Das Historische Buch 2006
Julia Angster | Friedrich KiesslingLebenslaufJahrgang 1970 1990 - 1995 Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, Neueren deutschen Literaturgeschichte und Philosophie 2000 Promotion mit einer Arbeit über Großmachtdétente vor dem Ersten Weltkrieg 1996 - 1999 Promotionsstipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes 1996 Forschungsstipendiat des German Historical Institute London 1999 - 2001 Wissenschaftlicher Mitarbeiter, seit 2001 Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Neuere Geschichte II der Universität Erlangen-Nürnberg Zurückliegende ForschungsschwerpunkteInternationale Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert; deutsche Kultur- und Ideengeschichte nach 1945; Geschichte der Geschichtsschreibung Aktuelle ForschungsschwerpunkteStaat, Moderne, Ost und West. Die Ideen von 1945 in der politischen Kultur der alten Bundesrepublik. (Habilitationsprojekt) Wichtige Monographien oder Herausgeberschaften
Fragen zur historischen Forschungslandschaft und zu aktuellen Debatten2. a) Wie kamen Sie zur Geschichtswissenschaft? Was hat Sie motiviert, Geschichte zu Ihrem Beruf zu machen? Wie ich dazu gekommen bin, kann ich, von simplen Daten abgesehen, gar nicht sagen. Ich weiß aber, was mich besonders fasziniert: Ich möchte vor allem wissen, was und wie Menschen zu früheren Zeiten dachten. Dazu kommen eine gewisse Sammelleidenschaft und Entdeckerfreude. Schließlich darf man das Ganze auch noch aufschreiben, und dann macht es richtig Spaß. Mein aufklärerischer Impuls ist demgegenüber weniger stark entwickelt. 2. b) Die Geschichtswissenschaften haben in den zurückliegenden Jahrzehnten zahlreiche Erweiterungen und Neuorientierungen der Frageansätze und Forschungsperspektiven erfahren. Welche halten Sie für die interessanteste und folgenreichste? Da ist wirklich vieles Wichtige passiert in letzter Zeit. Am nächsten liegt mir die Internationale Geschichte, aber z.B. auch den "spatial turn" halte ich für interessant. Insgesamt ist bei allen diesen Neuüberlegungen, zumindest in der Neueren und Neuesten Geschichte, wohl die Abkehr von der textzentrierten Quellenarbeit besonders folgenreich. Aber auch traditionelle Quellen können nun neu gelesen werden. Etwas allergisch reagiere ich auf Arbeiten, die lediglich die eigene Theorie bestätigen. Theorie und Methode sind notwendig, sie allein reichen aber für eine gute Arbeit nicht aus. 2. c) Sehen Sie Forschungsfelder, denen man künftig mehr Aufmerksamkeit widmen sollte? In Anknüpfung an die vorherige Frage: Besonders spannend finde ich im Moment Untersuchungen, die mit neuen Fragestellungen und Methoden an klassische Themen und Probleme herangehen. Das mögliche Untersuchungsfeld ist da riesengroß und wird ja z.B. in der Politischen Geschichte gerade intensiv vermessen. Das darf ruhig noch eine Weile so weitergehen... 3. Stellen Sie bitte Ihren persönlichen Favoriten unter den historischen Büchern des Jahres 2005 kurz vor und erläutern Sie Ihre Wahl. (15-20 Zeilen.) Joachim Radkau: Max Weber. Die Leidenschaft des Denkens. München 2005. Joachim Radkaus Max Weber Biographie ist nicht nur gelobt worden. Mir hat sie gefallen. Der Grund ist vor allem der, dass Radkau in ganz vielen Bereichen zu originellen Ergebnissen kommt. Diese, angesichts des Ausmaßes der Weber-Rezeption, enorme Leistung gelingt ihm, weil er nicht nur außergewöhnlich quellennah arbeitet, sondern diese Quellen auch ganz genau liest. Kaum ein Begriff oder eine Vorstellung, die Radkau bei Weber findet, wird vorschnell in vorliegende Konzepte eingeordnet. Wenn von Idealismus, Humanismus oder Natur die Rede ist, legt Radkau zunächst einmal den zeitgenössischen Deutungshorizont dar. Für mich ergab sich während der Lektüre auf diese Weise der Eindruck, als legte Radkau – sozusagen durch die Weber-Wahrnehmung der letzten hundert Jahre hindurch – Stück für Stück die Denkmöglichkeiten der Zeit um 1900 frei. Das mag in diesem Ausmaß eine Illusion sein, es sorgt aber dafür, dass Radkau in vielen Bereichen bedenkenswerte Modifikationen des Weber-Bildes sowie unserer Sicht auf dessen Zeit gelingen. Das gilt im Übrigen auch für Radkaus Hauptthese von Webers Naturalismus, die ja nicht nur auf einem problematischen Schluss von Webers Sexualität auf das Werk beruht, sondern ebenso auf die genaue Lektüre der wissenschaftlichen und publizistischen Schriften, etwa des Umfangs und der Kontinuität seiner Stellungnahmen zur Boden- und Agrarstruktur, zurückgeht. Schließlich ist die Arbeit auch noch gut geschrieben, so dass man die 850 Seiten Text – fast – in einem Stück lesen kann. |