A. Zangger: Koloniale Schweiz

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Titel
Koloniale Schweiz. Ein Stück Globalgeschichte zwischen Europa und Südostasien (1860-1930)


Autor(en)
Zangger, Andreas
Erschienen
Bielefeld 2011: Transcript – Verlag für Kommunikation, Kultur und soziale Praxis
Anzahl Seiten
476 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
stefan sigerist

Ein weisser Fleck weniger! Die Dissertation von Andreas Zangger behandelt einen Aspekt des leider selten im Fokus der Historiker stehenden Themas von Schweizern in Asien. Geographisch beschränkt er sich auf die Region Singapore und Sumatra und endet zeitlich vor dem Beginn der japanischen Expansion, die während des Zweiten Weltkrieges für die Schweizer eine schmerzhafte Umwälzung ihrer Lebensumstände mit sich brachte.

Das Werk ist in drei Teile gegliedert, die jeweils mit einer ausführlichen Einführung beginnen. Im ersten wird auf die Situation der europäischen Kaufleute in Singapore eingegangen. Die Stadt gehörte seit 1819 zum britischen Empire, der Pionier Sir Thomas Raffles hatte dort einen Freihafen sowie eine gut funktionierende Verwaltung eingerichtet. Neben Chinesen strömten ab etwa 1860 auch Handelsleute aus Europa in die strategisch gut gelegene, rasch wachsende Siedlung. Die Verdienstmöglichkeiten waren dank diesen in Asien seltenen Einrichtungen sowie der völligen Steuerfreiheit enorm. Wagemutige Schweizer wollten hier ebenfalls ihr Glück versuchen, was mehreren gelang. Es entstand eine für Schweizer Verhältnisse bedeutende eidgenössische Kolonie. An Hand des unter den ersten eintreffenden Appenzeller Kaufmanns Conrad Sturzenegger und der früh vor Ort gegründeten und rasch gewachsenen Firma des Thurgauers Wilhelm Diethelm wird der Werdegang der Eidgenossen geschildert. In Anbetracht des Fehlens von schweizerischen Konsulaten hatten sie sich unter den diplomatischen Schutz einer Grossmacht zu stellen. Um geschäftlich erfolgreich zu sein, war zudem eine Anpassung auch an die gesellschaftlichen Gewohnheiten der anderen Europäer, Engländer, Niederländer und Deutsche, unumgänglich.

Damit war in unvermeidlicher Weise ein gewisses koloniales Auftreten verbunden. Loyalität mit fremden Gruppen ohne die eigene Identität zu verlieren, war die zu meisternde Aufgabe der Schweizer.

Die Fluktuation der Schweizer war gross, praktisch alle kehrten nach 5 bis 10 Jahren gerne, wie alle Europäer, wieder in die Heimat zurück. Interessant ist der Exkurs über Firmenetiketten, dank denen die Schweizer Händler, wie die anderen Europäer, vor Ort Eigenmarken etablieren konnten. Ihre farbigen und exotischen Sujets mit Beschriftung in den vor Ort gängigen Sprachen Chinesisch, Malaiisch und Thai sind noch heute eine Augenweide. Abgesehen von einer kürzlich erschienenen Publikation wurde dieser bis heute modernen Marketingmassnahme in der historischen Forschung bis heute keine Beachtung geschenkt.

Der zweite Teil geht auf die Plantagen in Ostsumatra ein; die Insel gehörte zum niederländischen Kolonialreich. Der Anbau von Kaffee, Rubber und Tee wurde von Pionieren getätigt, die im Landesinneren völlig auf sich selbst gestellt waren. Neben zahlreichen Niederländern fanden sich früh über 50 Eidgenossen als Plantagenbesitzer, die Zahl der Schweizer als Angestellte erreichte 300. Fingerspitzengefühl im Umgang mit jeweils mehreren Hundert eingeborenen Arbeitern, ihren Aufsehern und eine robuste Gesundheit im ungesunden Tropenklima waren in erster Linie für den Erfolg und die erfolgreiche Rückkehr unabdingbar. Der für den Betrieb der Plantage nötige, beträchtliche Kapitalbedarf war ein weiteres, nicht einfach zu lösendes Problem.

Der dritte Teil der Publikation ist den Vernetzungen der Schweizer gewidmet, die nicht nur aus Kaufleuten bestanden. Auch Geographen, Naturforscher und Ethnographen waren in Sumatra präsent. Die ETH in Zürich war eine auch in den Niederlanden geschätzte Ausbildungsstätte für den Dienst in den Kolonien, überraschend ist die relativ grosse Zahl ihrer schweizerischen Absolventen, die dort ebenfalls eine Anstellung erhielten. Das Interesse der Schweiz an dieser aufstrebenden Region zeigte die Gründung von geographischen Gesellschaften, von denen diejenige von St. Gallen die am meisten wirtschaftsorientierte war. Diese legte grossen Wert auf das Einbinden von korrespondierenden Mitglieder, die vor Ort tätig waren. Für helvetische «Nestwärme» sorgten die bald vor Ort gegründeten Schweizervereine, die sich auch um die Heimkehr von gestrandeten Eidgenossen kümmerten.

Bei ihrer Rückkehr brachten die Schweizer neues, wertvolles kaufmännisches und wissenschaftliches Know-how nach Hause. Es äufnete sich nicht nur Kapital, auch die angewandte Forschung profitierte in vielfältiger Weise von den geknüpften persönlichen Verbindungen.

Das Werk lässt an Ausführlichkeit keine Wünsche offen. Dem Autor ist es gelungen, neben bekannten auch neue Quellen zu eschliessen, die sich teilweise im Familienbesitz und im Ausland befinden. Diese wurden mit grosser Sorgfalt ausgewertet, was dem Leser ein ebenso interessantes wie detailliertes Bild über die Zahl und die Situation der Schweizer vor Ort erlaubt. Ein Firmen- und Namensregister würde dem Leser die Handhabung des Buches erleichtern, eine Vergrösserung des gut ausgewählten Titelbildes mit den Schweizern könnte diese besser zur Geltung bringen.

Man wünscht sich noch zahlreiche weitere Publikationen zu diesem weiten und wenig bearbeiteten Thema.

Zitierweise:
Stefan Sigerist: Rezension zu: Andreas Zangger: Koloniale Schweiz. Ein Stück Globalgeschichte zwischen Europa und Südostasien (1860–1930). Bielefeld, Verlag transcript, 2011. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 62 Nr. 2, 2012, S. 353-354

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Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 62 Nr. 2, 2012, S. 353-354

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