Unerfreulich, aber nur von kurzer Dauer war die Affinität zu frontistischen Aktivitäten. Die Öffnung nach dem Zweiten Weltkrieg versetzte die Patrizier und Altburger in die Minderheit, und ab 1974 zogen die Frauen in die leitenden Gremien der Burgergemeinde und der burgerlichen Korporationen ein.

Der handliche Band im A4-Format ist reich illustriert und attraktiv gestaltet. Die Beiträge basieren – wie von den ausgewiesenen Autorinnen und Autoren nicht anders zu erwarten – auf dem aktuellen Forschungsstand. Mit dem gut lesbaren Stil und den vielfältigen Bezügen zur allgemeinen Stadtgeschichte Berns vermag das Buch auch Nichtburger zu interessieren.

Zitierweise:
Emil Erne: Rezension zu: Gesellschaft zum Distelzwang Bern (Hrsg.): Von Narren und Distelfinken. Die Geschichte der Gesellschaft zum Distelzwang. Bern: Stämpfli 2015. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 78 Nr. 1, 2016, S. 121-123.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 78 Nr. 1, 2016, S. 121-123.

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