S. Teuscher u.a. (Hrsg.): Königsfelden.

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Titel
Königsfelden. Königsmord, Kloster, Klinik


Herausgeber
Teuscher, Simon; Moddelmog, Claudia
Erschienen
Baden 2012: hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte
Anzahl Seiten
288 S
Preis
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Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Erwin Eugster

1308 wurde der römisch-deutsche König Albrecht I. von Habsburg auf einem Feld nahe Windisch von seinem Neffen ermordet. Seine Hinterbliebenen stifteten dort ein Klarissen- und ein Franziskanerkloster mit gemeinsamer Kirche. Königin Agnes, Tochter Albrechts I., vollendete das Gründungswerk ihrer Mutter Elisabeth und liess sich nahe beim Kloster nieder. Sie prägte die Geschichte Königsfeldens als Memorial- und Begräbnisort von Albrechts Familie bis 1364. Nach der Schlacht bei Sempach 1386 wurde Herzog Leopold III. in der Kirche beigesetzt. Königsfeldens Gedächtnisfunktionen änderten sich. 1415 kam das Kloster unter bernische Herrschaft. 1528 wurde es aufgehoben. Königsfelden war nun bis 1798 Sitz eines Berner Landvogtes, Verwaltungszentrum einer Landvogtei und Spital. 1804 baute der neu gebildete Kanton Aargau hier ein Kantonsspital, das bis 1872 allmählich in eine psychiatrische Klinik umgewandelt wurde.

2008 jährte sich der Tod Albrechts I. zum 700. Mal. Dies war Anlass, die reichhaltige kunstgeschichtliche Forschung der letzten Jahrzehnte durch eine längst fällige, moderne, umfassende Geschichte Königsfeldens zu ergänzen. Dabei folgte man heutigen Forschungsansätzen, welche die habsburgische Geschichte in Abkehr von älteren «Feindbildern» als Teil der regionalen Vergangenheit versteht und zugleich berücksichtigt, dass das heutige Bild von Königsfelden nicht nur auf dessen mittelalterlichen Zeugnissen, sondern ganz wesentlich auch auf den Mittelalter-Vorstellungen und -Sehnsüchten der Moderne, besonders des 19. Jahrhunderts, beruht.

Die Darstellung ist in sechs Kapitel gegliedert, welche durch ein Verzeichnis der Königsfelder Klarissen ergänzt wird. Der Autor und die Autorinnen nähern sich der Königsfelder Geschichte mit eigenständigen Untersuchungen. Sie sind nicht an eine Hauptproblematik oder eine leitende Fragestellung gebunden, auch wenn sich der Blick auf Königsfelden als Erinnerungsort als roter Faden durch alle Kapitel webt. Ziel jedes Kapitels ist es – laut Einleitung – immer auch, die Verbindung zu aktuellen gesellschaftlichen Debatten herzustellen.

Tobias Hodel untersucht die vielschichtigen Motive der Stiftung und präsentiert eine Auslegeordnung der Kräfte und Motive, welche zu einer mittelalterlichen geistlichen Stiftung führen konnten. Es gelingt ihm überzeugend, Königsfelden in seinen ersten Jahrzehnten als Kristallisationspunkt politischer Prozesse darzustellen, welche vom Spannungsfeld lokaler Machtkämpfe um das habsburgische Eigenamt bis zur Habsburger Expansion über den ganzen östlichen Alpenraum reichen. Spannend ist besonders die überregionale Perspektive (Güterverzeichnis der Agnes von Böhmen). Schade nur, dass hier die offensichtlichen Querbezüge zu bereits unter den letzten Kyburgern anstehenden Fragen nicht miteinbezogenwurden. Hier wären interessante Zusammenhänge mit dem offensichtlichen habsburgischen Bemühen um baldige Deeskalation nach 1308 zu diskutieren, wobei das Thema «Erbe» dabei mehr Raum als nur einen Themenkasten verdient hätte. Dies hätte durchaus auf Kosten des weniger ergiebigen Ausblickes auf «Einigkeit und Konflikte der Habsburger bis zum Ende des Mittelalters » gehen können.

Martina Wehrli-Johns skizziert hervorragend das Spannungsfeld zwischen adligem Repräsentations- und Memorialbedürfnis und den Ansprüchen des an sich dem Armutsideal verpflichteten Franziskanerordens. Sie schafft ganz neuartige und grundlegende Einblicke in das politische Denken und die kirchenpolitischen Optionen von Königin Agnes und ihrem habsburgischen Umfeld. Das informative Kapitel über die Zeit bis zur Reformation verschafft Einblicke in die Entwicklung beider Klöster unter dem Einfluss der Observanz und lässt die Bedeutung der Königsfelder Bibliothek und der übrigen Kunstschätze erahnen. Schade nur, dass dieses Kapitels nicht stärker die «Schlaglichter» des ersten Kapitels «kreuzt», wie dies Simon Teuscher in der Einleitung generell in Aussicht stellt.

Im dritten Kapitel wertet Tobias Hodel das über den Urkundenbestand hinaus nicht sehr umfangreiche klösterliche (Verwaltungs-)Schriftgut aus. Obwohl im Rahmen des Möglichen nach den Aspekten Produktion, Nutzung und Aufbewahrung gefragt wird, bleiben die Erkenntnisse punktuell. Dies liegt zum einen an der vergleichsweise geringen Zahl von erhaltenen Dokumenten. Zum anderen verzichtet der Autor leider weitgehend auf Seitenblicke auf die bereits erforschte Schriftlichkeit besser dokumentierter Klarissen- (und Dominikanerinnen-) Konvente beispielsweise der Nordostschweiz. Deutlich wird immerhin: Auch in Königsfelden führte kein geradliniger Weg quasi von der primär mündlichen, schriftarmen Zeit des späteren Mittelalters zur vertrauten Verwaltungsschriftlichkeit der Moderne.

Claudia Moddelmog thematisiert die Königsfelder Nonnen. Sie untersucht die Motive, welche dem Klostereintritt der überwiegend adligen Nonnen zugrunde lagen, das Wirken innerhalb der Klostermauern, die Beziehungen der Nonnen zu ihren Familien. Das Kloster wird so zum Knotenpunkt von Adelsbeziehungen. Auch wenn die von der Autorin zu Recht vermuteten informellen Kontakte der Nonnen naturgemäss nicht mehr fassbar sind und darum letztlich spekulativ bleiben müssen, ergeben sich doch ganz neue Perspektiven zum mittelalterlichen Adel, dessen Beschaffenheit die bisherige Forschung vorzugsweise über Dokumente zur Sicht der Männer und deren «Geschlechterlinien» diskutiert hat. Sechs Seiten zur Reformation schliessen das Kapitel ab und zeigen nochmals, wie stark Frauen auch nach dem Klostereintritt mit ihrer Verwandtschaft verbunden blieben. Die Liste der Klarissen von Königsfelden im Anhang ist chronologisch aufgebaut. Eine Nummerierung wäre bei Querverweisen hilfreich gewesen.

Jeannette Rauschert zeichnet die Geschichte Königsfeldens als Herrschaftssitz, Wirtschaftsbetrieb, Armenspital und kulturelles Erbe nach. Die «Hofmeisterei» Königsfelden war seit der Reformation eine Art Landvogtei, deren Ressourcen auch für Königsfelden als Zentrum der Armen- und Krankenfürsorge verwendet wurden. Zudem blieb Königsfelden bis weit in das 18. Jh. hinein Kristallisationspunkt für Erinnerungs- und Geschichtskultur der Berner, der katholischen Orte und der Habsburger.

Nanina Egli schliesslich behandelt die Geschichte Königsfeldens seit dem 19. Jahrhundert. Sie präsentiert eine ganze Palette von eigenständigen Fragestellungen: Umgang mit der mittelalterlichen Geschichte Königsfeldens im Spannungsfeld regionaler, nationaler katholischer und protestantischer Geschichtsbilder; Auflehnung der Ärzte gegen die Geschichte des Ortes; Aufkommen der Denkmalpflege; Musealisierung des Ortes; Geschichte des Spitals, welche über die «Irrenanstalt» von 1872 zur heutigen Psychiatrischen Klinik führt; Agnes-Rezeption in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts; Diskurs über den Wandel der Therapie-Vorstellungen der Königsfelder Ärzte. Natürlich kann auf vierzig Seiten keine dieser Fragestellungen erschöpfend präsentiert werden. Vieles müsste nun auf der Grundlage von Eglis Auslegeordnung vertieft betrachtet werden, beispielsweise die spannenden Zusammenhänge zwischen Musealisierung und Entdeckung der Geschichte als Heilmittel.

Fazit: Ein gut gemachtes, trotz seiner Wissenschaftlichkeit flüssig zu lesendes Buch, unverzichtbar für alle, die sich künftig mit der Geschichte Königsfeldens beschäftigen wollen. Aber auch ein Muss für andere epochenübergreifende Untersuchungen zu heutigen Einrichtungen, die auf mittelalterlichen geistlichen Institutionen fussen. Vielleicht gelingt es künftig noch besser, die «Schlaglichter» solcher eigenständiger Einzeluntersuchungen zu verbinden.

Zitierweise:
Erwin Eugster: Rezension zu: Simon Teuscher, Claudia Moddelmog (Hg.), Königsfelden. Königsmord, Kloster, Klinik, Baden: hier + jetzt, 2012. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 3, 2014, S. 519-521.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 3, 2014, S. 519-521.

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