Der Berner Medienjurist, Musikjournalist und Schlagzeuger Samuel Mumenthaler befasst sich in seinem dritten Buch mit der Entwicklung der Berner Rock- Szene in den letzten 50 Jahren. Auslöser dafür war eine 50-teilige Reihe in der Berner Zeitung BZ und im Lokalradio Capital FM, die zwischen Januar und Dezember 2009 veröffentlicht wurde. Nach «BeatPopProtest» 1) über die Schweiz und ihre Musikszene in den 1960er-Jahren und einer Biografie über Polo Hofer 2) orientiert sich Samuel Mumenthaler nun in Form und Inhalt an Albert Kuhns «BE-Rock-Report», einer Serie der Berner Zeitung von 1985, modifiziert sie und hängt weitere 25 Jahre an.
Jedes Kapitel des Buchs wirft anhand eines Musikers oder einer Band ein Streiflicht auf ein Jahr in der Geschichte des Berner Rocks. Der Autor begrenzt diesen Stilbegriff nicht nur auf den Berner Mundartrock, sondern integriert auch andere Berner Musiker, die sich Gehör zu verschaffen wussten oder auf andere Art Akzente setzen konnten. Neben den bekannteren Gesichtern von Polo Hofer, Züri West, Patent Ochsner und anderen, die sich, einem musikalischen Leitmotiv ähnelnd, immer wieder in den Vordergrund drängen, erweist Samuel Mumenthaler so auch heute weniger bekannten Musikern Reverenz und zollt ihrem Beitrag an die Berner Rockgeschichte Respekt.
Das Jahr 1959 als Beginn der Berner Rockgeschichte zu bezeichnen, ist etwas gesucht. Es dient als Aufhänger, um die 50 im Titel versprochenen Jahre voll zu kriegen. Gesucht – im positiven Sinn – sind aber auch die Inhalte der 50 Band- und Musikerportraits. Samuel Mumenthalers akribische Recherchearbeit, die ausführlichen Gespräche mit den Akteuren und seine eigenen Erfahrungen als Teil der Berner Musikszene liefern neben manchem amüsanten Detail einige bisher unbekannte Verbindungen zwischen den Musikern. Warum zum Beispiel der Saxofonist und Klarinettist der Carinas – einer der im ersten Kapitel portraitierten Bands – auf dem Cover der ersten Züri-West-Platte «Splendid» zu sehen ist, weiss Samuel Mumenthaler als Mitbegründer von Züri West natürlich; es ist der Vater des Leadsängers Kuno, Willy Lauener.
Der Autor will mit solchen szenischen Einblicken keine wissenschaftliche Abhandlung zur Geschichte des Berner Rocks liefern, sondern vielmehr Geschichten erzählen, die sich am Ende zu einem Gesamtbild verdichten sollen. Dies gelingt ihm aber nur für die Zeit bis in die 1990er-Jahre wirklich erfolgreich. Für die verbleibenden Jahre ist die Auswahl gefälliger und bringt deutlich weniger neue Erkenntnisse. Es mangelt ihm hier möglicherweise an Material aus seinem grossen Foto- und Dokumentationsarchiv, das er den Aussagen der jüngeren Musiker als Korrektiv hätte gegenüberstellen können. Der bis dahin erfolgreich gewählte Ansatz der Oral History funktioniert nicht mehr.
Leider wurden die besonderen Möglichkeiten der Buchform als Erweiterung der Zeitungsartikelreihe nicht vollständig ausgenutzt. Die Texte aus der Zeitungsreihe wurden für das Buch meist unverändert übernommen und durch weitere Fotos, Dokumentationen sowie eine Bibliografie, eine Auswahl von empfehlenswerten Berner Alben und ein detailliertes Namensregister ergänzt. Obwohl das Register Orientierungshilfe bietet, hätte eine grafische Aufarbeitung, wer wann mit wem spielte, viel zum Verständnis der engen Wechselwirkungen innerhalb des Berner Musikernetzwerks beigetragen. So bietet das Buch nur wenig Mehrwert zur Reihe.
Insgesamt hält das Buch aber, was es verspricht. Es ist eine hochstehende, detailverliebte und trotzdem gut lesbare Materialsammlung, die sich sowohl als Nachschlagewerk als auch als Nachttischliteratur im besten Sinne gut eignet.
1) Mumenthaler, Samuel: BeatPopProtest. Der Sound der Schweizer Sixties. Zürich 2001.
2) 2 Mumenthaler, Samuel: Polo. Zürich 2005.
Zitierweise:
Simon Schweizer: Rezension zu: Mumenthaler, Samuel: 50 Jahre Berner Rock. Oberhofen: Zytglogge Verlag 2009. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 72, Nr. 4, Bern 2010, S. 58-60.