T. Scott: The City-State in Europe

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Titel
The City-State in Europe, 1000-1600. Hinterland – Territory – Region


Autor(en)
Scott, Tom
Erschienen
Oxford 2012: Oxford University Press
Anzahl Seiten
382 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Regula Schmid

Die Herrschaft von Städten über ein mehr oder weniger ausgedehntes Umland steht im Mittelpunkt dieser herausfordernden Studie. Der englische Historiker Tom Scott hat zahlreiche wichtige Studien zu Städten in ihrem Umfeld und regionalen Identitäten vorgelegt, insbesondere am Oberrhein. Die neue, geographisch breitangelegte, zugleich die Details des Einzelfalls breit darstellende Studie will dem kommunalen Staat einen gebührenden Platz in der vergleichenden Staatsgeschichte verschaffen.

Die Frage nach Entstehungsbedingungen und Ausprägung des «modernen Staats» in einem vergleichenden, europäischen Kontext hat sich weitgehend auf den zentralen, monarchischen Staat konzentriert. Republiken und jene kommunal geprägten Gebilde, die keine neuzeitliche Zukunft hatten (der Schwäbische Bund, die Hanse, Venedig), sind in diesen Diskurs bestenfalls als Sonderfälle eingeschlossen. Thomas Ertman etwa hob den Vergleich «among polities of a roughly similar kind» als Grundlage eines vielbeachteten Werks1 hervor. Explizit schloss er die drei «city-republics» Venedig, Genua und Lucca oder die deutschen «city-states» aus der Betrachtung aus, ebenso wie die Eidgenossenschaft und die Niederlande, «both of which were confederal entities in which sovereignty rested with the con-stituent territories […] rather than with the center». Die Frage, inwiefern diese «territories» Staaten sein könnten, die sich erst noch mit Venedig oder den deutschen «city-states» vergleichen liessen, oder wie sich denn italienische «city-republics» etwa von Bern oder Solothurn unterscheiden, haben keinen Platz in dieser letztlich auf Staatstheorie herauslaufenden Form des Staatsbildungsdiskurses.

Umgekehrt ist es für die historische Städteforschung zwar selbstverständlich, dass die (spätmittelalterliche) Stadt staatliche Elemente aufweist: Ausgriff auf ein Territorium, Wille und Fähigkeit, dessen Bewohner steuerlich und militärisch zu erfassen und zu verwalten, eine professionalisierte Beamtenschaft. Dies sind aber Merkmale, die dem Diskurs über den modernen (Territorial-)Staat monarchischer Prägung entnommen sind. Hier setzt Scott ein und sucht das Phänomen «citystate» ausgehend von der historischen Fallanalyse zu erfassen.

Das erste, nicht genug hoch anzurechnende Verdienst Scotts ist, mit der systematischen Aufnahme ein mehrere grosse Forschungstraditionen und Sprachen überspannendes Thema angepackt zu haben, das schon länger der grundsätzlichen Behandlung harrt: eine Analyse städtischer Herrschaft, begriffen als Staatlichkeit, die vergleichend und regional übergreifend angelegt ist und die Phänomene beschreiben, kontrastieren und so dem Vergleich zugänglich machen will.

Die Hindernisse dieses Unterfangens sind allerdings nicht zu unterschätzen. Scott nennt sie gleich zu Beginn: Erstens ist die Geschichte der mittelalterlichen Stadt dominiert von regional- und lokalhistorischen Ansätzen. Zweitens stehen Forschungen zu den oberitalienischen und den deutschen Städten praktisch unverbunden nebeneinander; und die wenigen vergleichenden Darstellungen, welche den Alpenkamm überspannen, geben den italienischen Städten ein überragendes Gewicht. Die Entwicklung nördlich der Alpen wird grundsätzlich als abhängig vom italienischen Fall, als spät, ungenügend, fragmentarisch betrachtet.

Die geographische (Norden-Süden) und chronologische Gliederung der Phänomene bietet sich aus pragmatischen und methodischen Gründen dennoch an. Nachdem Scott die Situation in Europa um 1000 («urban revival», «communal tradition», Schicksal der Städte am Mittelmeer, Kirchenreform) umrissen hat, ist das nächste Kapitel dem Aufstieg der Kommune im Italien des 11. Und 12. Jahrhunderts gewidmet. Stossrichtung ist das Verhältnis von Kommune, Adel und Kirche in vor allem verfassungsgeschichtlichen Sinn; das Kapitel schliesst mit einer Darlegung der Labilität der Kommune. Verschiedene Handlungsstrategien der erstarkenden Städte stehen im Mittelpunkt des nächsten Kapitels. Hier nun werden die Gegner der Städte zum Thema – Kaiser und Papst sind die Kräfte, welche die Ausbildung städtischer Strategien in Italien beeinflussen; im Innern der Stadt bilden sich mit Podestat und Signoria unterschiedliche Regimentsformen heraus. Die zwei nächsten Kapitel umfassen den Kern der Darstellung.

Die Stadtstaaten im Norden und im Süden befinden sich im Spätmittelalter «am Scheideweg». Muster bilden sich nun heraus, welche das längerfristige Überleben über das Ende des Mittelalters hinaus und die Fähigkeit zur Veränderung von innen her bestimmen.

Hier geht es nun vor allem um Territorialisierung. Scott setzt sich nicht explizit mit dem Konzept auseinander, sondern stellt auch hier Beispiel neben Beispiel, kontrastierend und vergleichend. Die städtischen Territorialstaaten im schweizerischen Raum werden prominent dargestellt; insbesondere Bern wird als paradigmatischer Fall herangezogen. Scott sucht eine Binnendifferenzierung zu erreichen, indem er von der jeweiligen Stadt ausgehende «radiale» und «axiale» Aneignung von Orten ausserhalb der städtischen Immunität gruppiert. Ein gewisses Muster bildet sich so heraus, gemäss dem Handelsstädte Punkte entlang der wichtigen Einfuhr- und Ausfuhrstrassen bilden, Städte mit gewerblichem Schwerpunkt, die auf den Import von Gütern aus dem Hinterland angewiesen sind, eher in konzentrisch um die Stadt angelegten Kreisen ihren Einfluss durch den Erwerb von festen Punkten sichern wollen.

Im Gegensatz zum Hauptharst der vergleichenden Studien zur «Stadt (oder zum Staat) des Mittelalters» geht Scott das Unterfangen induktiv an. Er stellt Fallanalyse neben Fallanalyse, vom Mittelitalien des 11. Jahrhunderts bis zu den Stadtstaaten der Eidgenossenschaft im beginnenden 16. Jahrhundert. Die Kontrastierung der Beispiele ergibt nicht etwa ein Modell, das Norden und Süden umfasst – Scott betont explizit, dass dies nicht möglich sei –, sondern mündet in die Herausarbeitung der zentralen Parameter, welche das Phänomen ausmachen, sowie in grundsätzlichen Überlegungen. Als Ausgangspunkt des Vergleichs isoliert Scott Dauer, territoriale Ausdehnung, politischen Zugriff und administrative Konsolidierung. Im Vergleich Süden und Norden weist er auf die unterschiedliche Rolle der Kirche als Ausgangspunkt weltlicher Macht hin sowie auf den Unterschied von Landbesitz und der Akquisition von Gerichtsrechten, auf die verschiedenen Möglichkeiten, mit denen das städtische Bürgerrecht auf das Umland ausgedehnt wurde (oder eben nicht), sowie auf den Bereich der gesetzgeberischen Gewalt. Im Zentrum steht aber die von vielen Beobachtungen untermauerte Forderung, «city-states» in einem regionalen Kontext zu erfassen, welcher Stadt und Umland einschliesst. Innerstädtische Wirtschaftsform und Bevölkerungsgrösse sind aufzuwiegen mit Produktionsstruktur und Steuerpotenz des Umlands, und die rechtliche Einbindung der ländlichen Bevölkerung in das städtische Bürgerrecht ist das Medium, mit dem das Verhältnis von städtischer und ländlicher Bevölkerung kontrolliert und reguliert werden kann.

Scotts Aufreihung von Fällen zeigt eindrücklich, dass jegliche Definition des «Stadtstaats» stets ein Gegenbeispiel auf den Plan ruft und dass typologischer Schematismus nicht möglich ist. Damit droht das Konzept «city-state» aber seine Prägnanz zu verlieren. So erwähnt Scott «city-states» ohne Territorium (z.B. St. Gallen) und suggeriert mit dem Ausdruck «fully-fledged city-state» (202) oder mit der Unterscheidung des «city-state» Bern vom «regional state» Bern nach 1536 eine Art Entwicklungsgeschichte. Aber wo sind die inneren Übergänge solcher Entwicklungen anzusiedeln? Andere Widersprüche im Detail mögen der verwendeten Literatur geschuldet sein: So bezeichnet Scott Genua als erfolglos (S. 96) und suggeriert damit, dass der Erfolg des Stadtstaats mit dessen Fähigkeit zum Aufbau eines Territoriums zusammenhänge – eine Funktionalität, die Scott aber in den Schlussfolgerungen grundsätzlich problematisiert.

Solche Vorbehalte zeigen allerdings, dass es sich bei Scotts Studie um ein grundlegendes – und ausgesprochen anregendes – Werk zu einem bedeutenden Problemkreis der europäischen Geschichte handelt und um einen wesentlichen Beitrag zu einer Neubewertung der Rolle der Stadt an der Ausbildung der politischen Landschaften Alteuropas. Das Diskussionsangebot sollte angenommen werden!

1 Thomas Ertman, Birth of the Leviathan. Buildung States and Regimes in Medieval and Early Modern Europe, Cambridge 1997.

Zitierweise:
Regula Schmid: Rezension zu: Tom Scott: The City-State in Europe, 1000–1600. Hinterland – Territory – Region. Oxford, Oxford University Press, 2012. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 63 Nr. 2, 2013, S.314- 311.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 63 Nr. 2, 2013, S.314- 311.

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