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H-Soz-Kult
 

Das Historische Buch 2006

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Bildgeschichte - Geschichte der Bilder
Thematischer Schwerpunkt 2007
Publikumspreis

Neuere Geschichte (langes 19. Jh.)

Essay von Ewald Frie für H-Soz-Kult

1. Rang (54 Punkte, 10 Voten)

Hull, Isabel V.: Absolute destruction. Military culture and the practices of war in imperial Germany. Ithaca, NY 2005.

Hulls "Absolute Destruction" erinnert nicht nur zu recht an die (sieht man von Goldhagens reduktionistischer Antisemitismus-These ab) fast vergessene Frage nach der längerfristigen Vorgeschichte des Holocaust in Deutschland; das Buch ist auch ein energischer Aufruf, dem militärischen Entstehungskontext genozidaler Gewalt mehr Aufmerksamkeit zu widmen als ideologiegeschichtliche und sozialpsychologische Ansätze das gemeinhin tun. Das Konzept der "military culture" ist geeignet, den Blick der Militärgeschichte auf den Kern ihres Gegenstandes, nämlich das professionelle Soldatentum und die kriegerische Gewalt, zurückzulenken, richtete sich das Interesse dieser Subdisziplin doch seit rund 15 Jahren, im Zuge ihrer kultur- und geschlechtergeschichtlichen Erweiterung, immer mehr auf die zivilen Affiliationen des Militärs, auf den "kleinen", meist zwangsweise rekrutierten Soldaten, die Institution der Wehrpflicht und die "Militarisierung" der zivilen Gesellschaft. Thomas Kühne für H-Soz-Kult

Absolute Destruction is a major achievement, the result of meticulous scholarship and comparative analysis. Departing from traditional approaches, Hull draws on cultural theory and investigates the destructive practices in wartime that emerged because of doctrine, training, and shared, unwritten assumptions about virtue. This original perspective allows her to make one of the strongest cases since Fritz Fischer's for the uniqueness and continuity of German aggression. Some historians will find her thesis somewhat overstated, but most will agree that the evidence she adduces recasts our understanding of militarism during the Kaiserreich.
Andrew Donson (H-German, Juli 2005)
http://www.h-net.org/reviews/showrev.cgi?path=239991127...


 

2. Rang (44 Punkte, 10 Voten)

Radkau, Joachim: Max Weber. Die Leidenschaft des Denkens. München 2005.

[...]eine intellektuelle Biografie, die sich nicht auf das Leben beschränkt, sondern das Werk aus der Biografie erhellen will.[...] Literarisch geschickt deutet Radkau an, dass seine Biografie dieses neue Weber-Bild ausformuliert, Jaspers frühes Bild vom Philosophen durch die materiale Botschaft der erotischen Emanzipation ergänzt und Webers Suche nach dem Einklang mit der eigenen "Natur" als existentielles Lebensthema darstellt. Radkau erweitert damit gewissermaßen Jaspers Portrait vom Philosophen. [...] Seine große Narration von der frühen "Vergewaltigung" von Webers "Natur", der "Rache" des "Absturzes" und der allmählichen "Erlösung und Erleuchtung" durch die Liebe ist also in vollem Ernst durchgezogen und ernst gemeint. Radkau überbietet Jaspers. Auch er liest Weber gegen den dogmatischen Strich als existentiellen Philosophen und deutet dabei ein weites Konzept von "Philosophie" an, das Weber selbst niemals vertrat. [...] Dabei ist weit mehr herausgekommen als eine detaillierte Biografie. Radkau holt die großen Worte des Untertitels und der Dreiteilung seines Werkes originär ein. Dass er nicht an Webers Begriffen klebt, sondern den Grenzbegriff der "Natur" auch gegen den Strich von Webers Naturalismuskritik liest, gibt seiner Darstellung ihre exzentrische Kraft. Reinhard Mehring für H-Soz-Kult

Dem Buch liegt eine immense Arbeitsleistung zu Grunde, und stark ist es in den Partien, in denen Radkau Webers intensive Selbstanalysen schildert und den Zusammenhang zwischen Eigenerfahrung und Welterfahrung, zwischen dem Habitus des ethischen Rigorismus und der Klarheit wissenschaftlichen Denkens, herstellen kann. Dazu zählen auch das sensible Porträt von Robert Michels, die subtile Ironie gegenüber Werner Sombart und die intellektuelle Würdigung von Marianne Weber
Gangolf Hübinger (sehepunkte 6 (2006), Nr. 2)
http://www.sehepunkte.de/2006/02/9002.html

Nach fast achtzig Jahren die erste Weber-Biografie, die diesen Namen verdient. Eine umfassende Studie, die Leben und Werk des Titanen systematisch verknüpft und selbst Weber-Kennern neue Einsichten bietet.
Andreas Anter (Neue Zürcher Zeitung, 18.10.2005)

Eine verblüffende, atemberaubende Lektüre ... ein hochspannendes Buch, mit unvergeßlichen szenischen Schilderungen, wie in einem Roman, dank einer respektlosen, eigenwilligen wissenschaftlichen Zugangsweise und einem bemerkenswerten Einfühlungsvermögen in eine sehr kranke Psyche.
Nils Minkmar, (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.10.05)
http://www.faz.net/s/RubC17179D529AB4E2BBEDB095D7C41F46...html

Joachim Radkau hat nun die erste sozusagen unabhängige Biografie vorgelegt, die den Quellenstand berücksichtigt. Und er setzt Maßstäbe. Mit beeindruckender Detailkenntnis, die sich vor allem auf die Auswertung einer Unmenge von Briefen stützt, präsentiert Radkau eine fesselnde Lebensgeschichte, die zudem die Epoche, in der sie sich abspielt, auf anschauliche Weise vergegenwärtigt und auch dem Werk, das ein Teil von ihr ist, zu größerer Tiefenschärfe verhilft.
Magnus Schlette (Frankfurter Rundschau, 07.12.2005)
http://www.fr-aktuell.de/in_und_ausland/kultur_und_medi...


 

3. Rang (35 Punkte, 9 Voten)

Wagner, Patrick: Bauern, Junker und Beamte. Lokale Herrschaft und Partizipation im Ostelbien des 19. Jahrhunderts. Göttingen 2005.

Patrick Wagner hat in seiner Arbeit bedeutende Korrekturen am Bild einer rückwärts gewandten "Junkerherrschaft" anbringen können, die, so der Mainstream der Forschung, den Transformationsprozess in einen einheitlichen Nationalstaat auf demokratischer Grundlage blockiert habe. Der Verfasser richtet den Blick auf den Wandel "ländlicher Machtbeziehungen"; er verfolgt die Ausprägung einer "dynamischen Agrargesellschaft" im Spannungsfeld von "Erosion" und "Transformation" adeliger Herrschaft. Beeindruckend ist die Breite des hier erstmals gesichteten und ausgebreiteten Quellenmaterials. [...] Die Untersuchung von Wagner wirft neues Licht auf die komplexen Interaktionen zwischen adeligen und bürgerlichen Großgrundbesitzern, Bauern und staatlichen Beamten. Sie korrigiert die eingerastete Vorstellung von einer durch nichts zu erschütternden Junkerbastion. [...] eine große Forschungsleistung [...] , die die bisherige Lesart des Themas "Ostelbien" nachhaltig beeinflussen wird. Dirk Blasius für H-Soz-Kult

Mit Patrick Wagners tief schürfendem Band hat die politische Sozialgeschichte zu den Landräten und den großgrundbesitzenden, dörflichen und bäuerlichen Eliten in den ostelbischen Kreisen Preußens zwischen Vormärz und Jahrhundertwende bestes Analyseniveau und geradezu Synthesequalität erreicht. [...]Summa summarum: Nach Patrick Wagners fundiertem Opus dürfte es schwer fallen, ein grundlegend anderes Bild von Landräten und Herrschaftsverhältnissen im Ostelbien des 19. Jahrhunderts zu entwerfen.
Hartwin Spenkuch (sehepunkte 5 (2005), Nr. 12)
http://www.sehepunkte.de/2005/12/9378.html

Patrick Wagner hat mit seiner Freiburger Habilitationsschrift nun eine umfangreiche Studie vorgelegt, mit der die Analyse der Herrschaftsbeziehungen auf dem Lande östlich der Elbe vom Kopf auf die Füße gestellt wird: Auf breiter empirischer Grundlage untersucht er die soziale Praxis der Herrschaftsbeziehungen zwischen den staatlichen Zentralinstanzen, den ländlichen Eliten und der bäuerlichen Landbevölkerung als kommunikativen, wenngleich von Ungleichheiten geprägten Aushandelungsprozess. Durch die regionale Differenzierung, untersucht werden die Provinzen Ost- und Westpreußen sowie der Regierungsbezirk Breslau, gewinnt er eine Vergleichsperspektive, die dem uneinheitlichen politischen und sozialen Charakter des ostelbischen Raumes Rechnung trägt.
Marcus Funck (Süddeutsche Zeitung, 26.01.2006)
http://www.buecher.de/verteiler.asp?site=artikel_sz.asp...


 

4. Rang (32 Punkte, 7 Voten)

Torp, Cornelius: Die Herausforderung der Globalisierung. Wirtschaft und Politik in Deutschland 1860 - 1914. Göttingen 2005.

[...]eine sorgfältig recherchierte und lesenswerte Studie [...], die in Teilbereichen wichtige neue Erkenntnisse liefert. Manuel Schramm für H-Soz-Kult

Dem im Schlussabsatz formulierten historiografischen Anspruch, "die zunehmende Integration der Weltwirtschaft kausal mit ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Prozessen innerhalb des Nationalstaats zu verknüpfen", wird das - übrigens leserfreundlich klar gegliederte und geschriebene - Buch überzeugend gerecht.
Niels P. Petersson (sehepunkte 6 (2006), Nr. 1)
http://www.sehepunkte.de/2006/01/8891.html

Insgesamt eine lesenswerte Studie mit einem modernen Ansatz.
Prof. Dr. Peter Borscheid
http://www.wla-online.de/artikel-detail.php?artikelid=304

Das Phänomen der Globalisierung wirft die Frage nach der Zukunft des klassischen Nationalstaates auf. Den historischen Ursprüngen dieses Problems geht Cornelius Torp in einer außerordentlich anregenden Monographie nach, die das Verhältnis von Wirtschaft und Politik in Deutschland zwischen 1860 und 1914 untersucht [...] Die allen historischen Großtheorien gegenüber kritische Untersuchung macht deutlich, daß eine vom Primat der Innenpolitik geblendete Geschichtswissenschaft über Jahrzehnte hinweg einem Dogma gehuldigt hat, das mit der Geschichte, so wie sie eigentlich gewesen ist, viel weniger zu tun hat, als behauptet wurde.
Klaus Hildebrand (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. November 2005)
http://www.faz.net/s/RubC17179D529AB4E2BBEDB095D7C41F46...html


 

5. Rang (28 Punkte, 8 Voten)

Conrad, Sebastian; Osterhammel, Jürgen (Hg.): Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871 - 1914. Göttingen 2004.

Es ist das Verdienst des Sammelbandes, die verschiedenen Ansätze transnationaler Geschichte – von den stärker kulturwissenschaftlich geprägten "postcolonial studies" über den historischen Vergleich bis hin zur sozialwissenschaftlichen Globalisierungsforschung – zusammen zu führen und auf eine zentrale Epoche der deutschen Geschichte anzuwenden. Erst dadurch wird das enorme Deutungspotential transnationaler Geschichtsschreibung sichtbar. Der Band setzt damit nicht nur ein wichtiges Signal für die weitere Forschung, sondern dürfte sich auch als Reader für die universitäre Lehre bewähren. Alexander Nützenadel für H-Soz-Kult

"Transnational" war nicht immer und überall in, es lohnt aber, verschiedene Handlungsfelder nach dieser Eigenschaft abzufragen. Dazu leitet der vorliegende Sammelband, dem zahlreiche aufmerksame LeserInnen zu wünschen sind, an. Johannes Paulmann für H-Soz-Kult

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Band gelungen ist, denn er wird seinem Anspruch gerecht, mit Blick auf das Kaiserreich neue Perspektiven zu eröffnen. Das gilt nicht nur für die eingangs genannten drei Forschungsfelder, aus denen sich transnationale Geschichte speist, sondern auch für den Blick nach innen, denn eine transnationale Geschichtsschreibung schärft zugleich das Bewusstsein für Grenzen, die innerhalb von Gesellschaften verlaufen und zugleich über sie hinausweisen. Da eine Reihe von Beiträgen auf jüngeren Monografien der Verfasserin und Verfasser aufbauen, dokumentiert der Band darüber hinaus, dass die sogenannte transnationale Geschichte für all jene Historiker besonders attraktiv und anschlussfähig ist, die sich der Dominanz nationalgeschichtlicher Erzählungen entziehen wollen, ohne gleich eine Globalgeschichte schreiben zu müssen.
Nils Freytag (Archiv für Sozialgeschichte online)
http://library.fes.de/fulltext/afs/htmrez/80702.htm


 

5. Rang (28 Punkte, 9 Voten)

Hölscher, Lucian: Geschichte der protestantischen Frömmigkeit in Deutschland. München 2005.

Insbesondere als Geschichte der Glaubenden beschäftigt Frömmigkeitsgeschichte seither die Geschichtswissenschaft. Die Arbeiten Lucian Hölschers haben daran maßgeblichen Anteil; sein nun vorgelegtes Buch kann in gewisser Weise als Summe langjähriger Forschungen – lesbar nicht nur für ein ausschließlich wissenschaftliches Publikum – angesehen werden[...] Hölscher verbindet immer wieder Exemplarisches und Besonderes, indem er die "religiöse Geographie" facettenreich einbezieht Barbara Stambolis für H-Soz-Kult

Hölscher hat ein beachtliches und beachtenswertes Werk vorgelegt. Auf 400 Seiten führt er den Leser durch fast 500 Jahre protestantischer Frömmigkeitsgeschichte. Dabei gelingt es ihm, Schneisen durch das Dickicht der Personen und Gruppen, der Theologien und ihrer Umsetzung in religiöses Handeln zu schlagen. Wenn der Schutzumschlag eigens darauf hinweist, es helfe, "den Blick für neue religiöse Orientierungen in einer Zeit der Auflösung traditioneller kirchlicher Bindungen" zu schärfen, ist damit ein zusätzlicher Mehrwert ausgedrückt, der über die fundierte historische Analyse hinausgeht.
Joachim Schmiedl (sehepunkte, 6 (2006), Nr. 1)
http://www.sehepunkte.de/2006/01/8545.html

Wer schon immer wissen wollte, was die protestantischen Vorväter und –mütter geglaubt und wie sie ihren Glauben gelebt haben, der hat nun die Gelegenheit, seine Neugierde mit der lesenswerten «Geschichte der protestantischen Frömmigkeit in Deutschland» von Lucian Hölscher zu befriedigen. Hölscher, in Bochum als Professor für neuere Geschichte tätig, hat auf über vierhundert Seiten zusammengetragen, was zum Thema der protestantischen Frömmigkeit erforscht wurde. Dabei hat er intensiv regionale Untersuchungen berücksichtigt und auch auf die Ergebnisse seiner eigenen Studien zur religiösen Geographie zurückgreifen können.
Angelika Dörfler-Dierken (Neue Zürcher Zeitung, 2. November 2005)

Lucian Hölscher beschreibt all dies in einer gründlichen Synthese, von der Naherwartung der Reformationszeit bis zum 19. Jahrhundert mit seinen liberalen Theologen und seinem christlichen Verlagswesen. Man erfährt eindrücklich, wie sich der Beruf des Pfarrers vom Gemeindevorstand zum geselligen Konversationspartner gebildeter Kreise und von dort zum beamtenartigen städtischen Massenseelsorger entwickelte, der sich den Trägern bürgerlicher Modernitätsdynamik zusehends entfremdete. (...) Was Hölschers Buch (...) anregend macht, ist, dass er nicht nur eine Geschichte der Erosion, sondern auch eine der Diffusion geschrieben hat.
Johan Schloemann (Süddeutsche Zeitung, 18. Oktober 2005)