B. Forclaz: L’expérience de la différence religieuse dans l’Europe

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Titel
L’expérience de la différence religieuse dans l’Europe moderne moderne (XVIe–XVIIIe siècles).


Herausgeber
Forclaz, Bertrand
Erschienen
Neuchâtel 2013: Éditions Alphil
Anzahl Seiten
410 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Marc Mudrak, Historisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Nicht alle Lebensbereiche der Frühen Neuzeit waren konfessionell, aber alle konnten es werden. Mit dieser Vielfalt der religiösen Differenzen beschäftigt sich der von Bertrand Forclaz 2013 herausgegebene Band L’expérience de la différence religieuse dans l’Europe moderne (XVIe–XVIIIe siècles). Die 16 Beiträge mit der Einführung von Willem Frijhoff und der Schlussbetrachtung von Olivier Christin, entstammen einer im Oktober 2010 an der Universität Neuchâtel abgehaltenen Konferenz. Forscher aus mehreren Ländern Europas befassen sich in dem Band mit den Konfessionen im Alten Reich, Frankreich, der Eidgenossenschaft, den Niederlanden und dem Mittelmeerraum.

Willem Frijhoff fordert in der Einführung einen neuen und besonders den gemeinen Mann berücksichtigenden Blick auf die vormoderne Religionsgeschichte. Ein sozial- und kulturgeschichtlicher Ansatz müsse «embrasser la confessionnalisation ou la déconfessionnalisation dans leur marche concrète sans être la victime du caractère normatif de ces paradigmes» (41). Dieses Versprechen wird das Buch in vier Kapiteln einlösen.

Der erste Teil befasst sich mit der Konstruktion und der Regulierung religiöser Differenzen. Karine Crousaz untersucht die Chronik des altgläubigen Guillaume de Pierrefleur. Dieser beschreibt die Aushandlung und seine Wahrnehmung einer zunehmend evangelischen Religionskultur in der eidgenössischen Stadt Orbe. Fabrice Flückiger studiert die frühreformatorischen Disputationen in der Alten Eidgenossenschaft als eine der ersten Erfahrungsformen religiöser Differenz. Die Reformatoren sind dafür besser gerüstet als die Altgläubigen. Es zeigt sich, dass Disputationen eher abgrenzen, die theologischen Fronten begradigen und legitimieren, an statt zu einer allgemein akzeptierten Entscheidung zu führen. Mit dem Umgang bereits vorhandener religiöser Differenz zwischen den verschiedenen Herrschaftsebenen in der Grafschaft Neuchâtel befasst sich Lionel Bartolini. Er zeigt die zum Vorteil lokaler Institution neujustierte Politik- und Religionskompetenz zwischen den altgläubigen, aber fernen Landesherren und den meist evangelischen politischen Kräften vor Ort. Christophe Duhamelle untersucht die Abschaffung einer konfessionellen Grenze, die aber gleichzeitig neue Grenzen schuf. Es geht um die Kalenderreform im Reich im Jahr 1700, als die Protestanten ihren bis dahin behaltenen julianischen dem gregorianischen Kalender des Papstes von 1583 angleichen. Von einer völligen Entkonfessionalisierung der Frage kann allerdings keine Rede sein. Vielmehr entstehen neue Distinktionen, etwa die Beibehaltung zweier Spalten in den gedruckten Kalendern und die empfundene Wissenschaftsdominanz der Protestanten.

Der zweite Teil beinhaltet die Beiträge zu den konkreten Differenzerfahrungen. Mathilde Monge betrachtet die Koexistenz und politisch-ökonomische Implementierung der zeitweilig acht Konfessionskirchen in Köln (1550–1615). Den Gläubigen attestiert Monge «une pluralité de systèmes de valeurs, mobilisés en fonction du rôle que l’individu ou l’institution endosse au moment de la production de la source» (119). Françoise Moreil untersucht die Koexistenz im Fürstentum Orange. Dort entwickelte sich seit dem späten 16. Jahrhundert ein Institutionen und religiöse Praxis umfassendes paritätisches System. Findelkinder wurden so abwechselnd mal katholisch, mal reformiert getauft. Andreas Nijenhuis untersucht die konfessionellen Kongruenz- und Differenzerfahrungen, die der Pariser Kanoniker Claude Joly bei seiner Reise in die Vereinigten Provinzen (1646) machte. Dabei begegnete Joly bedeutenden Intellektuellen mit verschiedenen konfessionellen Zugehörigkeiten. Diese wurden bei den Treffen allerdings gar nicht manifestiert, da sich die Gesprächspartner auf nicht-konfessionelle Themenfelder beschränkten. Laurent Jalabert untersucht statistische Korrelationen zwischen sozialen, politischen und ökonomischen Positionen und religiösen Zugehörigkeiten in der multikonfessionellen Grafschaft Saarwerden im 18. Jahrhundert.

Teil drei befasst sich mit der Überschreitung konfessioneller Grenzen. Bertrand Forclaz präsentiert das Stift Basel, mit seinen vielen politischen und konfessionellen Grenzen, während des Dreissigjährigen Kriegs. Forclaz stellt fest, dass durch Propaganda oder militärisch-politische Orientierung einerseits Polarisierungen stattfanden. Auf der anderen Seite zeigen sich vor allem in den Grenzräumen «des identités et des appartenances supraconfessionnelles et transfrontalières» (219). Entsprechende Solidaritäten und Beziehungen zeigten und verstärkten sich etwa durch die katholischen Flüchtlinge in reformierten Gebieten. Michèle Robert befasst sich wiederum mit der Region Neuchâtel, genauer gesagt mit der Herrschaft Valangin. Sie zeigt nicht nur die Komplexität der dortigen Konsistorialstrukturen, sondern untersucht anhand von verschiedenen alten Praktiken, die vom Konsistorium verfolgt wurden, die Fortdauer nicht-evangelischer Kulturformen noch Jahrzehnte nach Einführung der Reformation. Kirstin Bentley beschäftigt sich im einzigen englischsprachigen Beitrag mit den Memoiren der Berner femme fatale Catherine Perregaux-von Wattenwyl (1645–1714). Obwohl diese in ihrem Leben häufig und in verschiedenen Kontexten eng mit Katholiken in Kontakt war, konvertierte sie nie. Sie und viele andere Menschen der Vormoderne «created their confessional identity, using boundaries to position themselves in society» (273). Norbert Furrer liefert eine Prosopographie der katholischen Subskribenten der protestantischen Schweizer-Geschichte von Gottlieb Emanuel von Haller im Jahr 1785.

In Teil fünf geht es speziell um die Differenzerfahrungen von Geistlichen. Philippe Martin rekonstruiert die Reise des lothringischen Benediktinermönchs Loupvent nach Jerusalem 1531. Nachdem sich die religiöse Differenz in Bezug auf die deutschen Lutheraner verstärkt habe und bis zur Reise über das Mittelmeer auch die Deutung der Muslime negativ war, veränderte sich dieser Blick im «Heiligen Land» in Bezug auf den Islam und die orthodoxen Christen. Erneut steht Neuchâtel im Beitrag von Jean-Daniel Morerod im Fokus, genauer gesagt Verrières, eine politisch-konfessionell mit der Franche- Comté geteilte Grenzstadt. Dort kooperierten bei einem Hexenprozess 1540 die örtlichen Kleriker und kommunalen Würdenträger von beiden Seiten. Die Grenze wird dabei nicht zum Trennsondern zum Kontaktpunkt. Marco Jorio untersuchts in einem theologiegeschichtlichen Beitrag den Basler Weihbischof Thomas Henrici (1597–1660) und dessen mutmasslichen inneren Wiederspruch zwischen gegenreformatorischer Politik und irenischer Publizistik. Vor den zusammenfassenden Worten von Olivier Christin befasst sich schliesslich Pierre-Olivier Léchot mit dem konfessionellen Geschichtsbild des Pfälzer Theologen Heinrich Alting (1583–1644).

In dem gelungenen Band gehen die Autoren mit Fingerspitzengefühl und grossermethodischer Genauigkeit an das Thema heran. Wie andere jüngere Forschungen, wiederlegen sie vielfach die alte Konfessionalisierungs-Chronologie, indem sie die Produktion und Aktualisierung religiöser Differenzen auch im frühen 16. und im 18. Jahrhundert entdecken. Überhaupt fällt auf, dass der Begriff «Konfession»seltener verwendet wird. Tatsächlich umreisstder Begriff «religiöse Differenzen» die unterschiedlichen Spielarten und Aushandlungender frühneuzeitlichen Religionskulturen besser. Die fraktalen Staatsgefüge erhalten ebenso einen angemessenen Raum wie die sonst oft – vor allem in der frühen Reformation – unterschlagenen altgläubigen Kulturen. Religiöse Differenzen, Zugehörigkeiten und deren Überschreitungen werden in der sozialen Interaktion gesucht. Kurz gesagt: konfessionelle Differenzen sind nicht, sie werden.

Zitierweise:
Marc Mudrak: Rezension zu: Bertrand Forclaz (Hg.), L’expérience de la différence religieuse dans l’Europe moderne (XVIe–XVIIIe siècles), Neuchâtel, Éditions Alphil, 2013. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 107, 2013, S. 427-429.

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