C. Jecker: SendungsBewusstsein

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Titel
SendungsBewusstsein, Kirchliche Kriegskommunikation und die Anfänge der Radio-Predigten in der Schweiz 1925–1945.


Autor(en)
Jecker, Constanze
Reihe
Religion – Politik – Gesellschaft in der Schweiz 49
Erschienen
Freiburg 2009: Academic Press
Anzahl Seiten
203 S., 1 Abb.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Sabine Bitter

Die erste Radio-Predigt in der Schweiz wurde am Karfreitag, am 10. April 1925, ausgestrahlt. Nach der Konzession der Schweizerischen Rundspruchgesellschaft (SRG) hatten die drei Landeskirchen, die katholische, die reformierte und die christkatholische, als einzige Institutionen das Recht auf eigene Sendungen. Im Zentrum der Studie von Constanze Jecker stehen die Deutschschweizer Radio-Predigten von 1933 bis 1945, die einen wichtigen Teil des religiösen Programms ausmachten, bei der Hörerschaft ein grosses Echo auslösten und in Tageszeitungen oft besprochen wurden. Weil mit dem neuen elektronischen Medium – wie nie zuvor – ein Massenpublikum erreicht werden konnte, hatten die Kirchen ein Interesse daran, ihre Botschaft auch im Radio zu verbreiten. Der Bundesrat, der die Kirchen in der Konzession bevorzugt behandelte, erwartete seinerseits von ihnen im Radio einen Beitrag zur Geistigen Landesverteidigung. Zur Abwehr der nationalsozialistischen Propaganda, die in Form von Wochenschauen und Filmen in die Schweiz überschwappte, wollte der Bundesrat einen ideologischen Wall errichten, der tief in der Gesellschaft verankert werden sollte: Die Medien sollten die Ängste der Bevölkerung zerstreuen und nationale Werte propagieren. Zur Geistigen Landesverteidigung am Radio liegt im Gegensatz zu jener in der Presse bis heute keine medien- und kommunikationswissenschaftliche Inhaltsanalyse vor.

In einem ersten empirischen Teil skizziert Constanze Jecker die Bedingungen, unter denen die Radio-Predigten entstanden: Die Landeskirchen, die sich stark konkurrenzierten, gründeten eigene Radio-Kommissionen, die Themen vorschlugen und Theologen vors Mikrophon holten. Es war oft schwierig, Kirchenmänner zu finden, die bereit waren, statt von der Kanzel herab allein in einer stillen Kabine in ein Mikrophon zu sprechen, wie dem Protokoll einer Radio-Kommission zu entnehmen ist: «Im allgemeinen besteht bei den Pfarrern keine grosse Lust, die Radio-Predigt zu halten.» Vor allem die reformierten Theologen zierten sich, wenn sie auch neidisch auf die katholischen Kollegen blickten, die sie für «sehr gute, überzeugende und leichtverständliche Redner» hielten. Constanze Jecker stellt fest, dass die Mehrheit der Prediger in den Städten wie Basel, Bern und Zürich lebte und dort renommierten Kirchgemeinden vorstand. Überdurchschnittlich viele Theologen stammten aus stark katholisch geprägten Orten wie Solothurn oder Luzern. Frauen kamen kaum zu Wort: Nur einmal, 1931, hielt eine reformierte Vikarin aus Zürich eine Radio-Predigt.

Die Autorin bettet die Radio-Predigten als Sendeformat in den medienhistorischen Kontext ein, indem sie etwa die Zensur-Massnahmen skizziert, mit denen die Redner konfrontiert wurden. Die SRG erliess bereits 1931 für Vorträge, die politische oder religiöse Inhalte berührten, eine Vorzensur. Danach mussten die Prediger ihre Texte rund zehn Tage vor der Sendung einreichen. Der Berner Radiodirektor Kurt Schenker, der zugleich auch die Sektion Radio der Abteilung «Rundspruch und Armee» leitete, war ein strenger Zensor: Er lehnte Manuskripte ab oder verlangte Änderungen. Dies im Gegensatz zum Zürcher Radiodirektor, der larger war.

Die Autorin hat, um zu ihren differenzierten Befunden zu kommen, zahlreiche und vielfältige Quellen ausgewertet: Programmzeitschriften, Hörerzuschriften, Sendeprotokolle, Manuskripte, persönliche Aufzeichnungen und Geschäftskorrespondenzen der Prediger und Programmveranstalter. Die Quellen stammen aus kantonalen Staatsarchiven, dem Schweizerischen Bundesarchiv, der Schweizerischen Nationalbibliothek, dem Archiv der Bischofskonferenz sowie aus den Archiven der SRG.

Im zweiten Teil der empirischen Studie untersucht Constanze Jecker systematisch ausgewählte Predigten mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse. Mit ihrer Untersuchung leistet sie einen Beitrag zur Beantwortung der Frage, wie die Krisen- und Kriegskommunikation von den Kirchen im Schweizer Radio umgesetzt wurde. Grundlage der Studie bilden die im Studio Bern archivierten Manuskripte von Predigten von 1933 bis 1945. Für die Analyse hat sie einen Korpus mit acht katholischen und acht reformierten Predigten zusammengestellt, die je hälftig im Vorkriegsjahr 1938 und im Kriegsjahr 1940 ausgestrahlt wurden und zeitlich im Umfeld von bedeutenden Ereignissen standen wie etwa dem Anschluss Österreichs 1938 oder der Kapitulation Frankreichs 1940.

Die Autorin kommt aufgrund der inhaltlichen Auswertung zum Schluss, dass die Radio-Prediger 1940 propagandistisch intensiver tätig waren als vor dem Krieg. Mit der zunehmenden Gefahr für die Schweiz lancierten die Theologen vermehrt gezielte Appelle an die Hörerschaft: Sie ermahnten sie, ihre christlichen und bürgerlichen Pflichten zu erfüllen, und gaben sich überzeugt, dass nur Gott der oberste Richter sei und der Friede mit Gott auch zum Frieden unter den Völkern führe.

Die Prediger nannten weder Politiker noch Staaten, sprachen weder von Angreifern noch von Opfern. Denn dies hätte den Zensurvorgaben widersprochen. Auffallend ist, dass die katholischen und reformierten Theologen die Schweiz als christliche Nation darstellten, ihre humanitäre und demokratische Tradition und ihre politische Neutralität aber kaum ansprachen. Frappant ist auch, dass sie die Judenverfolgung tabuisierten. Ein weiterer überraschender Befund ist, dass der Berner Radiodirektor, Kurt Schenker, biblisch begründete Abwertungen von Juden nicht zensurierte. Die Radio-Prediger verbreiteten stattdessen Optimismus und forderten die Nation 1940 zum Durchhalten und zum christlichen Glauben auf. Dies lag exakt auf der Linie der Geistigen Landesverteidigung, die den Abwehrgeist gegenüber dem Nationalsozialismus stärken sollte.

Zitierweise:
Sabine Bitter: Rezension zu: Constanze Jecker: SendungsBewusstsein, Kirchliche Kriegskommunikation und die Anfänge der Radio-Predigten in der Schweiz 1925–1945. Freiburg, Academic Press Fribourg / Paulusverlag Freiburg (Schweiz), 2009. (Religion – Politik – Gesellschaft in der Schweiz, hg. von Urs Altermatt, Bd. 49). Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 59 Nr. 3, 2009, S. 377-379.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 59 Nr. 3, 2009, S. 377-379.

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