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H-Soz-Kult
 

Das Historische Buch 2007

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Entangled History: nationale und europäische Geschichte in globaler Perspektive
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Neueste Geschichte

Essay von Irmgard Zündorf für H-Soz-Kult

1. Rang (100 Punkte, 18 Voten)

Friedländer, Saul: Das Dritte Reich und die Juden. Bd. 2: Die Jahre der Vernichtung : 1939 - 1945. München: C.H. Beck Verlag 2006.

Saul Friedländer ist ein beeindruckendes Buch gelungen. Dabei ist sein Vorhaben, denkt man an die Bände von Wolfgang Benz und Leni Yahil, nicht unbedingt neu. Aber im Unterschied zu seinen Vorgängern profitiert er von einer in den letzten Jahren erreichten Erweiterung und Vertiefung der Holocaustforschung sowie von den zahlreich erschienenen Selbstzeugnissen. Die Fülle an Forschungsergebnissen nicht nur zu kennen, sondern kompositorisch mit den Tagebüchern der Opfer so zu verweben, dass eine Geschichte des Massenmords und aller daran Beteiligten entsteht, ist ein historiographischer Meilenstein. Peter Klein für H-Soz-Kult

Man kann Friedländers Schilderung der "Endlösung der europäischen Judenfrage" nur mit tiefer Erschütterung und Ergriffenheit, als Deutscher zugleich mit einem Gefühl der Beschämung, aus der Hand legen. Sie berichtet von der Entrechtung und Ermordung der mehr als fünf Millionen Juden, die dem Zugriff der Schergen Hitlers erlagen und Jahre langer erniedrigender Unterdrückung und qualvollem Tod ausgesetzt waren.
Hans Mommsen (FR 02.10.2006)
http://www.fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_medie...

Was in den meisten Darstellungen zur Verfolgung der Juden getrennt behandelt wurde – hier wird es zusammengeführt. Mit anderen Worten: Dies ist die erste Gesamtgeschichte des Holocaust, die diesen Namen auch verdient.
Volker Ullricht (Die Zeit 28.09.2006)
http://www.zeit.de/2006/40/P-Friedlaender

In ihrer Eindringlichkeit erinnert die Darstellung dieser maßlosen Tragödie an das Filmkunstwerk von Claude Lanzman. Der Chor der Stimmen - das ist Saul Friedländers Absicht - unterbricht die glatte historische Erzählung und "die (meist unwillkürliche) Selbstgefälligkeit wissenschaftlicher Distanz und ,Objektivität'" in der Tat höchst eindrucksvoll. So sind tiefe Fassungslosigkeit und nüchterne Gründlichkeit in einem Werk zusammengeflossen, das mehr ist als ein Höhepunkt internationaler Zeitgeschichtsschreibung: Es ist das historiographische Denkmal für die ermordeten Juden Europas.
Klaus-Dietmar Henke (FAZ 04.10.2006)
http://www.buecher.de/w1100485faz3406549667

Dieses Buch ist eines der wenigen, vielleicht das erste aus der Hand eines Historikers, das für die Beschreibung und Analyse der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden eine angemessene Form findet: durch die Vielzahl der Schauplätze und Perspektiven, durch die erzählerische Kraft und den zurückhaltenden, klaren Stil des Autors, und dadurch, dass Friedländer immer wieder diejenigen in den Mittelpunkt stellt, die litten und starben. Es sind die Stimmen der Opfer, die alle Versuche, die Geschichte des Holocaust über einen Leisten zu schlagen, scheitern lassen. Nur auf diese Weise, so betont Friedländer mehrfach, könne die Geschichtsschreibung der Gefahr der „domestizierten Erinnerung” an dieses beispiellose Geschehen entkommen.
Ulrich Herbert (SZ 29.09.2006)
http://www.buecher.de/w1100485sz3406549667


2. Rang (52 Punkte, 12 Voten)

Baberowski, Jörg; Doering-Manteuffel, Anselm: Ordnung durch Terror. Gewaltexzesse und Vernichtung im nationalsozialistischen und stalinistischen Imperium. [Dietrich Beyrau zum 65. Geburtstag]. Bonn: J.H.W. Dietz Nachf. 2006.

Die Biologisierung und Ethnisierung der bolschewistischen Feindrhetorik könne als Antwort auf die nationalsozialistische Vernichtungspraxis im Osten verstanden werden. In diesem Sinne hätten beide Regime voneinander gelernt. "[...] weil die Opfer sich in der Rassenordnung der Nationalsozialisten bewegen mußten, nahmen auch die bolschewistischen Führer ihre Umgebung als eine Arena des interethnischen Konflikts wahr. Als die Rote Armee im Dezember 1941 die Stadt Rostov am Don für kurze Zeit für sich zurück eroberte, ließ das NKVD alle ‚Volksdeutschen’ und Armenier verhaften. Als die deutsche Wehrmacht die Stadt Anfang 1942 wieder in ihren Besitz brachte, ermordete die Einsatzgruppe D alle in Rostov noch verbliebenenen Juden", lautet ein Beispiel für die Logik der wechselseitigen Beeinflussung ethnisierter Feindbilder, wie Baberowski und Doering-Manteuffel sie darstellen und analysieren. Jürgen Zarusky für H-Soz-Kult

Knapp und fesselnd stellen die Autoren dar, wie die Begriffe von Nation und Imperium jeweils neu angelegt wurden und als Folien anzustrebender Gleichförmigkeit dienten. [...] Vergleicht man die Betrachtungsweise dieses Essays, der ein Referenzpunkt der künftigen historisch-politischen Reflexion sein wird, mit der des Historikerstreits, dann wird deutlich, daß die Frage nationaler und kultureller Zugehörigkeit sich heute ganz anders stellt. Nicht in der Nation oder im Postnationalen liegt die Gefahr, sondern im längst stattfindenden Kampf um neue transnationale Zugehörigkeitsregeln.
Michael Jeismann (FAZ 18.12.2006)
http://www.faz.net/s/RubC17179D529AB4E2BBEDB095D7C41F46...html


3. Rang (42 Punkte, 10 Voten)

Kühne, Thomas: Kameradschaft. Die Soldaten des nationalsozialistischen Krieges und das 20. Jahrhundert. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006.

Die Habilitationsschrift Thomas Kühnes nimmt sich nun erstmals systematisch einer mythisch begründeten soldatischen Kameradschaft an und will damit nicht nur die Möglichkeitsbedingungen der verbrecherischen Dimension des Ostkriegs erklären. Das Kameradschaftskonzept ist für ihn darüber hinaus der Schlüssel zur Frage, warum die deutsche Wehrmacht einen lange verlorenen Krieg zu Ende kämpfte. Magnus Koch für H-Soz-Kult

Das besondere Verdienst der äußerst innovativen Untersuchung, deren Lesbarkeit leider bisweilen durch ein allzu nachlässiges Lektorat beeinträchtigt wird, besteht darin, daß sie das Augenmerk auf einen besonders wichtigen Aspekt der Mentalität deutscher Soldaten richtet, dem bisher wenig Beachtung geschenkt wurde. Der Begriff der Kameradschaft wird umfassend und brillant in sämtlichen denkbaren Facetten durchleuchtet, und Kühnes Ausführungen ist in dieser Hinsicht nichts hinzuzufügen.
Jochen Böhler (WLA 26.09.2006)
http://www.buch-magazine.de/wla/artikel-detail.php?arti...

Warum hielten die Landser bis zum bitteren Ende durch? Die Antwort auf diese Frage liege "nicht nur im Antisemitismus oder Antikommunismus der Soldaten", im Glauben an Hitler oder im Repressionsapparat der Militärjustiz, sondern auch und vor allem in der Kameradschaft. Die militärische Kardinaltugend ließ sich nach Meinung von Thomas Kühne nach 1945 einerseits als "Inbegriff alles ,Guten' im Krieg", als Inbegriff von gegenseitiger Fürsorge, Anteilnahme und Opferbereitschaft hinstellen. Andererseits erscheine sie heutzutage eher als Synonym für männerbündische Machenschaften und menschenverachtende Gewalt als "eine Brutstätte des ,Bösen' schlechthin". Beide Sichtweisen seien in ihrer moralisierenden Einseitigkeit falsch, könnten aber - "historisch verflüssigt" - das "Mitmachen" in der Wehrmacht erklären.
Rainer Blasius (FAZ 16.08.2006)
http://www.faz.net/s/RubA330E54C3C12410780B68403A11F948...htm


4. Rang (38 Punkte, 10 Voten)

Tooze, Adam: The wages of destruction. The making and breaking of the Nazi economy. London [u.a.]: Allan Lande, The Penguin Press 2006.

Alles in allem hat Tooze eine flüssig lesbare, ja bisweilen packende Darstellung vorgelegt, in der er mitunter auch vor Dramatisierungen nicht zurückschreckt. Jedoch hätte an manchen Stellen eine Straffung des epischen Textes die Lesbarkeit und Handhabbarkeit noch erhöht. In jedem Fall ist der Band jedoch allen – also über den Kreis der Wirtschaftshistoriker/innen hinaus – an der Geschichte des NS-Regimes Interessierten dringend zu empfehlen. André Steiner für H-Soz-Kult

Dieses Buch besitzt das Potential, zu einem Referenzwerk über die Wirtschaftsgeschichte des Dritten Reiches zu werden. Zumindest wird es für Diskussionen sorgen, denn der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze erhebt den Anspruch, gegenüber älteren Zusammenfassungen des Themas erstmals die neuere Spezialliteratur angemessen in eine Gesamtdarstellung eingebaut zu haben.
Gerald Braunberger (FAZ 11.06.2007)
http://www.faz.net/s/Rub2E8C985607B44756884B7A1383CD205...html

Bereits im Vorwort hebt Tooze als seine Hauptthese hervor, dass das wirtschaftliche Potenzial Deutschlands zu gering gewesen sei, um ganz Europa zu überwältigen. In diesem Zusammenhang ist ein Argumentationsstrang besonders wichtig, der das gesamte Buch durchzieht, nämlich der, dass das Regime von Anfang an eine Totalmobilisierung der Wirtschaft für den Krieg anstrebte. Es gab demnach keine Phase reiner Arbeitsbeschaffung, bevor die Aufrüstung einsetzte, und die ersten Kriegsjahre waren eben nicht von einer dem angeblichen Blitzkriegskonzept entsprechenden und der Schonung der Zivilbevölkerung dienenden friedensähnlichen Kriegswirtschaft geprägt.
Christoph Buchheim (Die Zeit 28.06.2007)
http://www.zeit.de/2007/27/P-Tooze-neu

Tooze lässt keinen Zweifel daran, dass dabei Hitlers Charisma und seine rabiate Ideologie vom "Volkstumskampf" - insbesondere gegen Juden und Slawen - eine wichtige Rolle spielten. Ebenso entscheidend war jedoch, dass es "die Allianz von Regime und Privatwirtschaft" bzw. "der brutalsten NS-Ideologen ... mit den Schwergewichten aus dem deutschen Unternehmertum" (Tooze) war, die der deutschen Kriegsmaschine jene fürchterliche Gewalt verlieh, die das Regime rücksichtslos einsetzte. Der Autor macht jedoch deutlich, dass diese Allianz nichts ändert am "Primat der Politik" - das heißt an der Hauptverantwortung der verbrecherischen nationalsozialistischen Elite in Staat, Partei und Armee, die ihren Willen auch gegen jede wirtschaftliche Zweckmäßigkeit durchsetzte.
Rudolf Walther (taz 19.05.2007)
http://www.taz.de/index.php?id=archiv&dig=2007/05/19/a0022


5. Rang (36 Punkte, 7 Voten)

Jelavich, Peter: Berlin Alexanderplatz. Radio, film, and the death of Weimar culture. Berkeley [u.a.]: University of California Press 2006.

Adelheid von Saldern hat, neben anderen, kritisch auf diese einseitige Kategorisierung der Weimarer Kultur hingewiesen und fließendere Übergänge zwischen der Republik und dem NS-Staat betont. Auch Peter Jelavichs Studie "Berlin Alexanderplatz. Radio, Film, and the Death of Weimar Culture" interpretiert Hitlers Machtergreifung nicht als den entscheidenden kulturpolitischen Wendepunkt, sondern datiert das Ende pluralistischer und experimenteller Kulturproduktionen vielmehr auf das Jahr 1931. Danach wurden, so argumentiert Jelavich, vor allem aus Angst vor Nazi-Unruhen rechtsgerichtete Themen besonders betont. Nadine Rossol für H-Soz-Kult

He [Jelavich] argues that Weimar culture--by which he means its avant garde--was dead by late 1931, not January 1933, done in by a combination of political, commercial, aesthetic and technological pressures. This timeline matters, because it shows how voices could be suppressed under a democratic government in a society that respected the rule of law.
Julia Sneeringer (H-German 09/2006)
http://www.h-net.org/reviews/showrev.cgi?path=223131164...