S. Erlanger: Nur ein Durchgangsland

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Titel
Nur ein Durchgangsland. Arbeitslager und Internierungsheime für Flüchtlinge und Emigranten in der Schweiz 1940–1949


Autor(en)
Erlanger, Simon
Erschienen
Zürich 2006: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
278 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Walter Troxler

Die Basler Dissertation befasst sich mit der Frage, wie die in die Schweiz aufgenommenen Flüchtlinge während des 2. Weltkrieges behandelt wurden. Dass die Arbeit zu Stande gekommen ist, erstaunt umso mehr, wenn man weiss, dass das Gros der von der «Zentralleitung der Arbeitslager für Emigranten» produzierten Akten nicht auffindbar, möglicherweise verloren sind. Aus den im Bundesarchiv vorliegenden Akten und Interviews mit Betroffenen entstand ein facettenreiches Bild der damaligen Zeit.

Nach der Einleitung, die sich mit Aktenlage, Forschungsstand und Fragestellung auseinandersetzt, wird im zweiten Kapitel die Flucht in die Schweiz und die darauf folgende Enttäuschung dargestellt. Die humanitäre und urdemokratische Schweiz internierte die aufgenommenen Flüchtlinge in Heime und Lager. Es gab nur sehr wenig Bewegungsfreiheit, die Arbeit war mehr therapeutisch denn sinnvoll und so lange als möglich war man darauf bedacht, die Flüchtlinge zur Weiterreise anzuhalten. Diese abwehrende Politik hatte Tradition in der Schweiz und wurde zum Teil auch von der jüdischen Kultusgemeinde unterstützt, indem sie sich Selbstkontrollen auferlegte, wie das Beispiel der Jüdischen Nachrichtenagentur (JUNA) zeigte.

Das vierte Kapitel behandelt die Anfangsphase, in welcher erste Heime und Lager eingerichtet wurden. Als sich die Weiterreise als Illusion erwies, nahm die Zahl der Flüchtlinge zu, und es bedurfte einer zentralen Organisation. Die Internierung diente auch dazu, die Lage jederzeit im Griff zu haben und die Ordnung aufrechterhalten zu können. Alle Internierten unterstanden damit dem Bund, was einerseits die Jüdische Gemeinde von der finanziellen Sorge befreite, anderseits eine einheitliche Erziehung förderte. Damit sollte die bevorstehende Weiterwanderung – vorerst dachte man an Amerika, später an Palästina – vorbereitet werden, wobei vor allem handwerkliche Tätigkeiten im Vordergrund standen, welche durch «Erziehung zur Gemeinschaft» ergänzt wurden.

Das zentrale 6. Kapitel legt das System der Lager und das Lagerleben detailliert dar. Da kommen Themen zur Sprache wie Gesundheitsfürsorge, Lagerkoller, Schwarzhandel und Sold, es werden aber auch Angaben zur Unterkunft, zum Personal, zu den Kosten und schliesslich zur Auflösung der Lager gemacht.

Das abschliessende Kapitel befasst sich mit der Frage der Weiterwanderung, die gegen Ende des Krieges erneut aktuell wurde. Auch in diesen Belangen wurden die in der Schweiz wohnhaften Juden zur Finanzierung herangezogen. Während des Krieges war die Weiterreise einerseits wegen der Umstände kaum möglich, andererseits brachte eine Umfrage zu Tage, dass viele Flüchtlinge gar nicht weiterreisen wollten, sondern darauf warteten, wieder in ihre Heimat zurückkehren zu können.

Das Fazit wird dahingehend gezogen, dass die schweizerische Flüchtlingspolitik eine direkte Kontinuität der Überfremdungsabwehr seit den zwanziger Jahren war. Galt es damals, vorwiegend die Niederlassung ostjüdischer Einwanderer zu verhindern, so versuchte man auch in der Kriegszeit die Weiterreise in ein Drittland zu fördern. Die «heile Schweiz» sollte niemals als Ziel der Flüchtlinge gelten. Die Strategie der Verhinderung der Integration hatte Erfolg: Bis auf wenige Hundert hatten bis 1952 alle Flüchtlinge die Schweiz verlassen.

Zitierweise:
Walter Troxler: Rezension zu: Simon Erlanger: «Nur ein Durchgangsland». Arbeitslager und Internierungsheime für Flüchtlinge und Emigranten in der Schweiz 1940–1949. Zürich, Chronos, 2006. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 56 Nr. 4, 2006, S. 485.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 56 Nr. 4, 2006, S. 485.

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