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Debatte um die Reform des Hochschulrahmengesetzes

Ulrich Herbert:  

Die Posse

An den Unis werden Massenentlassungen als Reform verkauft

Es ist eine Posse und ein starkes Stück: Dem neuen Hochschulrahmengesetz zufolge soll eine ganze Generation hochqualifizierter Wissenschaftler entlassen werden. Einige tausend Forscher sind von Dauer-Arbeitslosigkeit bedroht - ein historisch präzedenzloser Plan, der als Teil der "Modernisierung der Universitäten" ausgegeben wird.

Einer der Betroffenen ist der Historiker Constantin Goschler. Der hatte Erstaunliches zu berichten: Er hatte gerade seine Habilitationsschrift abgeschlossen und suchte nun eine neue Beschäftigung, denn seine Assistentenstelle lief zum Ende des Jahres 2001 aus. Angesichts seiner Fähigkeiten hat er vermutlich gute Chancen auf eine Professur, allerdings wohl erst in ein oder zwei Jahren, weil derzeit alle Stellen besetzt sind. So hatte er sich bei einer Stiftung um die Finanzierung eines Forschungsprojekts beworben. Das umfängliche Exposé war von mehreren Gutachtern geprüft und positiv beschieden worden. Nun war alles in Ordnung, dachte Goschler und informierte die Berliner Humboldt-Universität von der erfolgreichen Einwerbung von "Drittmitteln", wie die Zuwendungen außeruniversitärer Stiftungen genannt werden.

Er fiel aus allen Wolken, als die Antwort der Universitätsverwaltung einging: In Übereinstimmung mit dem zum 1.1.2002 in Kraft tretenden neuen Hochschulrahmengesetz müsse er entlassen werden. Da er nun schon 12 Jahre an einer deutschen Universität beschäftigt sei - die Zeit als Hilfskraft wird mitgezählt -, könne er die bereits genehmigte Stelle nicht antreten. Auch an einer anderen deutschen Universität oder an einem Institut dürfe er fortan nicht mehr beschäftigt werden - obwohl er für seine Finanzierung ja selbst gesorgt hatte. Angesichts dieser befremdlichen Mitteilung suchte Goschler nach einer Erklärung. Er hörte, dass er kein Einzelfall sei, mehr erfuhr er nicht.

Ein Rundruf bei deutschen Bildungsverwaltungs-Institutionen vermittelte den Eindruck kompletter Konfusion. Weder im Berliner Senat, noch bei der Geschäftsstelle des Wissenschaftsrats, noch beim baden- württembergischen Wissenschaftsministerium war Genaueres zu erfahren. Bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft zeigte man sich verwundert und alarmiert. Schließlich sind rund ein Viertel aller von der DFG finanzierten Forschungen von dem Gesetz betroffen. Aber der Präsident war durch die Stammzellen-Debatte absorbiert. Zudem stand die DFG in der öffentlichen Kritik, weil sie die Regelung für die Bezuschussung von Druckkosten für Bücher geändert hatte. Darüber hatten sich hunderte aufgebrachte Professoren beschwert. Dass binnen weniger Wochen an den deutschen Universitäten eine Massenentlassungswelle einsetzen würde, war offenbar den meisten nicht bekannt oder kümmerte sie nicht.

Das dreckige Dutzend

Was war geschehen? Wer bisher als Wissenschaftlicher Mitarbeiter oder Assistent nach Ablauf seines Vertrages keine Professur erlangte, - sei es vorübergehend, sei es auf lange Sicht -, der konnte sich bei der DFG oder anderen Institutionen um die Finanzierung eines befristeten Forschungsprojekts bewerben. Diese Wissenschaftler mussten sich strengen Qualitätsprüfungen unterziehen. Das Niveau solcher "Drittmittelforschung" war folglich besonders hoch.

Diese Regelung bescherte dem Land höchst engagierte und kompetente Wissenschaftliche Mitarbeiter auf Zeitstellen. Dem neuen Hochschulrahmengesetz zufolge soll diese Gruppe von Wissenschaftlern eliminiert werden. In Zukunft hat jeder Kandidat ein Kontingent von maximal zwölf Jahren, die er auf einer befristeten Stelle an der Hochschule verbringen darf: Sechs Jahre bis zur Promotion, sechs Jahre danach. Nach diesen zwölf Jahren darf er nur noch in einer unbefristeten Stelle, in der Regel also einer Professur, beschäftigt werden - sonst erfolgt die Kündigung. Dass davon einige tausend Wissenschaftler betroffen sind, so wird in manchen Ministerien und Universitätsverwaltungen konzediert, sei bei den Beratungen niemandem klar gewesen. Aber nun ist es zu spät, Gesetz ist Gesetz.

Die Begründung für die Massenentlassung ist erstaunlich: Eine befristete Beschäftigung sei auf Dauer unsozial, "Drittmittelkarrieren" sollten daher verhindert werden - so hieß es sowohl bei Gewerkschaften wie bei Ministerien.

Die Zahl der befristet Beschäftigten ist in den vergangenen Jahren in der Tat angestiegen. Das liegt auch daran, dass die Forschungsaufträge in vielen Bereichen so zugenommen haben, dass ein Großteil der Arbeiten nur mit Wissenschaftlichen Mitarbeitern erledigt werden kann, die - nach den schlechten Erfahrungen mit den beamteten Akademischen Räten in den achtziger Jahren - in erster Linie "Projektforscher" sind. Diese "Projektkarrieren" stellen eine Alternative zur zuweilen kaum erreichbaren Professur zur Verfügung, die zwar große Risiken in sich birgt, aber vielfach auch eine gewisse Autonomie und gute Bezahlung mit sich bringt - und allemal besser ist als Arbeitslosigkeit oder fachfremde Beschäftigung weit unterhalb der Qualifikation. Für Universitäten und Institute sind diese erfahrenen und hochmotivierten Mitarbeiter schlicht unersetzlich.

Das Widersinnige des Hochschulgesetzes besteht auch darin, dass der Staat in jede einzelne dieser nun auslaufenden Wissenschaftlerkarrieren Hunderttausende von Mark investiert hat. Im Bundeswissenschaftsministerium sieht man das durchaus, aber dort will man vor allem den "Juniorprofessor" durchsetzen und die Habilitation abschaffen. Wenn man den Strukturwandel wolle, so erklärte ein Beamter des Hauses, dann könne man auf die jetzt entstehende Welle von Härtefällen keine Rücksicht nehmen. Einer seiner Kollegen erklärt es im kleinen Kreis etwas schärfer: Die Generation der Privatdozenten, so führte er launig aus, "müsse man nun leider verschrotten".

In der Presse konnte man über diese Entwicklung bislang nahezu nichts erfahren - auch dies ist ein Ausdruck der weithin ideologischen Debatte, die auf beklagenswertem Niveau ausgetragen wird: Hier das Beharren des Hochschulverbandes auf der "blühenden Assistentenkultur", dort der Triumph der Ministerin: Endlich werde man "das aus dem vorletzten Jahrhundert stammende Hochschuldienstrecht reformieren".

Viele der Betroffenen wissen bis heute nichts von der neuen Rechtslage, die binnen kurzem ihre Entlassung nach sich ziehen wird. Und niemand weiß, was mit den Menschen geschehen soll, denen auf einen Schlag alle Perspektiven zerstört werden. Ein Teil der Natur und Ingenieurwissenschaftler wird vielleicht in der Industrie Anstellung finden. Die meisten Geistes- und Sozialwissenschaftler nicht.

Es ist ganz unklar, wer nun eigentlich die Arbeit, die von diesen hochqualifizierten Wissenschaftlern bisher erledigt wurde, in Zukunft übernehmen soll. Die offenbar bestehende Vorstellung, Doktoranden könnten es tun, lässt angesichts der Komplexität der in Rede stehenden Forschungsaufgaben resignierte Heiterkeit aufkommen. Juniorprofessoren hingegen, auf die weiter verwiesen wird, können diese Aufgaben gar nicht erledigen; denn ihnen ist das gleiche Lehrdeputat auferlegt worden wie Vollprofessoren: acht Semesterwochenstunden. Zudem sollen sie in Organisation und Selbstverwaltung tätig werden. Für Forschung ist keine Zeit - und soll auch keine sein: Künftige Professoren sollen nach der Promotion ja eben nicht ein habilitationsverdächtiges zweites Forschungsfeld erarbeiten müssen. Zwar gibt es Hinweise, dass die Juniorprofessur wegen der ihr anhaftenden Strukturfehler ohnehin nicht lange bestehen, dass sie schnell und unbeweint wieder verschwinden wird. Aber bis dahin sind die jetzt bedrohten Wissenschaftler alle entlassen.

Werden hingegen die derzeit befristet Beschäftigten alle auf Dauer eingestellt, wie dies vor allem gewerkschaftsnahe Sozialdemokraten fordern, so werden, wie schon in den siebziger Jahren, die Positionen an den Universitäten komplett von einer Generation besetzt, so dass die Nachfolgenden keine Chance haben. Von den Folgen dieser Fehlentwicklungen haben sich viele Universitäten bis heute nicht erholt. Davon abgesehen gibt es derzeit gar nicht das Geld für Einstellungen auf Dauer. Denn die Drittmittelforscher werden ja nicht von den Ländern, sondern von privaten oder halböffentlichen Stiftungen bezahlt. Weil sie indes beim Staat angestellt werden müssen, haben die Behörden jetzt einen Zugriff auf sie.

Das Ausmaß an Verwirrung und Inkompetenz, das diese Hochschulreform prägt, ist unbeschreiblich und wird nur von dem herrschenden Zynismus und einem gerüttelt Maß Intellektuellenfeindlichkeit überboten. Man muss leider feststellen, dass diese Attitüden bei den Angehörigen der jetzigen Regierungskoalition und ihren Ministerialspitzen besonders ausgeprägt sind; zumal sie stets und heftig von Bekundungen begleitet werden, man wolle an den Universitäten endlich das Leistungsprinzip durchsetzen, jüngere Leute an die Ruder lassen und die soziale Sicherheit der Beschäftigten stärken. Tatsächlich aber werden alle leistungsorientierten Kriterien zerschlagen, die Generationen gegeneinander ausgespielt und tausende von hochqualifizierten Leuten ohne Aussicht auf Alternativen in die Arbeitslosigkeit entlassen - mit der freundlichen Bemerkung, man habe ihnen eine weitere Zukunft auf einer sozial nicht abgesicherten, befristeten Position nicht zumuten wollen.


Redaktionsnotiz:

Dieser Artikel war in der Ausgabe vom 9.1.2002 in der Süddeutschen Zeitung zu lesen. Auf der Website der Süddeutschen Zeitung findet sich der Artikel unter der http://www.sueddeutsche.de/aktuell/sz/artikel111227.php. Wir danken dem Autor und der Süddeutschen Zeitung für die Freigabe des Artikels zur Veröffentlichung in H-Soz-u-Kult.

Im Oktober vergangenen Jahres gab es in H-Soz-u-Kult schon eine kurze Diskussion über die möglichen Auswirkungen der Novelle des Hochschulrahmengesetzes; dazu sei auf den Artikel von Constantin Goschler vom 16.10.01 und auf die Reaktion von Thomas Mergel vom 17.10.01 verwiesen:


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: "Ulrich Herbert" <ulrich.herbert@geschichte.uni-freiburg.de>
Subject: Artikel: U. Herbert: Die Posse. An den Unis werden Massenentlassungen als Reform verkauft
Date: 10.01.2002


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