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H-Soz-Kult
 

Das Historische Buch 2009

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Mittelalterliche Geschichte

Essay von Harald Müller für H-Soz-Kult

1. Rang

Ubl, Karl: Inzestverbot und Gesetzgebung. Die Konstruktion eines Verbrechens (300 - 1100). Berlin [u.a.] 2008.

Die Arbeit bietet profunde Quellenanalyse auf der Basis breiter Literaturverarbeitung. Ubl bewegt sich sicher in den Untiefen der vorgratianischen Kanonessammlungen, kennt die umfangreiche einschlägige Literatur und hat keine Angst, immer wieder die Quellen sprechen zu lassen, schreibt sprachlich glatt, scheut gelegentlich auch nicht vor Modernismen zurück. Einige Resultate kommen zwar mangels Quellen nur als „ansprechende Vermutungen“ daher, der Grundthese ist jedoch zuzustimmen: Sozialwissenschaftlicher Funktionalismus (Malinowski, Lévy-Strauss, Goody) könne den Wandel des Inzestverbots zwischen 300 und 1100 nicht erklären. Hingegen standen „Gesetze zur Ausdehnung von Exogamie [...] dort im Mittelpunkt der Gesetzgebung, wo Großreiche nach dem Zerfall antiker Staatlichkeit an der Intensivierung überregionaler Kommunikation innerhalb des Adels interessiert waren“ (S. 497). Das Buch ist durch sorgfältig gestaltete Register gut erschlossen, es stellt einen Meilenstein in der Erforschung der Inzestgesetzgebung dar. Ludwig Schmugge für H-Soz-Kult


2. Rang

Fried, Johannes: Das Mittelalter. Geschichte und Kultur. München 2008.

Als ein „Jahrtausend-Programm“ bezeichnet Johannes Fried zu Recht seinen Überblick über die Genese der abendländischen Gesellschaft und Kultur zwischen 500 und 1500 n.Chr. Er spannt einen historiografischen Bogen von Boethius bis Botticelli, der nicht nur in seiner zeitlichen und geografischen Breite, sondern auch in der Kombination von politischer Geschichte mit Kultur-, Kirchen-, Wirtschafts-, Technik- und Bildungsgeschichte neuartig ist. […] Ungeachtet vereinzelter manieristischer Blüten zeichnet die farbige, flüssige Textur von Frieds preisgekrönter Wissenschaftsprosa auch dieses Werk aus. Kurzweilige, narrative Versatzstücke und die Darstellungsform, die einen mühelosen Wiedereinstieg in das Werk ermöglicht, machen die Monografie zusätzlich attraktiv. […] Insgesamt handelt es sich um eine umfassende, methodisch durchdachte und gut strukturierte, in ihrer Komplexität jedoch nicht zu unterschätzende Überblicksdarstellung der Hauptentwicklungslinien der kulturellen, bis in die Gegenwart wirkenden Evolution des europäischen Abendlandes. Fried beleuchtet das Mittelalter mit einem neuen, vom Vernunftgedanken gespeisten Licht und eröffnet somit eine frische Sichtweise auf ein missverstandenes Jahrtausend, die durchaus zur Dekonstruktion ausgewählter Stereotypen der Mittelalterrezeption beitragen kann. Durch die Verknüpfung der Erkenntnisse verschiedenster historischer Teildisziplinen entsteht ein hochkomplexes, interkulturell geprägtes Epochenbild, das durch Freude an der Lektüre besticht. Als ein solches sei es dem interessierten, vorgebildeten Laien empfohlen. Isabel Blumenroth für H-Soz-Kult

"Der Gebrauch der Vernunft verdankte sich nicht erst jener Aufklärung des 17. und 18. Jahrhunderts; seine ,Wiedergeburt', die Konzentration nämlich auf eine in Regeln gefasste und damit kritisierbare Logik und Dialektik, die allmähliche Herausbildung formallogischer Operationen, wie sie die Entwicklungspsychologie beschreibt, setzte Jahrhunderte früher, bald ein Jahrtausend vor Kant, am Hof Karls des Großen ein, intensivierte sich im 10. Jahrhundert, steigerte sich durch fortgesetzte kulturelle Rückkopplung und gestattete dem Königsberger, sich von den Schultern ihm fremder Riesen herab umzusehen und weiter zu denken. Europa war längst vor der ,Neuzeit' aufgebrochen, um im Wechselspiel von Erfahrung und kritischem Denken die Welt zu erkunden."
Mit stupender Gelehrsamkeit belegt Fried seine These seit den Zeiten des Boethius und lässt kein Gebiet des Wissens aus, […] vor allem aber zeigt er, dass das kategoriale, rationale Denken alle Bereiche des praktischen Lebens zu durchdringen begann. In einzigartig narrativer Verdichtung stellt er wieder und wieder totale Geschichte her und evoziert dabei eine nicht willkürliche, sondern vernunftgeleitete Vernetzung des menschlichen Daseins. Am besten ist der Verfasser aber, wenn er Argument an Argument reihen kann und die sich gegenseitig stützenden Befunde präsentiert; dann wird er in mitreißender Sprache geradezu ein Rhapsode der mittelalterlichen Vernunft.
Michael Borgolte (FAZ vom 08.01.2009, Nr. 6 / Seite 35)
http://www.faz.net/s/RubC17179D529AB4E2BBEDB095D7C41F46...html


3. Rang

Davis, Natalie Zemon: Leo Africanus. Ein Reisender zwischen Orient und Okzident. Berlin 2008.

Natalie Zemon Davis hat mit Leo Africanus die intellektuell ambitionierte Antwort auf Samuel Huntingtons "Clash of Civilizations" geschrieben. Sie eröffnet dem Leser ohne pompöses theoretisches Brimborium den Entwurf einer Wissenschaft, die die Tricks, die Wandlungen und Ausweichmanöver von Menschen und Texten in den Blick nimmt. Das Flüchtige erscheint normal, der Mittler zwischen Christentum und Islam ist eine stetigere und zuverlässigere Figur als der eifernde Prediger
Nils Minkmar (FAZ 28.11.2008, Nr. 279 / Seite L14)
http://www.faz.net/s/RubC17179D529AB4E2BBEDB095D7C41F46...html

Anhand der Darstellung von Leben und Werk von al-Hasan ibn Muhammad ibn Ahmad al-Wazzan alias Giovanni Leone zeigt die Historikerin Natalie Zemon Davis die vielfältigen Möglichkeiten auf, die einem neugierigen und lerneifrigen Gelehrten aus dem zwischen dem christlichen Europa und dem muslimischen Nordafrika heftig umkämpften, aber dennoch von hoher Mobilität und Multikulturalität zeugenden Mittelmeerraum während der Schwellenepoche um 1500 zur Verfügung stehen, um sich ein hohes Maß an Wissen anzueignen und auch um sich einen Namen in der Welt der Gelehrten zu machen.[…]
Ihre Biografie, der ein umfangreicher Anhang mit Anmerkungen und einer Bibliografie folgt, beendet die Autorin schließlich mit einem Vergleich zwischen Leo Africanus und dem französischen Schriftsteller François Rabelais, der sich in den 1530er-Jahren mehrere Male in Rom aufhält: "Die zwei Männer glichen einander darin, dass sie zwischen den unterschiedlichen Kulturen Brücken bauten und Elemente erkannten, die ihnen gemeinsam waren". Zemon Davis' hypothetische Frage, was geschehen wäre, wenn sich beide dort getroffen und ausgetauscht hätten, kann dabei letztlich für die gesamte Darstellung von Leben und Werk des muslimisch-christlichen Konvertiten gelten: Denn so spannend sich die abenteuerreiche Biografie von al-Wazzan auch liest, sie fußt fast ausschließlich auf den spärlichen Informationen, die der frühneuzeitliche Weltenwanderer in seinem Afrika-Buch von sich selbst gibt. Damit stehen der Autorin - zumindest, was Yuhanna al-Asads Vita betrifft - Deutungs- und Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung, die es dem Rezipienten ermöglichen, die biografischen Abschnitte ihres Werks auch als Versuch einer romanhaften Annäherung zu lesen.
Behrang Samsami (literaturkritik.de, Nr. 4. April 2009)
http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_...


4. Rang

Ertl, Thomas: Seide, Pfeffer und Kanonen. Globalisierung im Mittelalter. Darmstadt 2008.

Zentrales Anliegen des Buches ist es, die wirtschaftlichen, kulturellen und kommunikativen Verflechtungen der „alten dreigeteilten Welt“ aufzuzeigen. Ertl vertritt dabei die Auffassung, dass die Grundlagen der modernen Erschließung der Welt und der heutigen Globalisierung in der Zeit von 500 bis 1500 n.Chr. gelegt wurden. […] „Der Sache nach hat Globalisierung im Mittelalter stattgefunden.“ […] Was Ertls methodischen Anspruch betrifft, eine globale Verflechtungsgeschichte zu schreiben, so steht außer Frage, dass der ständige Perspektivwechsel die eigentliche Stärke des Buches ausmacht. Jedes Kapitel beleuchtet die verschiedenen Gegenstände der Darstellung […] immer wieder abwechselnd im chinesischen, indischen, arabischen, afrikanischen und europäischen Kontext und weist konsequent Verbindungslinien und Transferwege zwischen den einzelnen Kulturen und Kontinenten auf. Vorbildlich gelungen ist dies beispielsweise in den Abschnitten zur Kartografie, zum Umgang mit Sklaven und zur Verwendung von Papier. Juliane Schiel für H-Soz-Kult


5. Rang

Esch, Arnold: Landschaften der Frührenaissance. Auf Ausflug mit Pius II. München 2008.

Arnold Esch bietet in seinem schmalen Buch zwei wirkliche Essays, Narratives mit Wissenschaftlich-Diskursivem vermischt. Er ist, man weiß es längst, ein Meister der Miniatur, wie es in der deutschen Geschichtswissenschaft der Gegenwart keinen zweiten gibt. Und trotzdem verraten seine Sätze - oft zum Bersten angespannt mit Partizipien und Parenthesen, um die Weite der Welterfahrung und gelehrte Analogien einzufangen -, wie der Forscher der Erzählfreude des Historiographen Fesseln anlegt.
Michael Borgolte (FAZ vom 14.01.2008, Nr. 11 / Seite 33)
http://www.faz.net/s/RubC17179D529AB4E2BBEDB095D7C41F46...html