Gegendarstellung von Thomas Schmitz zum Beitrag von Krisztian  Ungvary vom 21.01.2000

Sehr geehrter Herr Ungvary,

auch nach einer erneuten statistischen Ueberpruefung des Ausstellungskataloges (1. Aufl. 1996, welche mit der 2. und 3. Auflage identisch ist) bin ich zu keinem anderen Ergebnis gekommen. Demnach befinden sich in dem Katalog 659 Fotos, 68 abgebildete Buchumschlaege / Zeitschriftencover / Kinoplakate aus der Nachkriegszeit, eine zweiseitige Bildtafel mit 60 Passbildern, 16 abgelichtete Dokumente und 3 Landkarten neueren Datums. Das macht zusammen 806 Abbildungen. Ansonsten gibt es keine Bilder im Katalog; alles uebrige ist Text. Somit muessen Sie - wohl oder uebel - alles mitgezaehlt haben, mit Ausnahme der Landkarten, um auf 801 Bilder als Gesamtzahl und prozentuale Bezugsgroesse Ihrer Statistik zu kommen. Nur so konnte der Anteil derjenigen Bilder, "die im engeren Sinne Wehrmachtsverbrechen beweisen koennen", auf unter 10 Prozent gedrueckt werden und dies im Abstract (seitens der Redaktion?) als "ein sehr geringer Teil" eingestuft werden. Und nur dank dieser magischen 10 Prozent konnte diese (Falsch-)Meldung ihren millionenfachen Siegeszug durch die konservative und nationalistische Presse Deutschlands antreten.

Ich glaube Ihnen gerne, dass Sie urspruenglich nicht vorhatten, Aepfel und Birnen aufzuaddieren, sprich die Buchdeckel, Plakate, Passbilder etc. in die Rechnung miteinzubeziehen. In der Tat ist unter der Kapitelueberschrift zu Ihrer Tabelle: "Statistische Auswertung der Fotos" in Klammern hinzugefuegt zu lesen: "(ohne abgebildete Dokumente und sonstige Bilder)" (GWU Heft 10/1999, S. 593). Dann sind aber die Zahlen der Kategorien 1 (Ausgestellte Bilder insgesamt) sowie 1.1 (Bilder, die weder Verbrechen noch Kriegshandlungen zeigen) und vor allem saemtliche Prozentangaben falsch. Sie haben sich m.E. schlichtweg verzaehlt und damit im Grunde genau das gemacht, was auch den Organisatoren der Wehrmachtsausstellung, ja ueberhaupt jedem noch so serioesen Forscher frueher oder spaeter ungewollt unterlaeuft: Sie haben einen Fehler gemacht. Anstatt 659 Fotos haben Sie Ihrer quantitativen Analyse 801 Bilder zugrundegelegt und damit alle Proportionen verzerrt. Das entspricht einer Fehlerquote von ueber 20 Prozent, und ist damit viel hoeher, als den Hamburger Ausstellungsmachern selbst vorzuwerfen ist. Vielleicht verstehen Sie jetzt, dass wir alle Fehler machen koennen, und dass man nicht jedem Versehen automatisch Inkompetenz oder Boeswilligkeit unterstellen, geschweige denn nach personellen Konsequenzen rufen sollte.

Zu Punkt 2: Ich hatte eigentlich gehofft, anhand meiner Beispiele demonstriert zu haben, dass es prinzipiell wenig Sinn macht, Ausstellungen oberflaechlich statistisch auszuzaehlen. Dass 90 Prozent der Bilder nicht unmittelbar auf den Titel der Ausstellung verweisen, ist erstens falsch (siehe oben) und zweitens durchaus nicht bedenklich. Oder halten Sie es fuer bedenklich, dass das Holocaust-Museum nicht in der Lage ist, die systematische Vernichtung der Juden "im engeren Sinne", sprich den Vergasungsvorgang selbst, mit Fotoaufnahmen aus dem Inneren der arbeitenden Gaskammern zu dokumentieren? Wuerden Sie den Polen das Recht abstreiten, eine Ausstellung ueber die Verbrechen der Sowjets zu konzipieren, weil es - vielleicht - keine Fotodokumente der eigentlichen Erschiessungen in Katyn gibt, sondern nur Fotodokumente der Kategorie 3: "Bilder mit Todesopfern ohne bekannte Taeter"?

Zu Punkt 3: Wenn in dem Konzeptpapier - welches mir freilich nur auszugsweise bekannt ist - das Ziel der Ausstellung darin gesehen wird, der breiteren Oeffentlichkeit nach den bereits allseits bekannten Verbrechen einiger fuehrender Nazis und einzelner Wehrmachtsgeneraele auch die Kriegsverbrechen "des einfachen Mannes" bzw. "des kleinen Soldaten" aufzuzeigen, so bedeutet das im Deutschen nicht, dass damit pauschal JEDER EINZELNE einfache Mann bzw. kleine Soldat gemeint ist. Das bedeutet im Grunde nur eine methodologische Erweiterung der Kriegstaeterforschung um eine sozialgeschichtliche und (kriegs)alltagsgeschichliche Dimension. Inwiefern die (Geheime) Feldpolizei, Hilfswillige etc. unter dem Kommando der Wehrmacht standen und deren Verbrechen hier zu beruecksichtigen sind, vermag ich nicht zu sagen; da bin ich nicht kompetent genug.

Schliesslich: Ich habe Ihnen nicht vorgeworfen, ein Rechtsradikaler zu sein oder gar den Holocaust zu leugnen, genausowenig wie ich Ihnen vorgeworfen habe, die Existenz Walther Rathenaus zu leugnen oder zu bestreiten, dass Wilhelm II. jemals im Exil gelebt haette. Sehr wohl aber habe ich mit diesen Beispielen aufzeigen wollen, wohin Ihr Verfahren, Ausstellungen statistisch auszuzaehlen, fuehren koennte, wenn andere Leute es auf andere Ausstellungen anwenden wuerden, und welchen Sinn es dann machen wuerde. Es handelte sich hierbei um Methodenkritik und nicht um eine Gesinnungspruefung.

Mit freundlichen Gruessen,

Thomas Schmitz


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: "Thomas Schmitz" <schmitz_thomas@yahoo.com>
Subject: Re: Gegendarstellung: Ungvary - Wehrmachtsausstellung/Schmitz
Date: 26.01.2000


   

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