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H-Soz-Kult
 

Das Historische Buch 2004

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Geschichte der Geschichtsschreibung
Thematischer Schwerpunkt 2006
Publikumspreis

Mittelalterliche Geschichte

Essay von Harald Müller für H-Soz-Kult

1. Rang (33 Punkte, 9 Voten)

Groebner, Valentin: Der Schein der Person. Steckbrief, Ausweis und Kontrolle im Europa des Mittelalters. München 2004.

Wer wir sind, bestimmen die anderen. Sie sind es, die uns den Namen, den sie uns gegeben haben, nennen müssen, damit wir uns selbst kennen. Wenn sie uns unter diesem Namen verleugnen und hartnäckig behaupten, wir seien andere, haben wir keine Chance der Selbstbehauptung. Glücklich ginge die Sache aus, wenn sie uns eine andere Identität anböten, aber heillos würde unsere Lage, wenn sie kein Wissen von uns hätten noch annähmen. Weniger radikal hat diese "conditio humana" Joyce Carol Oates ausgedrückt: "For what is ,identity' but our power to control others' definitions of us?"
Das Zitat stammt aus der brillanten Studie des Luzerner Mediävisten Valentin Groebner über die Geschichte des Identifizierens zwischen dem dreizehnten und siebzehnten Jahrhundert, die von Bezügen auf die Gegenwart ihre Brisanz bezieht. Dabei geht es um das Erkennen von Personen, die man noch nie gesehen hat, anhand von Zeichen, Bildern und schriftlichen Dokumenten, vor allem der Steckbriefe und Pässe.
Michael Borgolte in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.10.2004, Nr. 233 / Seite L32

Groebner schreibt eben keine Erfolgsgeschichte der staatlichen Personenidentifikation, sondern hat über das gesamte Buch hinweg auch das unsichtbare Andere im Blick, das in der alternative Bedeutungsebene von ‚Schein’ zum Ausdruck kommt: Unwirklichkeit, Fiktion, Simulation. [...] Mit der zunehmenden bürokratischen Erfassung der Einzelperson betritt im späten 16. Jahrhundert die Figur des Hochstaplers die literarische Bühne, der eine falsche soziale Rolle spielt und die „Grenzen menschlicher Wahrnehmungs- und Unterscheidungsfähigkeit“ aufzeigt. [...] Gerade diese Passagen sind es, die den stärksten Leseeindruck vermitteln und den größten analytischen Wert aufweisen. Aber nicht nur diese, das ganze Buch liest sich spannend wie ein Roman und bietet den notwendigen kulturwissenschaftlichen Chic auf, um auch ein breiteres Publikum anzusprechen. Christian Jaser für H-Soz-Kult


 

2. Rang (28 Punkte, 7 Voten)

Schmitt, Jean-Claude: La conversion d'Hermann le juif. Autobiographie, histoire et fiction. Paris 2003.


 

3. Rang (25 Punkte, 4 Voten)

Weltecke, Dorothea: Die "Beschreibung der Zeiten" von Mr Michael dem Großen (1126 - 1199). Eine Studie zu ihrem historischen und historiographiegeschichtlichen Kontext. Löwen 2003.


 

4. Rang (21 Punkte, 5 Voten)

Fried, Johannes: Der Schleier der Erinnerung. Grundzüge einer historischen Memorik. München 2004.

Dass man sich einer Begebenheit erinnert, verbürgt allemal noch nicht deren historische Wirklichkeit. Diese Einsicht zwingt gerade jene Wissenschaft zur methodologischen Reflexion, die sich das Verständnis vergangenen Geschehens zur Aufgabe macht. Der Frankfurter Mediävist Johannes Fried hat in seinem jüngsten Buch „Der Schleier der Erinnerung“ diese Herausforderung angenommen. Er will darin, wie es im Untertitel heißt, „Grundzüge einer historischen Memorik“ entwickeln, die ergänzend zu den herkömmlichen Methoden der Geschichtswissenschaft hinzutreten und der es gelingen soll, den Schleier zu lüften und der Begebenheit ins Angesicht zu schauen. Marcel Müllerburg für H-Soz-Kult

So bleibt der Eindruck, dass hier ein großer Wurf gewagt wurde – aber wo wird der Ball landen? Nichts gegen eine interdisziplinäre, kritische Memorik, die neben einer überzeugenden Einbeziehung der Ethnologie auch die kognitiven Neurowissenschaften berücksichtigt, insofern die methodische Skepsis alle zur Verfügung stehenden Analysemittel betrifft. So oder so ist Fried für sein hartnäckiges Insistieren auf einen kritischen Umgang mit der Gedächtniskultur zu preisen. In einer Zeit, in der das Gedächtnis zum Zauberwort der Kulturwissenschaften geworden ist, sind diesem Buch viele Leser zu wünschen. http://www.buecher.de/w1100485sz3406522114


 

5. Rang (19 Punkte, 3 Voten)

Huschner, Wolfgang: Transalpine Kommunikation im Mittelalter. Diplomatische, kulturelle und politische Wechselwirkungen zwischen Italien und dem nordalpinen Reich (9. - 11. Jahrhundert). Hannover 2003.

Die unterschiedlichen Formen und Träger dieses kontinuierlichen Nord-Süd-Transfers haben seit jeher auch das besondere Interesse der deutschen und italienischen Geschichtswissenschaft geweckt, während der Einfluss des Südens auf den Norden und der politisch-kulturelle Austausch von Süd nach Nord deutlich geringere Beachtung gefunden haben. Hier setzt die vorliegende Berliner Habilitationsschrift von Wolfgang Huschner von 1999/2000 an. Aus dem Blickwinkel der Süd-Nord-Perspektive fragt sie auf der vorrangigen Quellengrundlage der zeitgenössischen Urkunden nach den Ausstrahlungen und Einwirkungen Italiens auf das nordalpine Reich im 10. und 11. Jahrhundert. Ihre Bahn brechenden Ergebnisse und vielfach weiterführenden Erkenntnisse lassen sich unter drei Punkten zusammenfassen: 1.) Hinter den bislang namenlosen, zumeist als einfache Notare niedrigen sozialen Rangs apostrophierten Verfassern und Schreibern ottonisch-salischer Königsurkunden verbergen sich vielfach amtierende und künftige Bischöfe und Erzbischöfe nord- wie südalpiner Provenienz, die auf die inhaltliche und grafische Gestaltung der Herrscherdiplome einen kaum hoch genug zu schätzenden Einfluss nahmen. 2.) Mit dem ersten Italienzug Ottos I. 951/52 beginnt eine bis 1060/65 währende Phase enger Beziehungen und intensiven geistig-kulturellen Austauschs zwischen den süd- und nordalpinen Reichsteilen, die sich in zahlreichen und zum Teil langjährigen Aufenthalten südalpiner Großen am Herrscherhof und in einem stetigen Transfer südalpiner Bildungsinhalte und Wissensgüter in den nordalpinen Raum niederschlugen. 3.) Die Herrscherurkunden des 10. und 11. Jahrhunderts sind nunmehr als „zweiseitige“ Dokumente anzusprechen. Sie dienten nicht nur der Selbstdarstellung des jeweiligen Herrschers sondern ebenso der Repräsentation der daran inhaltlich und graphisch beteiligten kleinen Gruppe hochrangiger Geistlicher und Bischöfe. Hubertus Seibert für H-Soz-Kult