Zum 100. Geburtstag von Hermann Heimpel am Mittwoch den 19.9.2001

Stellungnahme von Klaus Graf

Eine so unpassende "Wuerdigung" zu seinem 100. Geburtstag hat Hermann Heimpel bestimmt nicht verdient. Es ist richtig, dass Heimpels fragwuerdige Rolle in der NS-Zeit ohne falsche Ruecksichtsnahme aufgeklaert wird. Man mag es seltsam finden, dass Sommer so gut wie keine keine Sekundaerliteratur zu Heimpels Biographie angibt [1], nicht hinzunehmen ist es, dass Heimpels wissenschaftliches Oeuvre geringschaetzig abqualifiziert wird.

Sommer schreibt: "Auch Heimpel schrieb nach dem Ende seiner oeffentlichen Ambitionen und seiner Professur ein grosses Werk: ueber einen spaetmittelalterlichen hohen Ministerial-Beamten und seine Familie "Die Vener von Gmuend und Strassburg". Es ist wie die Werke Braudels dreibaendig - doch nicht im mindesten vergleichbar interessant oder gar innovativ. Es ist eine hochgelehrte, hochspezielle Studie, die auf Untersuchungen zur Zeit seiner Habilitation zurueckgeht. Es geht um das Reich und seine Reform zur Zeit des Konstanzer Konzils - ein Thema der 20er Jahre."

"Das Rezept ist einfach: Wir suchen uns einen Klassiker der historischen Literatur und messen Heimpels groesste Monographie daran. Schon die anachronistische Formulierung "Ministerial-Beamten" ist hoechst befremdlich. Heimpels Vener von 1982 sind respektvoll als Alterswerk aufgenommen worden. Es ist das Werk eines Emeritus, der vor und nach 1945 durch glaenzende Essays und Aufsaetze, die damals durchaus "innovativ" zu nennen waren, aber auch durch seine Persoenlichkeit die Fachwelt tief beeindruckt hat.

Die Vener-Monographie traegt den Untertitel: "Studien und Texte zur Geschichte einer Familie sowie des gelehrten Beamtentums in der Zeit der abendlaendischen Kirchenspaltung und der Konzilien von Pisa, Konstanz und Basel". Paul Uiblein schrieb in seiner Besprechung: "Fast alle Probleme der Reichs- und Kirchenreform des 14. und der ersten Haelfte des 15. Jahrhunderts kommen in diesen Baenden im glaenzenden Stil Heimpels zur Sprache, so dass dieses Werk [...] fuer eine fundierte Kenntnis vieler Bereiche des deutschen Spaetmittelalters unentbehrlich sein wird" (MIOeG 93, 1985, S. 474).

Heimpel betonte: "Wir gehen nicht von den Problemen zu den Quellen, sondern von den Quellen zu den Problemen. Da wir nun einmal einen in solcher Reichlichkeit wohl einmaligen Quellenstoff aufgedeckt haben, war die Absicht keine andere als die: das uns Ueberlieferte auszupressen" (S.18). Schon daraus geht hervor, dass Heimpels Studie kein "populaeres" Buch werden konnte. Es ist der Aufarbeitung eines schwierigen lateinischen Textkorpus gewidmet, das in Bd. 3 so gut wie vollstaendig ediert wird.

Die Quellen - das sind vor allem: 17 Handschriften, vierzehn in Wien, drei in Wolfenbuettel, die den "Nachlass" Job Veners bilden. Das 14. Kapitel "Buecher und Akten. Beamtenarbeit im Herrendienst" (S.985-1104) verzeichnet den Inhalt der Handschriften, indem es Beschreibung und Analyse vereint. Der zweite Abschnitt des 13. Kapitels zieht daraus die Summe (S.976-982). Es geht um die Zusammensetzung der Baende, den Ueberlieferungszusammenhang der Texte, ihre "Gebrauchssituation". Fuer die eigentlichen "Aktenbaende" Jobs wird festgehalten: "Schon die Zusammensetzung der Venerschen Aktenbaende spiegelt die koenigliche und die pfalzgraefliche Politik"(S.981). Beispielhaft wird vorgefuehrt, was in der Altgermanistik seit geraumer Zeit der "ueberlieferungsgeschichtliche Ansatz" heisst. Unabhaengig davon hatte Heimpel bereits bei der Arbeit an den Konzilsakten (um 1930) die Einsicht gewonnen, dass es bei jeder einzelnen Sammelhandschrift darauf ankomme, "zu erkennen, welches Interesse die Handschrift hat entstehen lassen, was also die Handschrift als ein Stueck Geschichte bedeutet". In der Vener-Monographie heisst es denn auch programmatisch: "die Ueberlieferung ist selbst Geschichte". Es gelte, "die Ueberlieferung selbst historisch ernst zu nehmen, die Handschriften nicht nur punktuell auszubeuten, sondern - was wir an Job Veners Nachlass versuchen - auch als Individuen zu verstehen"(S.232) [2].

Dass die handschriftliche Ueberlieferung in dieser Weise ernstgenommen wurde, war durchaus nicht mediaevistischer "Mainstream". Heimpels Held Job Vener [3] ist einem heutigen Ministerial-Beamten durchaus nicht zu vergleichen. Er ist eine Hintergrundsfigur, deren Bedeutung nur durch Heimpels Quellenfund und durch die entsagungsreiche Kleinarbeit an den Quellen deutlich gemacht werden konnte. Heimpel war nicht Braudel. Aber sein wissenschaftliches Werk war ausserordentlich anregend - selbst wenn es sich auf den ersten oberflaechlichen Blick so sproede praesentiert wie in den "Venern".

Anmerkungen:

[1] An Materialien sind im WWW ausser der H-SOZ-U-KULT-Rezension Sommers verfuegbar eine Verteidigung durch H. E. Troje (mit Texten und weiteren Literaturangaben zu Heimpel) http://www.uni-frankfurt.de/fb01/Troje/Heimpel.html und eine Rezension von Alexandre Escudier, online: http://www.mhfa.mpg.de/public/b35_lib4.html
[2] Diese Passage ist entnommen meiner eigenen Besprechung des Buchs: Klaus Graf, Die Vener, ein Gmuender Stadtgeschlecht. Zu Hermann Heimpels Monographie, Gmuender Studien 3 (1989), S. 121-159. Dort sind auch weitere Rezensionen nachgewiesen. Dankbar denke ich an den Briefwechsel und die beiden persoenlichen Begegnungen mit Heimpel in Goettingen zurueck.
[3] Zu Job Vener vgl. den Artikel zu Ansgar Frenken: http://www.bautz.de/bbkl/v/vener_j.shtml Zu Reinbold Vener: http://www.bautz.de/bbkl/v/vener_r_d_j.shtml

Klaus Graf


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: : "Klaus Graf" <graf@uni-koblenz.de>
Subject: Re: Hermann Heimpel
Date: 22.09.2001