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H-Soz-Kult
 

Das Historische Buch 2006

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Offene Kategorie
Bildgeschichte - Geschichte der Bilder
Thematischer Schwerpunkt 2007
Publikumspreis

Publikumspreis

Essay von Rüdiger Hohls für H-Soz-Kult

1. Rang (60 Punkte, 13 Voten)

Müller, Philipp: Auf der Suche nach dem Täter. Die öffentliche Dramatisierung von Verbrechen im Berlin des Kaiserreichs. Frankfurt am Main 2005.

In seiner am Europäischen Hochschulinstitut Florenz entstandenen Dissertation interessiert sich Philipp Müller für die öffentliche Darstellung und Wahrnehmung von Verbrechen im wilhelminischen Berlin. Er untersucht, wie Zeitgenossen die Berichterstattung der hauptstädtischen Massenpresse aufnahmen und konkret in Handlungen umsetzten, sei es dass sie der Polizei Beobachtungen mitteilten, vermeintliche Verbrecher anzeigten oder verfolgten. Sein Augenmerk liegt also weniger auf der Kriminalität selbst, als vielmehr auf den öffentlichen und aktiven Wechselwirkungen zwischen allen beteiligten Akteuren: der Polizei, den Journalisten, den Lesern und auch den Tätern. Nils Freytag für H-Soz-Kult


 

2. Rang (52 Punkte, 14 Voten)

Aly, Götz: Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus. Frankfurt am Main 2005.

Der Name des Autors bürgt für originelle und mitunter provokante Thesen. Spätestens seit "Vordenker der Vernichtung" ist Götz Aly zu den wenigen Spezialisten hinzu gestoßen, die mit hervorragender Quellenkenntnis wirklich neue Einsichten in die NS-Vernichtungspolitik ermöglichen. Wolfram Meyer zu Uptrup für H-Soz-Kult

Die Thesen Goldhagens interessiert heute nur noch die Rezeptionsforschung. Was bleibt von Alys "Volksstaat"? Obwohl Aly in seinem Hauptanliegen scheitert, das NS-Regime als umverteilende Wohlfahrtsdiktatur zu beschreiben, wird von seinem Buch mehr bleiben als von Goldhagens "willing executioners", weil er die NS-Forschung in zweierlei Hinsicht mindestens zu kritischer Gegenrede inspirieren wird, meines Erachtens auch weiterbringt. Zum einen ist ihm mit der Beschreibung der Ausbeutung der besetzten Gebiete durch das Deutsche Reich und seine Soldaten ein großer Wurf gelungen. So detailliert ist die Funktionsweise der Reichskreditkassenscheine noch nicht beschrieben worden, und die Bedeutung der Feldpostpakete für die materielle Versorgung der Bevölkerung im Reich erkannt zu haben, ist, wenn wir Alys Zahlen Glauben schenken dürfen, tatsächlich ein Verdienst. Aly hat darüber hinaus in viel stärkerem Maße, als dies bisher geschehen ist, darauf verwiesen, dass eben nicht nur Industrieunternehmen, Banken und Versicherungen von Krieg und Holocaust profitierten, sondern auch die "kleinen Volksgenossen". Zum anderen ergibt das Zusammenspiel des Versuchs, die Heimatfront durch materielle Bestechung ruhig zu halten und die dafür erforderliche Forcierung der Ausplünderung des Auslands und der europäischen Juden eine Dynamik, die sehr plausibel wirkt. Die Erklärung der Radikalisierung nicht nur des NS-Regimes sondern der ganzen deutschen Gesellschaft bedarf daher nicht des Rekurrierens auf angeblich spezifisch deutsche Dispositionen, sondern wird, wenn man so will, "rationalisiert". Mark Spoerer für H-Soz-Kult

Sechzig Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht treibt die deutsche Gesellschaft immer noch die Frage um, warum das Ende des Krieges und des NS-Regimes so lange hatte auf sich warten lassen und warum es ohne innerdeutsche Eruptionen einzig dem militärischen Erfolg der Feindmächte zuzuschreiben - oder zu verdanken? - war. Diese geschichtliche Neugierde läßt sich nur durch die Summe bislang noch lückenhafter Teilantworten befriedigen, denen der Historiker und Journalist Götz Aly eine höcht aufschlußreiche hinzufügt. Sie wird die öffentliche Kontroverse über den historischen Stellenwert des alliierten Sieges als nationale Katastrophe oder Befreiung vom Terror neu impulsieren, weil der Autor das Herrschende und Beherrschte miteinander verknüpfende Beziehungsgeflecht zumindest an einem Knotenpunkt als geradezu unauflöslich exemplifiziert.[...] Von seiner Problemstellung her fügt sich das Buch in die Reihe zahlreicher Untersuchungen zum Verhältnis von Volk und Staat während der nationalsozialistischen Zeit ein und führt sie ein gutes Stück weiter. Von Walter H. Pehle kompetent lektoriert, erfüllt es die Kriterien spannender Lesbarkeit, so daß durchaus Voraussetzungen für eine weite Verbreitung bestehen.
Hans-Erich Volkmann (FAZ, 16.03.2005)
http://www.faz.net/s/RubC17179D529AB4E2BBEDB095D7C41F46...html

Wenn "Hitlers Volksstaat" trotzdem bei einem breiten Publikum zu dem großen Sachbuch-Bestseller wird, der es jetzt schon zu werden verspricht, dann könnte das auch daran liegen, daß das Buch ein ziemlich perfektes Missing link zwischen den beiden großen Themen ist, die die Deutschen im Moment obsessiv in die Kinos und an die Büchertische treibt: die Geschichte des Nationalsozialismus und die Zukunft des Sozialstaats. [...] Noch spannender und beunruhigender als dieses Buch ist deshalb jetzt eigentlich nur die Frage, wie damit nun umgegangen wird.
Peter Richer (FAZ, 13.03.2005)
http://www.faz.net/s/RubC17179D529AB4E2BBEDB095D7C41F46...html

Nie zuvor ist der symbiotische Zusammenhang zwischen »Volksstaat« und Verbrechen, zwischen den attraktiven und kriminellen Elementen des Nationalsozialismus so scharfsinnig und einleuchtend dargestellt worden. Dieses Buch gehört zu jenen seltenen Werken, die unseren Blick auf die düsterste und folgenreichste Periode der deutschen Geschichte neu schärfen.
Volker Ullrich (Die Zeit, 10.03.2005)
http://www.zeit.de/2005/11/P-Aly?page=all

[...] ein wichtiges, höchst beachtenswertes Buch. Aly gebührt das Verdienst, als Erster die vertrackte und höchst schwierige Materie der antijüdischen Enteignung im besetzten Europa und ihren Zusammenhang mit den Kontributionen an NS-Deutschland herausgearbeitet zu haben. Dies ist ein Erkenntnisfortschritt, der nachhaltige Wirkungen auf die zukünftige Forschung ausüben wird. Die Verinselung der Holocaust-Forschung auf den jeweiligen nationalen Kontext ist bereits vielfach beklagt worden. Für das Thema der antijüdischen Enteignung hat Aly diese reduzierte Perspektive beispielhaft überwunden und den Blick auf Zusammenhänge gerichtet, die oft übersehen werden. Hier gelingen ihm immer punktgenaue Analysen und griffige Formulierungen. Selten zuvor ist das Wesen der NS-Finanzpolitik so eindringlich und prägnant beschrieben worden. Vor allem das Unterkapitel "Spekulative Politik" ist ein kleines sprachlich-analytisches Meisterstück. Selten zuvor ist die Frage nach den Bindekräften der NS-"Volksgemeinschaft" derart ins Zentrum einer Darstellung gerückt worden, auch wenn die gegebenen Antworten nicht ausreichen. Der hier vorgenommene Perspektivwechsel ist schon deswegen verdienstvoll, weil er ein wichtiges Korrektiv gegen das neue deutsche Opfer-Selbstbild darstellt, wie es in der anschwellenden Bücherflut zu den Themen Bombenkrieg, Vertreibung und Kriegskinder zum Ausdruck kommt.
Frank Bajohr (sehepunkte)
http://www.sehepunkte.de/2005/07/8194.html


 

3. Rang (45 Punkte, 11 Voten)

Burke, Peter: Was ist Kulturgeschichte? Frankfurt am Main 2005.

Zweifellos: Hier ist einem Meister ein souveräner Entwicklungsüberblick und eine bedeutende Standortbestimmung seines Fachgebiets gelungen, ohne dass er hegemoniale Ansprüche erheben würde. Wolfgang E. J. Weber für H-Soz-Kult

Die Darstellung des Entwicklungsgangs und der Inhalte der Kulturgeschichte ist, wie von einem Meister des Faches nicht anders zu erwarten, breit gefächert, außerordentlich luzide, sehr lehrreich, kritisch und differenziert. Die empirischen Beispiele, mit deren Hilfe Burke Methoden, Probleme und Ergebnisse verschiedener Phasen der Kulturgeschichte anschaulich macht, stammen nach dem Ende der 'großen Tradition' überwiegend aus der englischen, amerikanischen, französischen und italienischen Historiografie, aber die von Burke zur Illustration seiner Aussagen gewählten Werke liegen fast alle auch in Übersetzung vor. "Was ist Kulturgeschichte" lässt sich somit auch ohne Bedenken als Lektüre für Einführungsseminare empfehlen. Das Einzige, was man vielleicht vermissen könnte, wäre ein Verweis auf die neuere kritische Diskussion der Entstehung der "Volksgeschichte" in den 1920er- und 1930er-Jahren, die bei der Entwicklung der Geschichte der Volkskulturforschung weitgehend ausgespart bleibt.
Andreas Fahrmeir (sehepunkte 6 (2006), Nr. 7/8)
http://www.sehepunkte.historicum.net/2006/07/11149.html

Was ist Kulturgeschichte? - Unter anderem, wenn man sich traut, einen zweihundert Seiten kurzen Text zu schreiben, der höchst anregende Einblicke in eines der innovativsten historischen Fachgebiete der letzten Jahrzehnte bietet. Gelungen ist dies dem englischen Historiker Peter Burke, der sich nicht nur durch die Publikation wichtiger Beiträge zur Kulturgeschichte der frühen Neuzeit, sondern auch durch einen scharfsichtigen Blick auf die historiographischen Entwicklungen der Gegenwart hervorgetan hat.
Alexis Schwarzenbach (Neue Zürcher Zeitung, 18.10.2005)


 

4. Rang (39 Punkte, 11 Voten)

Schwerhoff, Gerd: Zungen wie Schwerter. Blasphemie in alteuropäischen Gesellschaften 1200 - 1650. Konstanz 2005.

Die Rede von der Blasphemie hat wieder Konjunktur. Im Zeitalter des ‚iconic turn’ ist es wohl kein Zufall, dass im Mittelpunkt der jüngsten Blasphemie-Debatte die Sprache der Bilder stand: Angesichts der umstrittenen Mohammed-Karikaturen und der TV-Aufnahmen von weltweit aufgebrachten Muslimen reagierten die europäischen Medien mit dem gleichsam beschwörenden Verweis auf die prinzipiell unantastbare Meinungs- und Pressefreiheit der westlichen Demokratien. Kann der vermeintlich laxe Umgang mit der Blasphemie im säkularen Westen demnach in seiner historischen Perspektive als Fortschritts- und Modernisierungserzählung präsentiert werden? Ist die Kunst der Blasphemie gar ein "Signum der Moderne"? Nein, meint Gerd Schwerhoff schon auf den ersten Seiten seiner Studie über Blasphemie in den alteuropäischen Gesellschaften, eine simple "Entgegensetzung von ‚frommer’ Vormoderne’ und ‚lästernder Moderne’" sei "verkürzt". Insofern helfen lineare Entwicklungsmodelle nicht weiter, vielmehr ist nach Schwerhoff eine "Neubestimmung der Religionsgeschichte"geboten, welche die Blasphemie in ihre jeweiligen historischen Kontexte einordnet - eine Aufgabe, der sich Schwerhoff in dieser gestrafften Version seiner Bielefelder Habilitationsschrift von 1996 stellt. Christian Jaser für H-Soz-Kult

Schwerhoffs anschauliches Buch behandelt mit der Blasphemie ein Phänomen, das die Historiker einmal als Indiz für schwelenden Atheismus, einmal als Zeichen einer besonderen Glaubensintensität gedeutet haben (…)Diskussionsstoff bietet die material- und ideenreiche Studie nicht zuletzt dank ihrem Zeitrahmen vom Mittelalter bis ins 17. Jahrhundert. Die Reformation des 16. Jahrhunderts markiert für Schwerhoff nicht den grossen Bruch, den man vielleicht hätte erwarten können. Im Kampf gegen die Gotteslästerung zumindest seien sich die Konfessionen einig gewesen: Im 16. und 17. Jahrhundert vermehrten sich überall die Verbote der Gotteslästerung wie auch die Sanktionsinstanzen. Blasphemie sei zu einem "Leitdelikt" der Polizei- und Kirchenordnungen geworden, welche die Herstellung sittlicher Verhältnisse zum Ziel hatten und sich dabei auf die Abwendung göttlicher Kollektivstrafen beriefen.
Caroline Schnyder (Neue Zürcher Zeitung, 8.02.2006)


 

5. Rang (35 Punkte, 8 Voten)

Schöne, Jens: Frühling auf dem Lande? Die Kollektivierung der DDR-Landwirtschaft. Berlin 2005.

Jens Schöne kommt das Verdienst zu, eine gut lesbare, zugespitzte und hochinteressante Darstellung von hoher Erklärungskraft zu einem nicht ganz einfachen Thema der Formierungsphase der 1950er-Jahre der DDR verfasst zu haben.
Theresia Bauer (sehepunkte 6 (2006), Nr. 3)
http://www.sehepunkte.de/2006/03/8381.html