J Carlebach u.a. (Hrsg.): Biographisches Handbuch der Rabbiner

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Titel
Biographisches Handbuch der Rabbiner. Teil 1: Die Rabbiner der Emanzipationszeit in den deutschen, böhmischen und großpolnischen Ländern 1781–1871, 2 Teilbde., bearb. v. Carsten Wilke, Teil 2: Die Rabbiner im Deutschen Reich 1871–1945


Herausgeber
Carlebach, Julius; Michael, Brocke
Erschienen
München 2004: K.G. Saur
Anzahl Seiten
IX/965 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Stefan Jordan, Historische Kommission, Bayerische Akademie der Wissenschaften

Im Jahr 2009 erschienen – fünf Jahre nach der Veröffentlichung der ersten beiden, von Carsten Wilke bearbeiteten Halbbände – endlich zwei weitere, von Katrin Nele Jansen bearbeitete Halbbände, die das «Biographische Handbuch der Rabbiner» abschlossen. Mit seinen 2703 Biogrammen dürfen die Bände als das massgebliche Grundlagenwerk für die prosopographische Erschliessung des Rabbinertums in Deutschland und weit darüber hinaus gelten. Seine besondere Bedeutung er hält das «Handbuch» dabei nicht nur durch die beeindruckende Anzahl der zusammengetragenen Rabbinernamen, sondern besonders wegen seiner biographischen Erschliessungstiefe: In vielen Fällen bietet es nicht nur biographische Kerndaten (Lebensdaten, Geburts- und Sterbeorte), sondern zahlreiche weitere Informationen, die quellennah ermittelt, sonst an keiner Stelle so zu finden sind. Als Aufgabe und Ziel des Werks definieren Jansen und Michael Brocke im Vorwort zu Teil 2, «möglichst vollständige Daten zu Herkunft, Ausbildung, Laufbahn, Familie und religiös-praktischer Position sowie wissenschaftlicher und schriftstellerischer Tätigkeit der Rabbiner zu geben». Nicht ausgespart bleiben dabei auch Hinweise zur politischen Orientierung, zu Vereins- und Logenzugehörigkeiten sowie ggf. zu Unterdrückung und Verfolgung. Aufgenommen wurden ausschliesslich Personen, die ein rabbinisches Amt ausgeübt haben (was besonders für die Frühzeit im Einzelfall nicht immer einfach zu entscheiden ist).

Beeindruckend ist auch der umfangreiche bibliographisch-dokumentarische Anhang der einzelnen Artikel: Auf die Kopfzeile und das teils stichpunktartig formulierte Biogramm, dessen Länge zwischen wenigen Zeilen und etwa einer halben Druckseite variieren kann, folgen eine Nennung der Dissertation (sofern nachweisbar) und weiterer Publikationen, die Auflistung von handschriftlichen und unveröffentlichten Arbeiten sowie von Dokumenten, Quellen, Archivalien und Nachlässen. Den Abschluss der Artikel bilden epigraphische Nachweise (Hinweise auf Begräbnisund Gedenkorte etc.), eine Auswahl jeweils einschlägiger Sekundärliteratur sowie ein Verzeichnis von Porträts und Abbildungen des jeweils Biographierten. Beide Teile des Gesamtwerks sind je alphabetisch geordnet, enthaltenen Angaben zu ausgewerteten Archiven und benutzten Schriften und sind mit Ortsregistern erschlossen; Teil 2 enthält darüber hinaus einen Personenregister (leider nur auf Teil 2 bezogen) sowie Nachträge zu Teil 1. Besondere Erwähnung verdient auch die sehr ausführliche Einleitung in Teil 1 von Wilke, die einen anschaulichen Überblick über die Entwicklung des Rabbinats vom 16. bis zum 19. Jahrhundert bietet, das «Handbuch » in der Forschungslandschaft verortet und auch für die «Geographie» des Rabbinertums aufschlussreich ist.

Hinsichtlich des geographischen Untersuchungsraums weichen beide Teile deutlich voneinander ab: Teil 1 bietet Biogramme von Rabbinern, die ihr Amt vor 1871 angetreten haben, weit über die Grenzen von Deutschem Bund bzw. Deutschem Reich hinaus; Teil 2 beschränkt sich dagegen auf das Gebiet des Deutschen Reiches zwischen 1871 und 1945, wobei das Elsaß und Posen bis 1919 berücksichtigt wurden; nicht berücksichtigt in Teil 2 sind allerdings – und das ist schade – Böhmen, Mähren und weitere Gebiete des Habsburgerreiches. Erfreulich dagegen ist, dass die ursprüngliche Planung, den Erfassungszeitraum des «Handbuchs» auf die Zeit bis 1918 zu begrenzen, aufgegeben und dadurch auch die Verfolgung der (deutschen) Rabbiner während der NS-Zeit in den Blick genommen wurde. Damit gewinnt der zweite Teil des «Handbuchs» eine besondere Qualität: Er nämlich verfolgt die Biographien der Rabbiner weit über 1945 hinaus und lässt so die biographischen Stationen derer erkennen, die nicht Opfer der Shoah wurden und deren Wege häufig nach Palästina/Israel führten. Zudem erhält dieser Teil auch eine inhaltliche Klammer, indem er das Rabbinertum im deutschen Nationalstaat von dessen Entstehung bis zum Ende des Deutschen Reichs betrachtet, also gewissermassen den Verlust der Errungenschaften der Emanzipationsbewegung in den Blick nimmt, die im Zentrum von Teil 1 stehen.

Dieser erste Teil des «Biographischen Handbuchs der Rabbiner» setzt mit seiner zeitlichen Eingrenzung eine inhaltliche These, die mit dem Titel dieses Teils, «Die Rabbiner der Emanzipationszeit», zum Ausdruck gebracht wird: Die prosopographische Darstellung beginnt mit dem 13. Oktober 1781, an dem mit dem Toleranzedikt Kaiser Josefs II. der «Prozeß der rechtlichen Gleichstellung der jüdischen Minderheit in Mitteleuropa beginnt » (Wilke, Teil 1,1, S. 40), und sie endet mit dem Jahr 1871, in dem Juden in den Verfassungen Österreichs und des neu entstandenen Deutschen Reichs dieselben bürgerlichen Rechte eingeräumt wurden wie Christen.

Mit dem «Biographischen Handbuch der Rabbiner» liegt nun ein einschlägiges Nachschlagewerk mit hohem historisch-biographischem Informationswert nicht nur für die soziale Gruppe der Rabbinerschaft, sondern auch die jeweiligen Gesamtgesellschaften vor. Eine Veröffentlichung der Informationen als Online-Angebot ist für die nächste Zeit vorgesehen. Diese ist auch sehr wünschenswert, denn so erreicht das biographisch wertvolle Werk nicht nur eine grössere Leserschaft, sondern kann durch avanciertere elektronische Recherchemöglichkeiten weitere
wissenschaftliche Forschungen anstossen.

Redaktion
Veröffentlicht am
10.08.2015
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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit infoclio.ch (Redaktionelle Betreuung: Eliane Kurmann und Philippe Rogger). http://www.infoclio.ch/
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