R. Schlott: Papsttod und Weltöffentlichkeit

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Titel
Papsttod und Weltöffentlichkeit seit 1878. Die Medialisierung eines Rituals.


Autor(en)
Schlott, René
Erschienen
Paderborn 2013: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
269 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Urs Altermatt

Als Papst Benedikt XVI. am 11. Februar 2013 erklärte, dass er zum 28. Februar desselben Jahres um 20 Uhr von seinem Amt als Papst zurücktreten werde, konnte das ritualisierte Verfahren vom Ableben eines Papstes bis zur Wahl seines Nachfolgers natürlich nicht durchgeführt werden. Es bleibt auch abzuwarten, wie der Vatikan reagieren wird, sollte der nunmehr emeritierte Pontifex sterben. Gleichwohl ist der Vorgang den meisten Zeitgenossen noch durch den Tod Johannes Pauls II. in bleibender Erinnerung. René Schlott hat nun in der «blauen Reihe» der Kommission für Zeitgeschichte auf Grundlage seiner 2011 in Gießen eingereichten Dissertation – die Arbeit entstand am Gießener Graduiertenkolleg «Transnationale Medienereignisse von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart» – die Geschichte der Papsttode zwischen 1878, dem Tod Pius‘ IX., und 1978, dem Ableben Johannes Pauls I., auf innovative Art aufgearbeitet.

Dies geschieht auf der Basis einer luziden und durchdachten theoretischen und methodischen Grundlage, die die Impulse der Mediengeschichte auf überzeugende Art und Weise aufgreift. Das Ritual um den Papsttod wird als «medialisiertes Ereignis » (Vgl. Frank Bösch/Patrick Schmidt, Medialisierte Ereignisse. Performanz, Inszenierung und Medien seit dem 18. Jahrhundert, Frankfurt a. M./New York 2010) verstanden und von den historischen Veränderungen der Medienlandschaft in besonderer Weise beeinflusst, so könnte man zumindest ein Ergebnis dieser gelungenen Studie vorwegnehmen. Im Anschluss an Arnold van Genneps «Rites de passage» definiert er den Papstwechsel als ein Umbruchereignis mit einem Drei-Phasen-Ablauf, welcher sich in die drei Abschnitte Papsttod, Konklave und Papsteinsetzung gliedern lasse, mit Zeremonien und Riten, die sich auf die einzelnen Abschnitte bezögen. Schlott verbindet dies mit einem ebenfalls drei Elemente umfassenden Ritualkonzept. Das Primärritual bestehe in den Sedisvakanzzeremonien als solche. Diese erführen eine sekundäre Ritualisierung durch die Medien und schließlich eine tertiäre Ritualisierung durch die Rezipienten. Gleichwohl macht Schlott deutlich, dass nur der Papstwechsel «als Ganzes [...] verändernd und transformativ» (20) wirke.

Im Medienereignis Papsttod, so Schlott weiter, seien die althergebrachten Rituale durch die Medien einer Öffnung und Veränderung unterzogen worden. Zum Teil hätten die Medien selbst Rituale erfunden, bzw. wären eine Symbiose mit den traditionellen Ritualen eingegangen. Zuletzt dürfe auch die Anpassungsfähigkeit des Vatikans an die Medienlogiken nicht unterschätzt werden. (Gerade zum letzten Punkt vgl. Klaus Große Kracht, Presse und Kanzel. Päpstliches Medienverständnis und katholische Publizistik in Deutschland [1920er–1970er Jahre], in: Ute Daniel/Axel Schildt [Hg.], Massenmedien im Europa des 20. Jahrhunderts, Köln/Weimar/Wien 2010, 331–356.) Die Quellenbasis der Dissertation ist beeindruckend, mehr als 30 Zeitungen aus drei Ländern wurden berücksichtigt, dazu die vatikanischen Veröffentlichungen ebenso wie eine ganze Reihe von archivalischen Beständen. Allerdings wird nicht ganz klar, ob man von der Auswahl der Länder (Deutschland, Frankreich, Großbritannien) wirklich Schlussfolgerungen auf die Weltöffentlichkeit ziehen kann, wie es der Titel der Monografie induziert.

Im ersten inhaltlichen Kapitel konturiert der Verfasser die Besonderheiten des Todes Pius‘ IX. im Jahre 1878, also seiner Ansicht nach am Beginn der massenmedialen Sattelzeit. Hier wie auch in den folgenden Kapiteln wird zunächst die Medialität des Ereignisses rekonstruiert, ehe dann der Ritualablauf und seine möglichen Änderungen diskutiert und in einem darauffolgenden Kapitel die Visualisierungstechniken und -strategien dargestellt werden. Daran schließt sich ein Überblick über die Diskurse in den Nachrufen an, um danach die transnationale Dimension des Papsttodes aufzuzeigen. Pius IX. war der Papst, von dessen Leiche das erste Foto geschossen worden ist. Erstmalig gelang es der Massenpresse, den Tod eines Papstes und die damit verbundenen Rituale einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Hierin liegt wohl die besondere medienhistorische Bedeutung dieses Papsttodes.

Das zweite Kapitel überschreibt Schlott als Innovationszeit und setzt sich mit den vier Papsttoden zwischen 1903 und 1939 auseinander. Er rekonstruiert hier den nicht gerade geringen Einfluss, den die technischen Innovationen wie Fotografie, Radio und Film auf die Rituale des Papsttodes ausgeübt haben. Der Vatikan war keineswegs ein passives «Opfer» der Medieninnovationen, sondern versuchte steuernd Einfluss zu nehmen, so etwa durch die Gründung eines Presseamtes oder den seit 1939 bestehenden Sender «Radio Vatikan». Gleichzeitig kam es auch zu kleinen Modifikationen im Ablauf des Rituals, die Schlott vorsichtig als «Modernisierung» (124) bezeichnet.

Das dritte Kapitel widmet sich dann zur Gänze dem Tod Pius‘ XII. im Jahre 1958, dem ersten Papsttod im Fernsehzeitalter. Die Besonderheit dieses Todesfalls liegt wohl in dem einmaligen Vorgang, dass der Leibarzt des Papstes Fotos vom im Sterben liegenden Pius an die Öffentlichkeit brachte, was zu einem veritablen Skandal führte. Dies lag wohl nicht zuletzt daran, dass «die Symbiose aus den beiden gemeinschaftsbildenden Phänomenen Ritual und Fernsehen erstmals ihr Potential [entfaltete] » (154). Wie Schlott schon an anderer Stelle ausgeführt hat, war der Vatikan mit der Situation einigermaßen überfordert, wie nicht nur der Skandal um die Bilder des sterbenden Pontifex deutlich machten, sondern auch eine ganze Reihe nicht beabsichtigte Ablaufänderungen. Es habe sich hierbei eine nicht intendierte «Performanz der Sterblichkeit» entwickelt. (Vgl. hierzu auch René Schlott, Performanz der Sterblichkeit: Der Tod Papst Pius‘ XII. [1958] als Medienereignis, in: Bösch/Schmidt [Hg.], Medialisierte Ereignisse, 198–222.) Die drei darauffolgenden Papsttode zwischen 1963 und 1978 bezeichnet der Verfasser in seinem vierten Kapitel als Inkubationszeit für das Medienereignis, welches der Tod Johannes Pauls II. im Jahr 2005 darstellen sollte. Schlott kann überzeugend die Fundamente für dieses Ereignis herausarbeiten, wie beispielsweise eine Vereinfachung des Rituals, die Popularisierung des Papstamtes oder aber auch die Expansion des Wirkungsgrades der Papsttode als ein quasi globales Ereignis (vgl. 211).

Der Papsttod Johannes Pauls II. steht seiner Ansicht nach somit im «Zeichen der Kontinuität», wie er es in seinem Schlusskapitel darlegt. Ausgehend von allen zehn Papsttoden zwischen 1878 und 2005 fasst René Schlott fünf übergreifende Erkenntnisse zusammen (226): Erstens ließen sich wiederkehrende Berichterstattungsmuster und -motive beobachten; zweitens, mediale Eigenlogiken hätten einen profunden Einfluss auf das Ereignis Papsttod; drittens ließe sich eine «Globalisierung» desselben nachweisen; viertens ließen sich Mechanismen zur Konstituierung eines Medienereignisses hieraus erarbeiten. Fünftes habe der Vatikan erhebliche Anpassungsleistungen unternommen.

Schlotts Schlussfolgerung, dass zumindest hinsichtlich des Rituals des Papsttodes die Alternative zwischen Säkularisierung und Wiederkehr der Religion keine ist, sondern vielmehr beide Aspekte miteinander zu verbinden seien, ist durchaus zuzustimmen. In jedem Fall aber zeigt dieses Buch das große Potential der Verbindung von Mediengeschichte und kulturhistorisch verstandener Religions- bzw. Kirchengeschichte.

Zitierweise:
Benedikt Brunner: Rezension zu: René Schlott, Papsttod und Weltöffentlichkeit seit 1878. Die Medialisierung eines Rituals, Paderborn, Ferdinand Schöningh, 2013. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 107, 2013, S. 445-447.

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