D. Skenderovic: The Radical Right in Switzerland

Cover
Titel
The Radical Right in Switzerland. Continuity and Change, 1945-2000


Autor(en)
Skenderovic, Damir
Erschienen
Oxford 2009: Berghahn Books
Anzahl Seiten
470 S.
Preis
€ 70,03
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von
Georg Kreis, Historisches Seminar/Europainstitut, Universität Basel

Damir Skenderovics geschichtswissenschaftliche Studie über die im gängigen Politpanorama auf der rechten Seite angesiedelten Kräfte füllt unzweifelhaft eine Lücke. Einerseits bietet sie eine Zusammenstellung von zum Teil schwer zugänglichen Daten und einen Überblick zu einer nicht leicht einsehbaren Landschaft. Andererseits, und darin liegt die Hauptleistung, bettet sie die schweizerische Variante der radikalen Rechten in den internationalen Kontext ein. In der kürzlich erschienenen Studie von Eckhard Jesse und Tom Thieme zum Extremismus in den EU-Staaten taucht das Nicht-EU-Mitglied logischerweise nicht auf.1 Skenderovic macht den Fall Schweiz international diskutierbar, allein schon mit der Präsentation in der englischen Sprache, in der wissenschaftliche Verständigung heutzutage vorrangig stattfindet. Die Publikation sorgt mit ihrem Ansatz aber auch dafür, dass die Schweiz in diesem Punkt nicht weiterhin und zu Unrecht als Sonderfall verstanden werden wird.

Es gibt das nur teilweise zutreffende Bild, dass die Schweiz eine Friedensinsel, ein Land der demokratischen Tradition, der politischen Stabilität, der konsensualen Machtteilung, der Rücksicht auf Minderheiten, ja des Multikulturalismus und des wirtschaftlichen Wohlstands sei. Wegen dieser – auch und gerade im Ausland – bestehenden irrigen Vorstellung haben sich die Experten des Rechtsradikalismus für die Schweiz bisher kaum interessiert. Skenderovic weist nun nach, dass es mindestens seit 1945 eine radikale Rechte als politische Familie, als Lager oder als kollektiven Akteur gibt. Sie hat sich mit ihrem Ausschließungsdenken in dieser scheinbar egalitären und tatsächlich pluralisierten Gesellschaft mit bemerkenswertem Erfolg etabliert.

Gegen die bisher dominierende Schule, welche sich vor allem für die strukturellen und an der sozialen Nachfrage orientierten Voraussetzungen von Rechtsradikalismus interessierte, zieht Skenderovic eine akteurzentrierte Betrachtung vor. Zu Beginn (Kap. 2) referiert er zwar auch externe Erfolgsfaktoren. Er schreibt aber einleuchtend den wirtschaftlichen Bedingungen keine determinierende Wirkung zu. Die rechtsradikale Überfremdungsbewegung hat sich in den wirtschaftlich guten 1960er-Jahren etabliert, die "neue" Schweizerische Volkspartei (SVP) dagegen hat von den wirtschaftlich schlechten 1990er-Jahren politisch profitieren können.

Statt die Rechtsradikalen primär als von außen stimuliert zu verstehen, interessiert sich Skenderovic für die Innenverhältnisse und sieht die rechtsradikalen Kräfte vor allem als Agenturen und Ingenieure ihres eigenen Erfolgs. Nur so könne man die Varianten zwischen und in den einzelnen Ländern erklären. Das hat teilweise gewiss seine Berechtigung; es fragt sich aber, warum nicht in einer Kombination beider Zugänge die beste Wahrnehmung gesehen wird. Das Kontextverständnis kommt zu kurz. Skenderovic betont allerdings, dass in der direkten Demokratie (auch eine Art "externer" Voraussetzung) eine stark begünstigende Rahmenbedingung liegt. Der Autor zieht es vor, sehr allgemein von den 1930er-, 1960er-, 1970er-, 1980er- und 1990er-Jahren zu sprechen. Er weist mehrfach darauf hin, dass in der Kombination von "Continuity and Change" in den 1980er-Jahren so etwas wie eine Wende hin zu einer radikalen Massenpartei und in den 1990er-Jahren dann der Durchbruch stattgefunden hat.

Zur Akteurzentrierung gehören die Aufzählung von Aktionseinheiten, Akteurnamen, agierenden Medien, ferner die Benennung der Leitideen und die Belege von ein paar wenigen Zitaten, sodann vor allem die Zusammenstellung von Wählerzahlen und die Gesamtcharakterisierung (Typologien) mit standardisierten, aber variierenden Grafiken. Die Ausführungen zu den Interaktionen innerhalb dessen, was heutzutage schnell als Netzwerk bezeichnet wird, bleiben allerdings blass; sie müssen es in Ermangelung von Quellenmaterial wohl auch bleiben. Unrühmliches Bekanntwerden von Briefen wie derjenige Christoph Blochers (des nachmaligen SVP-Bundesrates) an den Genozidleugner Jürgen Graf von 1997 mit einer anerkennenden Bemerkung zu dessen Buch sind ja eine Seltenheit (vgl. S. 322). Der beschränkte Einblick gestattet kaum neue Angaben zum inneren Funktionieren der Partei und keine qualifizierten Aussagen über die zur Verfügung stehenden Finanzen. Von der Zürcher SVP heißt es beispielsweise, dass sie 1995 mit ihren 1,8 Millionen Franken mehr eingesetzt habe als die SVP-Sektionen der restlichen Schweiz (S. 133). Und in die Abstimmung über die Teilnahme der Schweiz am Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) von 1992 habe der SVP-Führer Christoph Blocher persönlich über eine Million Franken gesteckt (S. 140).

Der historische Exkurs setzt mit einem kurzen Blick auf die Frontenbewegung der Zwischenkriegszeit ein. Von ihr wird treffend gesagt, dass unter anderem die föderalistische Segmentierung das Entstehen einer nationalen Massenbewegung unmöglich gemacht habe, dass die rechtspopulistischen Ideen aber weit in die bürgerliche Mitte hinein Zustimmung gefunden hätten. Während die schweizerischen Fronten eher späte Kopien gesamteuropäischer Bewegungen darstellten, war die schweizerische Anti-Überfremdungsbewegung der 1960er-Jahre, wegen der direkten Demokratie, eine Vorreiterin im westeuropäischen Feld und zugleich eine Wegbereiterin im schweizerischen Rahmen. Als Ein-Themen-Bewegung beschränkte sie sich auf die Migrationsfrage – zunächst auf die Arbeitsmigration, gegen Ende ihrer Zeit leicht erweitert in Richtung der Asylmigration (vgl. 3. Kap.).

Skenderovic unterteilt die Zeit seit 1945 in drei Phasen: die erste von den frühen 1960er-Jahren bis in die mittleren 1980er-Jahre, in denen die Überfremdungsparteien die radikale Rechte ausmachte; dann bis in die frühen 1990er-Jahre, in denen am rechten Rand mehrere Splitterparteien aktiv waren (vgl. Kap. 4); und schließlich die 1990er-Jahre, in denen es der SVP mit einer fulminanten "success story" gelang, sich als starke gesamtschweizerische Rechtspartei zu etablieren. Die Zürcher SVP war in den 1970er- und 1980er-Jahren für das, was in den 1990er-Jahren auf nationaler Ebene umgesetzt wurde, so etwas wie ein Labor für Inhalte, Strategien und Instrumente (vgl. Kap. 5). Der neuen Rechten werden zwei eingehende Kapitel gewidmet (Kap. 6 für die deutsche und Kap. 7 für die französische Schweiz). Der letzte Teil der eigentlichen Analyse (Kap. 8) gilt der extremen Rechten mit ihrem ideologischen-propagandistischen und dem gewalttätigen Flügel. Der eine war bereits in den 1950er-Jahren aktiv, der andere seit den 1980er-Jahren, zum Beispiel mit Anschlägen auf Asylunterkünfte.

Die wichtigste Leistung dieser Innenansicht besteht in der Binnenkategorisierung der verschiedenen Strömungen. Dem Autor ist die Unterscheidung zwischen radikaler und extremer Rechter wichtig. Nicht ganz schlüssig ist die Situierung der radikalen Variante als überdachendes Phänomen und zugleich auf der unteren Ebene in Abgrenzung zur Extremvariante. Einleuchtend ist bei vielen Gemeinsamkeiten bezüglich Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und ambivalenter Einstellung zum Staat die Unterscheidung zwischen der systemablehnenden-ausschließenden und alle Kampfmittel (auch Gewalt) gutheißenden Grundhaltung bei den Extremen einerseits und der systembejahenden-einschließenden Grundhaltung bei den Radikalen andererseits.

Was macht denn das Radikale aus? Es ist das an der Transformation der SVP in den 1990er-Jahren ablesbare, nicht konsensorientierte Betonen von Unterschieden zum Rest des Systems, der bekanntlich gerne als "classe politique" oder als "establishment" (um einen 68er-Terminus zu verwenden) bezeichnet wird. Diese Haltung ist populistisch, weil vor allem auf Mehrung der einfachen Basiszustimmung ausgerichtet. Eine spezielle Kategorie zwischen extremer und radikaler Rechter bildet die intellektuelle Formation der Neuen Rechten mit ihren ideologischen und konzeptionellen Beiträgen. Zu ihr zählt der Verfasser nachvollziehbarerweise die beiden schweizerischen Historiker Peter Stadler (S. 220ff.) und Wolfgang von Wartburg (S. 294). Doch die Abgrenzung gegen die Mitte ist schwierig, die Übergänge sind fließend. Während den Unterscheidungen am rechten Rand einige Überlegungen zu Gute kommen, bleibt auf der anderen Seite die Unterscheidung zwischen radikalen und gewöhnlichen Rechten unterbelichtet. Letztere sind offenbar einfach die Konservativen. Eine Veranschaulichung der beiden Kategorien findet man (oder fand man) im Unterschied der Zürcher und der vormaligen Berner SVP. Skenderovic wollte nicht einfach eine Geschichte der SVP schreiben; ihm war es wichtig, diese im Kontext der ganzen rechtsradikalen "Familie" zu erfassen. Er hat denn auch andere Kräfte durchaus aufgezeigt. Das Interagieren der SVP "in array of other groups" (S. 341) wird aber nicht wirklich sichtbar und darum auch nicht die Bedeutung des Ensembles. Es muss eine Vermutung bleiben, dass es gegenseitige Stützungseffekte gegeben hat.

In seinen Schlussfolgerungen (Kap. 9) hebt der Autor hervor, dass die radikale Rechte der Schweiz, analog zu Bewegungen in Westeuropa, eine hohe organisatorische Komplexität aufweise und die Interaktionen im Rahmen der rechtsradikalen "Familie" es rechtfertigen würden, sie als einen kollektiven Akteur mit gemeinsamer Identität zu bezeichnen. Man kann dem Autor folgen und den Zulauf der SVP nicht als Folge wachsender Verunsicherung sehen, sondern vor allem als das Ergebnis der eigenen Anstrengungen. Wichtige Momente dieses Selbstaufbaus waren die stark vom Sonderfalldenken geprägten Abstimmungen zum UNO-Beitritt (1986) und zum EWR-Beitritt (1992). Die SVP schuf sich als "designer" und "builder" selber. Eine wichtige, in einem anderen Buch zu behandelnde Anschlussfrage wäre: Warum haben die anderen, die Mitteparteien und die Linken, dem kaum etwas entgegenzuhalten?

Skenderovics Studie weist überzeugend nach, dass die Schweiz bezüglich der starken Präsenz von organisierten rechtsradikalen Kräften alles andere als ein Sonderfall ist, weshalb diesbezüglich der in manchen anderen Bereichen gerne wahrgenommene Exzeptionalismus überhaupt nicht angebracht ist.

Anmerkung:
1 Eckhard Jesse / Tom Thieme (Hrsg.), Extremismus in den EU-Staaten, Wiesbaden 2011.

Redaktion
Veröffentlicht am
01.04.2011
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