E. Bischof: Honeckers Handschlag

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Titel
Honeckers Handschlag. Beziehungen Schweiz–DDR 1960–1990. Demokratie oder Diktatur


Autor(en)
Bischof, Erwin
Erschienen
Bern 2010: Interforum
Anzahl Seiten
333 S.
Preis
ISBN
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Benedikt Hauser

Wie der Autor des hier zu besprechenden Buchs einleitend bemerkt, richtet er sich an «alle politisch Interessierten, die gerne mehr wissen möchten, wie es damals in den bewegten Jahren der Ost-West-Konfrontation zugegangen ist». Im Fokus stehen dabei die Beziehungen von Schweizerinnen und Schweizern zur DDR. Leitfrage ist, wer «Sympathisant oder gar Kollaborateur eines totalitären Regimes» war, und wer eine «konsequente ablehnende Haltung» gegenüber dem Kommunismus vertrat (S. 7). Bischof, Jahrgang 1940, ist Historiker und war beruflich unter anderem als Diplomat und PR-Berater tätig. Bekannt geworden ist er vor allem als Publizist, der als «Trumpf Buur» das Politgeschehen der Schweiz von einem pointiert rechtsbürgerlichen Standpunkt aus kommentierte.

Lohnt sich die Lektüre des Buchs? Wer das Genre der chronique scandaleuse schätzt und gerne Anklageschriften liest, dürfte durchaus auf seine Kosten kommen. So erfährt man beispielsweise über Karl Barth, der, was heute unbestritten ist, die DDR als Diktatur und Unrechtsstaat verkannte, dass sein langjähriger Freund Walter Feurig ein Stasi-Spitzel war und über seine Treffen mit Theologen in der Schweiz sowie über die Feier zum 80. Geburtstag Barths in einem Basler Restaurant an seinen Führungsoffizier berichtete. Ferner wird unter anderem ausgeführt, dass Barth aus Sympathie zur Freien Deutschen Jugend (FDJ) der DDR gerne blaue Hemden trug, oder dass eine schwarze DDR-Limousine vor seinem Haus in Basel vorfuhr und während mehrerer Stunden Meissner Porzellan als Geschenk ablieferte. Nicht unerwähnt bleibt Charlotte von Kirschbaum, Barths «jahrzehntelange Geliebte»: Besser als sie habe niemand um die Einsamkeit gewusst, in welche er im Alter seiner «politischen Irrtümer» wegen geriet. Barths kommunistenfreundliche Haltung, so Bischofs Verdikt, war ein «öffentliches Ärgernis» und ein «beschämendes Fehlverhalten eines hoch gebildeten Theologen» (S. 150).

Nach demselben Muster werden auch die Beziehungen abgehandelt, welche die sozialdemokratischen Partei (SP) und die Partei der Arbeit (PdA) der Schweiz sowie Schriftsteller, Wissenschaftler und Medien zur DDR unterhielten: Beschrieben werden dabei unter anderem das Treffen einer SP-Delegation mit Erich Honecker von 1982, die finanzielle Unterstützung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) für die Druckerei der PdA in Genf, die Aktivitäten von in die DDR ausgewanderten Schweizern, die von der Gesellschaft Schweiz-DDR organisierten Reisen und Vorträge von DDR-Vertretern in der Schweiz und von Schweizern in der DDR, oder die Auftritte in Ostberlin von Schweizer Kabarettisten wie Emil Steinberger, dessen kurze Schilderung, wie das dortige Publikum auf sein Programm reagierte, wohltuend sachlich gehalten und ebenso lesenswert wie aufschlussreich ist. Hingewiesen wird ferner auf den bekannten Schweizer Kommunisten Konrad Farner, dessen politische Ziele in der Errichtung einer «marxistisch-kommunistischen Schweiz ohne Wenn und Aber» bestanden hätten und der deshalb als «Totengräber der bürgerlichen Schweiz» bezeichnet wird S. 210 ff). Farner hatte enge Verbindungen zur DDR, zählte aber auch prominente Exponenten des Schweizer Bürgertums wie Sigmund Widmer oder Jean-Rodolphe von Salis zum weiten Kreis der Persönlichkeiten, die mit ihm korrespondierten. Selbst die Armee pflegte Kontakte zu Ost-Berlin, wobei die Ausführungen zum 1986 erfolgten mehrtägigen DDR-Besuch einer Schweizer Delegation, die unter der Leitung eines Korpskommandanten stand und der sechs hochrangige Offiziere in Begleitung ihrer Gattinnen angehörten, auffallend knapp gehaltensind und unkommentiert bleiben.

Nicht zu überzeugen vermag Bischofs Buch, wenn man es an seinem Anspruch misst, Anstösse zur Aufarbeitung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der DDR zu vermitteln, und Antworten auf die Frage zu geben, warum es zum Fall der Berliner Mauer kam. Dazu wären nebst Stasi-Unterlagen und Akten aus Nachlässen damaliger Akteure aus Ost und West auch Dokumente anderer DDR-Behörden zu untersuchen, und auszuwerten wären ebenfalls bereits publizierte Quellen, wie sie beispielsweise in der Reihe der Diplomatischen Dokumente der Schweiz (DDS) erschienen sind und online eingesehen werden können. Zusätzlich zur Darstellung von Fakten bräuchte es zudem die Herstellung von Bezügen zur neueren internationalen Forschungsliteratur über die Zeit des Kalten Kriegs.

Unzutreffend und irreführend ist sodann die Behauptung, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) habe mit ihrer Resolution vom 3. Juli 2009 «die Rolle Nazi-Deutschlands und der Sowjetunion beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs auf eine Stufe» gestellt (S. 241). Die Resolution erklärte aus Anlass der Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Pakts vor 70 Jahren den 23. August zum Tag der Erinnerung an die Opfer des Stalinismus und des Nazismus. Den Beginn des Zweiten Weltkriegs erwähnt sie nicht, und in einem separaten Punkt anerkennt sie die «uniqueness» des Holocaust.1 Störend ist es auch, die meist im Zusammenhang mit Okkupationen von Staaten durch Nazi-Deutschland gebrauchten Begriffe des Kollaborateurs und des Widerständlers zur Charakterisierung von Schweizern zu verwenden, die während des Kalten Kriegs Kontakte zur Welt des Kommunismus hatten oder sich als Antikommunisten profilierten.

Das Schlusskapitel endet mit dem umrahmt wiedergegebenen bekannten Zitat von Marx, dass die Revolutionen bisher nur bewiesen hätten, dass sich vieles ändern lässt, «bloss nicht die Menschen» (S. 242). Es drängt sich nachgerade auf, Marx’ Diktum auch auf den Verfasser des vorliegenden Buches zu beziehen, der mehr als 20 Jahre nach dem Fall der Mauer offensichtlich nach wie vor unverrückbar dem Denken des strammen Antikommunismus der damaligen Zeit verhaftet bleibt. Bischofs Ausführungen sind vor allem auch ein Zeugnis für diese Art der Weltbetrachtung, und diesbezüglich zumindest ist ihnen nicht abzusprechen, dass sie historisch aussagekräftig sind.

Zitierweise:
Benedikt Hauser: Rezension zu: Erwin Bischof: Honeckers Handschlag. Beziehungen Schweiz–DDR 1960–1990. Demokratie oder Diktatur. Bern, Interforum, 2010. Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 63 Nr. 1, 2013, S. 155-156.

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