Das Historische Buch 2003
Thomas Angerer | Dr. Claudia TierschTechnische Universität Dresden Lebenslaufgeb. 1967 in Steinach, Kreis Sonneberg, aufgewachsen in Potsdam und Weimar, Abitur 1986 in Apolda Studium der Alten Gesichte in Leipzig (1987-1991), der Alten Geschichte, der Mittelalterlichen Geschichte und der Philosophie in München (1993-1993) Magister 1993 in München, Thema der Arbeit "Asketinnen des Oströmischen Reiches im 4.-6. Jahrhundert n.Chr." Promotion 1998 in Dresden, Thema der Arbeit "Johannes Chrysostomus in Konstantinopel (398-404) - Weltbild und Wirken eines Bischofs in der Hauptstadt des Oströmischen Reiches" Thema des Habilitationsprojekts: Zur Rolle und Bedeutung der politischen Elite in der athenischen Demokratie zwischen Peloponnesischem Krieg und der Ära des Eubulos seit 1993 tätig an der TU Dresden (1993-1996 als WHK am Lehrstuhl für Alte Geschichte, 1997-2002 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am althistorischen Teilprojekt A2 innerhalb des SFB 537 "Institutionalität und Geschichtlichkeit", seit 2003 Bearbeitung meines von der DFG finanzierten Habilitationsprojekts) Auszeichnungen: 1998 Fakultätspreis für Dissertation zurückliegende Forschungsschwerpunkte: zurückliegende Forschungsschwerpunkte: Beziehungen zwischen Kirche und Staat in der Spätantike, politische Rituale der römischen Republik aktuelle Forschungsschwerpunkte: athenische Demokratie VeröffentlichungenMonographien/Herausgeberschaften:Fragen zur historischen Forschungslandschaft und zu aktuellen Debatten2. a) Wie kamen Sie zur Geschichtswissenschaft? Was hat Sie motiviert, Geschichte zu Ihrem Beruf zu machen? Mein Berufswunsch entstand bereits in der Schulzeit, da mein Interesse schon damals der Alten Geschichte galt. 2. b) Die Geschichtswissenschaften haben in den zurückliegenden Jahrzehnten zahlreiche Erweiterungen und Neuorientierungen der Frageansätze und Forschungsperspektiven erfahren. Welche halten Sie für die interessanteste und folgenreichste? Einen der für mich spannendsten und prägendsten Forschungsansätze bilden die Methoden der Institutionentheorie (nach A. Gehlen, K.-S. Rehberg), da diese unter der Frage nach den komplexen Ursachen für die Stabilität politischer und sozialer Mechanismen eine Verbindung der Analyse von Struktur und Prozessualität innerhalb der Geschichte ermöglicht. 2. c) Sehen Sie Forschungsfelder, denen man künftig mehr Aufmerksamkeit widmen sollte? Z.B. der Analyse von gesellschaftlichen Krisen und Transformationsprozessen sowie deren Bewältigungsstrategien 2. d) In den Medien werden seit längerem unterschiedliche Zukunftsdiskurse geführt, die Lösungen und Wege zur Bewältigung der gegenwärtigen Krisen- und Umbruchserfahrungen (Umbau des Sozial- und Leistungsstaates, Krise der europäischen Verfassungsentwicklung, Terrorismus und Terrorismusbekämpfung, Auflösung überkommener Lebensformen und Werte u.a.m.) aufzeigen sollen.Historiker sind an diesen Debatten kaum beteiligt. Lassen sich aus historischen Krisen- und Umbruchsphasen keine Lehren ziehen, Erfahrungen und Einsichten vermitteln? Müssen wir Historiker die öffentliche Diskussion Juristen und Verwaltungsexperten, Wirtschaftswissenschaftlern und Militärs überlassen? Ein Schweigen von Historikern innerhalb aktueller politischer Diskurse hielte ich. Die Arbeit des Historikers analysiert Gesellschaften als ganzheitliche Kulturen in längeren Zeiträumen. Deshalb empfinde ich eine Beteiligung von Historikern an politischen Diskursen als absolut notwendig. Dies betrifft sowohl soziokulturelle Faktoren, die für die Entwicklung politischer Strategien zu berücksichtigen sind, als auch Folgenabschätzungen komplexer politischer Prozesse. 2. e) Elite oder Eliten? Das Vertrauen in die Rolle und Prämierungsmodelle der Eliten moderner Gesellschaften scheint zu schwinden. Ist die Aufspaltung unsere Gesellschaft in funktional spezialisierte, oft aber unverbundene Hochleistungsbereiche (Wirtschaft, Politik-Verwaltung, Technik-Medizin-Wissenschaft) unvermeidlich? Oder bieten die gegenwärtigen Umbruchsszenarien die Chance zu einer Neudefinition auch dessen, was Bildung sein soll und wie Elitenrekrutierung und Bildung zusammenkommen? Die gegenwärtigen Umbruchsszenarien sollten tatsächlich als Chance für eine Neudefinition dessen genutzt werden, was Bildung soll. Während die funktionale Spezialisierung der Hochleistungsbereiche notwendig, ja sogar zwingend geboten ist, ist es deren mangelnde Verbindung keineswegs. Hier sollte bereits schulische Bildung durch stärker fächervernetzenden Unterricht bzw. die Ausweitung außerunterrichtlicher Angebote dazu beitragen, ein Verständnis für die Zusammenhänge verschiedener Wissensgebiete zu ermöglichen. Zugleich scheint mir aber auch eine stärkere Medienpräsenz neuer Wissensbereiche (z.B. Nanotechnologie)erforderlich. 2. f) Deutschland begibt sich auf die Suche nach Spitzen-Universitäten. Verträgt sich Geschichtswissenschaft über die bloße fachliche Professionalität hinaus überhaupt mit dem Elitegedanken? Auf jeden Fall. Entscheidend ist m.E. ein Elitebegriff, der nicht Ausgrenzung impliziert, sondern das Interesse an wissenschaftlichen Spitzenleistungen. Eine Trennung des Elitegedankens vom Feld der Geschichtswissenschaft würde bedeuten, dass wir hierdurch selbst unsere qualitative Bedeutung als wissenschaftliche Disziplin im Vergleich zu naturwissenschaftlich-technischen Bereichen reduzieren, ja kleinreden würden. Zugleich würde dies auch eine tatsächliche Abwertung der zahlreichen Spitzenergebnisse bedeuten, die innerhalb der Geschichtswissenschaft ständig erbracht werden und bereits erbracht worden sind. 3. Stellen Sie bitte Ihren persönlichen Favoriten unter den historischen Büchern des Jahres 2003 kurz vor und erläutern Sie Ihre Wahl. (15-20 Zeilen.) Aloys Winterling, Caligula. Eine Biographie, München 2003 Der römische Kaiser Caligula gilt nicht erst seit der berühmten Biographie von Ludwig Quidde als Inbegriff des Caesarenwahnsinns. Bereits römische Quellen wie Tacitus und Sueton behaupteten immer wieder die Sinnlosigkeit der Maßnahmen Caligulas, dessen Aktionen sie somit nicht nur als Belege für Gigantomanie und verbrecherische Gesinnung beschrieben, sondern vor allem als Ausdruck eines kranken Geistes. Diesen Mythos zerstört die Caligulabiographie von Aloys Winterling nachhaltig. Durch subtile Quellenanalyse vermag der Autor manche Zeugnisse als diffamierende Konstrukte zu entlarven (etwa den angeblichen Inzest des Kaisers mit seinen Schwestern), andere jedoch als Bausteine eines kaiserlichen Handlungskonzepts zu bestimmen, welches dem Verdikt der Sinnlosigkeit in keiner Weise entspricht.
|