von Klaus P. Sommer
Vom Freicorps Epp zum Bundespraesidentenkandidaten in spe - Hermann Heimpel 19.9.1901 - 23.12.1988
In den 50er Jahren war Hermann Heimpel neben Gerhard Ritter der wohl bekannteste deutsche Historiker. Ritter war Historiker der Neuzeit und Zeitgeschichte - er schrieb u.a. ueber den konservativen Widerstaendler Carl Goerdeler -, Heimpel war Mittelalterhistoriker. Nach Professuren in Freiburg ab 1928, in Leipzig ab 1934 und an der "Reichsuniversitaet" Strassburg ab 1941 war er nach 1945 wieder - mit einigen Verzoegerungen durch die fuer ihn nicht ganz glatte "Entnazifizierung" - Professor in Goettingen geworden, nachdem ein Ruf nach Muenchen aus vorgeschobenen konfessionellen Gruenden gescheitert war.
Als Rektor der Universitaet Goettingen wurde er 1953 Praesident der Westdeutschen Rektorenkonferenz. 1956 erhielt er von der Max-Planck-Gesellschaft ihr erstes geisteswissenschaftliches und historisches Institut: Das Max-Planck-Institut fuer Geschichte in Goettingen. 1957/58 war er sogar als Nachfolger von Theodor Heuss als Bundespraesident im Gespraech - mit Heuss und dem FAZ-Mitherausgeber Benno Reifenberg hatte er die damals beruehmte Enzyklopaedie "Die grossen Deutschen" herausgegeben. Er waere wohl auch gerne Bundespraesident geworden. Daraus wurde fuer den der FDP Nahestehenden zuletzt aber doch nichts.
Heimpel war weniger durch "Werke" als als glaenzender Rhetor und Redner bekannt. Was er sagte, ehrt ihn durchaus: Er sprach von "deutscher Schuld" am Nationalsozialismus, er liess Scham erkennen. Er erwaehnte die deutschen Verbrechen - wurde aber nie konkret, wich dem Thema verunsichert aus, wurde nebuloes. Er sprach darueber, wie die deutsche Geschichte nun, nach dem Nationalsozialismus, nach dem Scheitern der Deutschen, nach ihren Verbrechen, neu zu konzipieren, neu zu schreiben sei - schrieb sie aber nicht neu. Seine Vorlesungen zum Thema faszinierten seine Hoerer der 50er Jahre. Doch haben sie einen so ambitioniert geschraubten Tonfall, dass sie schon Ende der 60er Jahre nicht mehr zu veroeffentlichen waren.
So blieb bei Heimpel vieles Ankuendigung, Entwurf. Fernand Braudel, der beruehmte franzoesische Historiker, ist vielleicht der Historiker, der mit Heimpel am besten zu vergleichen ist - er erhielt fast zur selben Zeit wie Heimpel ein eigenes Forschungsinstitut. Aber Braudel hinterliess mehrere grosse Werke, die auf allgemeines Interesse stiessen: "Das Mittelmeer", "Sozialgeschichte des 15. - 18. Jahrhunderts", "Die Identitaet Frankreichs". Auch Heimpel schrieb nach dem Ende seiner oeffentlichen Ambitionen und seiner Professur ein grosses Werk: ueber einen spaetmittelalterlichen hohen Ministerial-Beamten und seine Familie "Die Vener von Gmuend und Strassburg". Es ist wie die Werke Braudels dreibaendig - doch nicht im mindesten vergleichbar interessant oder gar innovativ. Es ist eine hochgelehrte, hochspezielle Studie, die auf Untersuchungen zur Zeit seiner Habilitation zurueckgeht. Es geht um das Reich und seine Reform zur Zeit des Konstanzer Konzils - ein Thema der 20er Jahre.
Heimpel war als Sohn eines protestantischen hoeheren Eisenbahningenieurs 1901 in Muenchen geboren. Mit dem Freicorps Epp kaempfte er 1920 im Ruhrgebiet gegen "die Roten", bei Hitlers Putschversuch am Abend des 8. November 1923 im Buergerbraeukeller in Muenchen war er dabei. Seinen juedischen Historikerfreund Arnold Berney - preussischer Sozialist im Stile Spenglers - forderte er auf, sich zur "Bewegung" Hitlers zu bekennen. (Michael Matthiesen hat die entsprechenden Briefe in seinem Buch ueber Berney kurz vor dem Frankfurter Historikertag 1998 auszugsweise - wohl allerdings nicht ganz fehlerfrei - veroeffentlicht.) Doch Ende 1930 zaehlte seine Frau sich, ihn und das Ehepaar Schadewaldt zu den wenigen Gegnern Hitlers an der Universitaet Freiburg.
1933 aenderte sich das rasch. Wolfgang Schadewaldt, der gefeierte Graezist und spaetere Homer-Uebersetzer, war dort der Fuehrer des nationalsozialistischen Kaders und nun ergebener Gefolgsmann des seit Ende 1930 offen nationalsozialistischen Martin Heideggers. Erfolgreich betrieb er den Putsch gegen den gewaehlten Rektor und seinen Ersatz durch Heidegger.
Der Wirtschafts-Historiker Heimpel, der bis dahin auch Max Weber und Otto Hintze zitiert hatte und gut mit dem badischen sozialdemokratischen Kultus-Ministerium ausgekommen war, ja sogar fast wie Hermann Aubin im Ruf des Marxisten stand, stellte sich jetzt rasch um. Neben Rudolf Stadelmann wurde nun auch er Parteigaenger Heideggers - und mithin Hitlers. Im Sommer- und Wintersemester 1933 eroeffnete er seine Vorlesungen mit "Vorreden", die er 1934 noch stolz privat hatte drucken lassen, nach 1945 aber lieber verschwieg. Auf dem Historikertag in Frankfurt waren die von Michael Matthiesen wiederentdeckten "Vorreden" bzw. die Zitate, die Johannes Fried in seiner Eroeffnungsrede aus ihnen brachte, die Sensation. Hier feiert und legitimiert er die so lange herbeigesehnte Aufhebung aller nationalen und sozialen Gegensaetze durch Hitler - wer sich dagegen ausspreche, den zaehle die Geschichte nicht mehr (zu den Deutschen).
Heimpel wurde nun zum "Reichs-Historiker", der von einer neuen "Ordnung Europas" aus seiner "volkreichen willensstarken Mitte" schwaermte (so Heimpel noch im November 1941), die ihm Hitler zu bringen schien: Das Dritte Reich sei die Wiederkehr des Ersten deutschen Reichs des Mittelalters, die Erfuellung der bis in den Versailler Vertrag von 1919 zumal von Frankreich gehemmten deutschen Geschichte. Das Erste Reich scheiterte durch "Ueberspannung" in seiner kraeftezehrenden Italienpolitik, das Dritte habe dagegen beste Zukunftschancen.
NS-Ideologen wie Alfred Rosenberg und Alfred Baeumler betrieben einen Germanen-, Heidegger einen Griechen-Kult. Beide Kulte waren dezidiert antichristlich, beide teilte Heimpel so nicht. Am Christentum wollte er festgehalten wissen. Damit gefaehrdete er sogar seine Berufung an die als nationalsozialistische Vorzeigeuniversitaet geplante Reichsuniversitaet Strassburg mehr als mit seiner fehlenden Parteimitgliedschaft. Sie war den Nazis als Zeichen von Liberalitaet sogar ganz recht.
Das siegreiche Dritte Reich feierte Heimpel mindestens bis Stalingrad. Danach wurde es ihm im von den Deutschen besetzten Strassburg ungemuetlich, wagte er auch schon einmal den einen oder anderen leicht unvorsichtigen Ausdruck im Seminar. Doch ernstlich in Gefahr brachte er sich nicht.
Heimpel hatte es nicht noetig, Mitglied der Partei zu werden. Schliesslich war er schon vor 1933 Professor geworden - und bald der Star unter den Mediaevisten. Trotzdem hatten einige seiner Kollegen seine "Reichsmystik nazistischer Provenienz" nicht vergessen - wie Heimpels Haltung ab 1933 sein spaeterer Nachfolger Josef Fleckenstein 1989 treffend und Heimpels Adepten verletztend nannte. Spaeter sprach Heimpel davon, dass der Nationalsozialimus es notwendig mache, die deutsche Geschichte neu zu konzipieren. Er wurde zum oeffentlichen Spezialisten fuer dieses Thema. Die, die an Hitler und das Dritte Reich geglaubt hatten, mussten umdenken - ebenso Deutschnationale, die nur den Machtstaatsgedanken kannten oder Reichsdeutsche, die wie Heimpel das Dritte Reich als Wiedergaenger des Ersten feierten. Fuer andere, deutsche Emigranten, Juden und Sozialisten traf das nicht so ohne weiteres zu. Indem Heimpel behauptete, die deutsche Geschichte sei fuer alle Deutschen neu zu konzipieren, schloss er sie ein zweites Mal aus. Zitat Heimpels von 1938, nach dem "Anschluss" Oesterreichs: "Wie frei und gluecklich ruht aber unser Blick auf dem Ersten Reiche der Deutschen. Nicht ihm erborgt, sondern neu beschworen ist die Kraft, aus der Adolf Hitler den Deutschen ihr Reich erhoehte. [...] Oesterreich fand heim - die Krone der Koenige wird im Grossen Deutschen Reich gehuetet. Die 'neueren' Zeiten des geschwaechten Deutschlands [durch den Versailler Vertrag, K.S.] sind vorueber. Was aber erstritten wird, war auch die Ordnung des Ersten Reichs: der Friede der Voelker aus der Kraft ihrer Mitte." Zitat aus: Hermann Heimpel: Das Erste Reich - Schicksal und Anfang, in: ders., Deutsches Mittelalter, Leipzig 1941, S. 176-207, hier S. 207.
Vom Verf. stammt auch eine Sammelrezension von 1999: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensio/buecher/1999/SoKl0299.htm
Klaus P. Sommer
Institut für Wissenschaftsgeschichte der Georg-August-Universität
Göttingen,
Humboldtallee 11, 37073 Goettingen,
<ksommer1@gwdg.de>
Stellungnahme von Klaus Graf, 22.09.2001