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H-Soz-Kult
 

Das Historische Buch 2004

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Offene Kategorie
Geschichte der Geschichtsschreibung
Thematischer Schwerpunkt 2006
Publikumspreis

Neuere Geschichte (langes 19. Jh.)

Essay von Ewald Frie für H-Soz-Kult

1. Rang (54 Punkte, 13 Voten)

Hirschfeld, Gerhard; Krumeich, Gerd; Renz, Irina (Hg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Paderborn 2003.

Die Enzyklopädie ist auch ein Beispiel dafür, was Militärgeschichte heute bedeutet, nämlich nicht nur die Beschreibung von Schlachten und die Beschäftigung mit dem Militärischen, sondern auch und vor allem die Berücksichtigung der kurz- und langfristigen Auswirkungen eines Krieges auf die beteiligten Staaten und ihre Gesellschaften. Aus diesem Grund nimmt die Enzyklopädie, die inzwischen in zweiter, überarbeiteter Auflage erschienen ist, den Rang eines Standardwerkes und Handbuchs zum Ersten Weltkrieg ein. Sie berücksichtigt alle Aspekte des Krieges selbst, aber auch die Aufarbeitung danach durch Literatur und Historiografie. Erika Stubenhöfer für H-Soz-Kult

Während der Leser zwischen "Aberglaube" und "Zweite Internationale" hin- und herblättert, gewinnt er bald den Eindruck, dass er gut daran täte, die Stichwortliste am Ende des Buches auswendig zu lernen: Das würde es leichter machen, das insgesamt fabelhafte Werk zu erschließen. Von allein kommt man nämlich nicht ohne weiteres auf die Idee, so schöne Stichworte wie "Null-Acht-Fünfzehn", "Tiere", "Soldatenjargon" oder "Schlachtfeldtourismus" aufzuschlagen. Und in den 26 längeren Artikeln gibt es keine Querverweise auf die lexikalischen Einträge. Mit einem Wort: Die Enzyklopädie ist für die kurze Konsultation nur in Maßen geeignet, sie will gelesen werden. Und das tut man mit großem Gewinn.
Franziska Augstein in: Süddeutsche Zeitung vom 01.12.2003

In general, this is a superbly edited volume and includes a wealth of up-to-date information, even on relatively neglected or obscure topics such as civilian internment, prisoners of war, photography, military desertion, front theater, soldiers' humor, and so forth. An English-language edition must surely follow. http://www.h-net.org/reviews/showrev.cgi?path=51441113594822


 

2. Rang (39 Punkte, 10 Voten)

Lässig, Simone: Jüdische Wege ins Bürgertum. Kulturelles Kapital und sozialer Aufstieg im 19. Jahrhundert ; mit 40 Tabellen. Göttingen 2004.

Simone Lässig hat mit ihrer Studie zur Verbürgerlichung der deutschen Juden im 19. Jahrhundert ein Standardwerk geliefert. In der höchst fruchtbaren Verbindung der Forschungen zum deutschen Judentum einerseits und zum deutschen Bürgertum andererseits setzt die Arbeit neue Maßstäbe. Lässigs Ausgangsfrage ist einfach: Wie lässt sich der wirtschaftliche, soziale und kulturelle Aufstieg der deutschen Juden in das Bürgertum erklären? Dies ist in der Tat höchst erklärungsbedürftig, weil sich keine vergleichbare Gruppe in Deutschland derart erfolgreich verbürgerlichte und sich in dieser Bürgerlichkeit zugleich der spezifische Charakter des deutschen Judentums im europäischen Vergleich manifestierte. Uffa Jensen für H-Soz-Kult

In den 1990er-Jahren war es vor allem eine Gruppe von jüngeren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, von denen viele ihre Erkenntnisse in zahlreichen, von der Deutschen Arbeitsgemeinschaft des Leo Baeck Instituts organisierten Doktorandenkolloquien unter Leitung von Reinhard Rürup austauschten, welche die historische Entwicklung der deutschsprachigen Juden mit der Bürgertumsforschung verband. Simone Lässigs Studie - eine deutlich gekürzte und überarbeitete Fassung ihrer Habilitationsschrift an der Technischen Universität Dresden - ist eine der interessantesten und mit Sicherheit umfangreichsten Arbeiten aus diesem Kontext. http://www.sehepunkte.historicum.net/2005/09/7391.html

Bei der Emanzipation der deutschen Juden jedenfalls sei (so betont sie gegen Historikerkollegen wie Shulamit Volkov) Bildung dem wirtschaftlichen Aufstieg nicht gefolgt, sondern vorausgegangen. Aus dieser Perspektive gab es beides: die deutsche Kulturnation wie den deutschen Sonderweg.
Man mag das idealistisch nennen. Aber Lässig beweist die befreiende Kraft von Geist und Kultur anhand harter Fakten und durch eine Gesamtdeutung, die alte Ungereimtheiten plausibel auflöst. [...] Anders als für ihre Helden war eine schöne Sprache für sie offenbar kein höchstes Ideal. Dennoch hat der Deutsche Historikerverband ihr Buch zu Recht ausgezeichnet. Denn es argumentiert klar und mutig, es beweist die Macht historischer Analyse über schiefe Apologetik und belehrt damit weit über sein Thema hinaus.
http://www.buecher.de/w1100485faz3525368402


 

3. Rang (34 Punkte, 9 Voten)

Geulen, Christian: Wahlverwandte. Rassendiskurs und Nationalismus im späten 19. Jahrhundert. Hamburg 2004.

Es ist das Verdienst von Christian Geulen, endlich den historischen Rassismus in Deutschland aus der Schmuddelecke der phantastischen Irrläufer geholt zu haben. Umgekehrt bleibt aber die Frage offen, wie der Weg von der Idee des Kampfes um die "Reinheit der Rasse" zur Praxis des rassistischen Völkermordes verlief. Das ist jedoch kein Nachteil, denn gute historische Bücher enden nicht mit umfassenden Antworten, sondern mit herausfordernden Fragen. Das Buch von Christian Geulen gehört unbedingt dazu. Patrice G. Poutrus für H-Soz-Kult

Zweifellos hat Geulen mit seinem Befund recht, in der Zeit der Jahrhundertwende aufgrund der Verbindung von Nation und Rassismus eine neue Qualität des deutschen Nationalismus auszumachen. Die exemplarisch herangezogenen Textquellen von den mehr oder minder bekannten Rassentheoretikern Houston Steward Chamberlain, Ludwig Gumplowicz, Ludwig Woltmann oder Theodor Fritsch belegen dies deutlich. In ihrer Vorstellung war die Nation nur mehr eine biopolitische Organisation, die im alltäglichen Leben der Bevölkerung im Rassenkampf bestehen mußte. "Im privaten Ehebett ebenso . . . wie bei der Besiedelung der afrikanischen Steppe", wie Geulen süffisant formuliert.
Einer zentralen Frage weicht der Autor geschickt aus, die sich früher oder später jede ideengeschichtliche Arbeit stellen sollte: Welche Relevanz hatten diese radikalen Rassentheorien überhaupt innerhalb der öffentlichen Meinung oder auch nur innerhalb der Imperialismus- und Kolonialbewegung?
http://www.buecher.de/w1100485faz3930908956


 

4. Rang (31 Punkte, 8 Voten)

Laak, Dirk van: Imperiale Infrastruktur. Deutsche Planungen für eine Erschließung Afrikas 1880 bis 1960. Paderborn [u.a.] 2004.

Von einem "Umweg" in van Laaks Analyse kann man auch insoweit sprechen, als er sich weniger mit Infrastrukturen als solchen oder ihren Folgen für die betroffenen Menschen in Afrika beschäftigt, sondern die Perspektiven derjenigen rekonstruiert, die den Erschließungsprozess über drei Generationen und wechselnde politische Konstellationen hinweg vorantrieben. Er skizziert die geistigen Horizonte der Kolonisatoren, ihre Phantasien, Projektionen, Planungen und Praxen. Mit Ferdinand von Richthofen, Paul Rohrbach, Arthur Dix, Erich Obst oder Karl Krüger lässt er Figuren wieder auferstehen, die heutzutage allenfalls Spezialisten noch geläufig sind. Ungeachtet aller Zäsuren, taktischen Wendungen und internen Differenzen im Denken und Handeln der Kolonial-Lobby macht van Laak Kontinuitätslinien sichtbar, die weit über das Ende der deutschen Kolonialgebiete hinausreichen und erst um das Jahr 1960 zu einem Ende kommen. Was er schildert, ist insoweit zwar eine versunkene Epoche, doch zugleich auch die Vorgeschichte dessen, was wir heute als "Globalisierung" bezeichnen. Die aktuelle Misere vieler afrikanischer Staaten ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass die technische Erschließung nicht die Ergebnisse hervorbrachte, die sich ihre Promotoren erwarteten, dass sie, im Gegenteil, die Keime der Unterentwicklung einpflanzte. http://www.buecher.de/w1100485sz3506717456


 

5. Rang (30 Punkte, 5 Voten)

Bayly, Christopher Alan: The birth of the modern world 1780 - 1914. Global connections and comparisons. Malden, Mass. [u.a.] 2004.

"The Birth of the Modern World", die 2004 erschienene Globalgeschichte des ‚langen’ 19. Jahrhunderts aus der Feder des Cambridger Historikers C.A. Bayly, ist ein großer Wurf. Ambitionierte Visionen einer zukünftigen global history haben seit einigen Jahren Konjunktur, aber Baylys Buch ist eine der ersten Studien, die diese Programmatik empirisch und darstellerisch einholen. Sein Werk versucht sich an einer Analyse der übergreifenden Trends der Herausbildung der globalen Moderne, ist zugleich voller Einzelheiten und überraschende empirische Befunde; es dokumentiert überzeugend die Notwendigkeit, die Entstehung der modernen Welt als dezentralen und zugleich zusammenhängenden Prozess zu begreifen. Sebastian Conrad für H-Soz-Kult

The Birth of the Modern World is a wonderfully ambitious book that effectively demonstrates the global nature of the modern world and the need to decentre national histories and think big. It is a 'thematic history' demonstrating how 'historical trends and sequences of events, which have been treated separately in regional or national histories, can be brought together'. Bayly's emphasis is on the interdependencies and interconnectedness of political and social changes across the world in a period well before contemporary globalisation. It is in part a culmination of his own work over a long period – using his rich and detailed knowledge of Indian and South Asian history as he did previously in Imperial Meridian – as a basis from which to reflect on national, imperial and global concerns. It is an intervention in the current debates over globalisation, for he shares the insistence of A. G. Hopkins and others that the contemporary version of this is not the first; theorists must be more careful to specify the particularities of phases of globalisation given its long history. It is also an attempt to put a particular reading of connection and interdependence at the heart of the making of the modern world, thereby unseating E. J. Hobsbawm's magisterial four volumes on the long nineteenth century, The Age of Revolution, Industry and Empire, The Age of Capital and The Age of Empire with its drama of the unfolding logic of capitalism and exploitation, and providing a new account for these post-Marxist times. http://www.history.ac.uk/reviews/paper/hall.html