Belsers Lexikon der Kunst- und Stilgeschichte

Titel
Belsers Lexikon der Kunst- und Stilgeschichte.


Herausgeber
Verlag United Soft Media
Erschienen
Anzahl Seiten
Preis
DM 79,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Prof. Dr. Michael M. Metzger, University at Buffalo

Laut Impressum "basiert" die CD-ROM "auf dem Buch Belser Stilgeschichte, herausgegeben von Christoph Wetzel," der neben anderen Wissenschaftlern, Programmierern und Grafikern Konzeption, Redaktion und Textbeitraege auch fuer dieses Werk besorgt hat. Die CD schliesst also an ein Standardwerk der Kunst- und Stilgeschichte an, das vor etwa 30 Jahren in 12 Baenden erschienen ist und spaeter im dtv-Nachdruck weite Verbreitung gefunden hat. Wetzels Neuausgabe (1993) in sechs Baenden war mir nicht zugaenglich, aber die Gliederung der CD laesst vermuten, dass sie eher die Gesichtspunkte der ersten Fassung zu "Kunst", "Stil" und "Geschichte" fortsetzt, als dass sie nach neueren, pluralistischen Ansatzpunkten sucht. Die "Kunst" naemlich, welche die CD darstellt, ist vor allem die Europas und des Mittelmeerraumes in ihren bedeutendsten Epochen von der Fruehzeit bis zur Gegenwart. Bei aller Achtung fuer das, was die Herausgeber hier positiv leisten, muss man fragen, ob eine Konzeption heute als adaequat gelten kann, die die kuenstlerischen Traditionen von Indien, China, Japan, Afrika, dem praekolumbischen Amerika u.a.m. fast voellig ausser acht laesst. Die Gefahr besteht, dass wir die alten Vorurteile des weissen Westens nun digital auf Kunststoffscheiben weiter festschreiben, anstatt es analog auf dem geduldigen Papier zu tun.

Die nominellen technischen Anforderungen der CD-ROM wirken bestechend bescheiden: fuer PC Win 3.x oder 95, 486/33MHz mit 8MB Arbeitsspeicher, 640x480x32k Grafik, 2x-Laufwerk und aehnlich fuer Macs. Mein 60MHz- Pentiumgeraet mit 16MB, der entsprechenden Grafik und einem 12x-Laufwerk, das mit anderen CDs muehelos fertig wird, kommt hier nur bei sehr mangelhafter Wiedergabe von Bild und Ton ueberhaupt mit. Das Laden des Programms dauert dabei etwa 15 Minuten, und die Bedienung ist schleppend. Das haengt wohl mit der sehr aufwendigen Vor-Ueberpruefung des Programms am Computer zusammen, die in meinem Fall das 12x-Laufwerk nur als 1x gelten laesst. Auf schnelleren Win 95-PCs und Macs (ca. 300MHz, 64MB, 24x-Laufwerk usw.), mit denen ich arbeiten konnte, hat sich das multimedial sehr anspruchsvolle Programm vollkommen nach Wunsch und wie versprochen verhalten, mit tadelloser Wiedergabe von Bild und Ton. Ich schaetze also, dass die technischen Mindestanforderungen etwa bei einem Pentium-Prozessor mit 133 MHz und 32 MB liegen sollten. Die Mitarbeiter von United Soft Media antworteten prompt und hoeflich auf meine E-Hilferufe, aber ihre Ratschlaege konnten mir nicht helfen. Allen USM-Produkten gemeinsam ist wohl auch ein vielfaeltiges Informations- und Hilfspaket zur Installation der CD-ROMs der Firma ueberhaupt, einschliesslich einer Verbindung zum Internet, der Adressen von mehreren Herstellern von Laufwerken, Ton- und Grafikkarten usw. sowie Vorschlaegen fuer Problemloesungen.

Nach der geradezu 'amtsaerztlich' anmutenden Ankuendigung "Ihr System wird ueberprueft" fuehrt sich das Programm ziemlich problemlos ein, nur dass man den Uebergang zum ersten Menue nur dadurch findet, dass man ein Auge-Ikon, nirgends sonst erklaert, aufs Geratewohl anklickt, das auf dem Schirm unten am Einband eines alten Buches erscheint, aus dem heraus und in das wieder hinein ein Kubus, eine Kugel und eine Pyramide mit Musik geschwebt sind, um den Benutzer waehrend des Einladens zu unterhalten. Das erste Menue verdeutlicht die Gliederung der CD in fuenf verschiedene Bereiche: Werkverzeichnis, Kuenstlerlexikon, Sachlexikon, Ortslexikon und Kunstgeschichte. Ein grosser Vorzug ist, dass man per Mausklick von einem Bereich zum anderen kommt, ohne zu diesem Menue zurueck zu muessen. Man klickt dabei entweder vorwaerts- oder zurueckweisende Pfeile am Schirmrand an oder aber Schaltflaechen im Text bzw. in einem Menue, das durch Zeigerberuehrung eines auf fast jedem Schirm oben links erscheinenden Auge- Ikons herunterrollt. Auch von einem getrennten Menue "Uebersicht" aus kann man alle Bereiche anklicken.

Das alphabetisch nach Titeln geordnete Werkverzeichnis gibt zunaechst Aufschluss ueber den eigentlichen Kern der CD-ROM, die etwa 1.200 Digital- Bilder naemlich, die auf ihr gespeichert sind. Die Qualitaet der Wiedergabe ist hervorragend, mit sehr scharfer Aufloesung der Bilder, befriedigender Darstellung der Farben und gleichbleibender Helligkeit von Bild zu Bild. Es handelt sich um etwa 750 Gemaelde, 315 Skulpturen und 210 Bauwerke. Dabei ist Italien mit etwa 320 Werken vertreten, Deutschland mit 300, Frankreich mit 220, Belgien und die Niederlande mit 76, Griechenland mit 60, England mit 58, Aegypten mit 53, Spanien mit 39, die Schweiz mit 22, Oesterreich mit 21, die USA mit 16, der Irak mit 13, Russland mit 11 und der Iran und Polen mit je fuenf Werken. Dabei werden die jeweils von der Kunstwissenschaft als am wertvollsten erklaerten Zeitalter und ihre Kuenstler in der Auswahl der Bilder bevorzugt. So sind 24 Werke von Duerer zu betrachten, 14 von Leonardo, 12 von Rembrandt, 11 von C. D. Friedrich, 9 von Raffael, 7 von Michelangelo, aber nur zwei von Picasso und eins von Paul Klee; sehr viele Kuenstler, darunter Hans Arp, Max Liebermann und Frank Lloyd Wright, werden zwar im Kuenstlerlexikon knapp erwaehnt, aber nicht durch die Wiedergabe auch nur eines ihrer Werke naeher dargestellt.

Das Werkverzeichnis gibt neben einer briefmarkengrossen Version des Werks, die durch Mausklick bildschirmfuellend zu vergroessern ist, nur die elementarsten Daten an und weist per Schaltflaeche zum naechsten Schirm hin, der die verschiedenartigsten Auskuenfte verspricht, sowohl zu Titel, Kuenstler, Datierung und Stil des Werks als auch zu seinem "Wer" (Auftraggeber, dargestellte historische oder fiktive Personen), "Wie" (Masse, Material, Funktion, Gestaltung), "Wo" (Land, Region, Standort), "Wann" (Epoche, Datierung, Stil), "Was" (Quelle, Themen, Gattung, Symbole), begleitet von einer "Beschreibung" des Werks. In blauer Schrift erscheinende Eintraege zu diesen Kategorien fuehren per Mausklick zu entsprechenden Rubriken in den Kuenstler-, Sach- und Ortslexika.

Ueber das Werkverzeichnis erreicht man die "Werkrecherche," ein Programm, das es erlaubt, den Werkfundus nach jeweils drei der 19 obengenannten Kategorien zu durchsuchen, entweder nach Werken aller drei Gattungen oder unter Ausschluss von einer oder zwei von ihnen. So laesst sich z. B. eine Reihe von "italienischen Madonnendarstellungen der Renaissance" erstellen, Gruppierungen der Werke mehrerer Kuenstler oder von Bauwerken mit aehnlicher Funktion.

Zu der benutzerfreundlichen Technik der Nachschlage- und Suchfunktionen des Lexikons kommt durch die "Kunstgeschichte" eine echte multimediale Dimension hinzu. Ein Sammelmenue fuehrt zu neun weiteren, die jeweils die Epochen darstellen, in die man hier die Kunstgeschichte einteilt: Fruehgeschichte (10. - 1. Jahrtausend v. Chr.), Altertum (800 v. Chr. - 500 n. Chr.), Fruehmittelalter (500-1000), Hochmittelalter (1000-1400), Spaetmittelalter (1400-1600), 17. und 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Klassische Moderne (1900-45) und Zeitgenoessische Kunst (seit 1945). Fuer jede Epoche hoert man zunaechst jeweils zeitgemaesse Musik und dann einen Vortrag mit "Dia-Show", der 10-15 Minuten lang die wesentlichen historischen, kulturellen und kuenstlerischen Stroemungen der Zeit diskutiert. Danach kann man entweder auf dem Menue etwa 30 fuer die Epoche wichtige Namen und Stichwoerter anklicken, um aus den Lexika weitere Auskunft zu erhalten, oder man kann drei "Specials" abrufen, Vortraege mit Dia-Shows ueber besonders epochenrelevante Themen. So bespricht der Vortrag ueber das Spaetmittelalter Werke von van Eyck, Riemenschneider, Donatello, Botticelli, Giorgione, Raffael, Cranach, Michelangelo, Tizian und Archimboldo, waehrend die "Specials" sich mit Duerer, da Vinci und der Perspektive befassen.

Der Nutzen all dieser technisch und aesthetisch befriedigenden Errungenschaften wird leider stark geschmaelert durch eine Ungleichmaessigkeit der Informationsdarbietung, die man bei einem entsprechenden Buchwerk, das ein "Lexikon" sein will, nicht akzeptieren koennte. Es gibt viel zu viele leere Rubriken bei den Lexika. In der Reihe "Kunst als Aktion" bis "Kunststoffplatte" im Sachlexikon - "Kunst" selbst wird nicht definiert! - werden z. B. sechs von neun Rubriken nicht erklaert, aber vier von ihnen weisen auf ein Werk hin, drei werden erklaert, von denen zwei Werke betreffen, und "Kunsthandel" wird weder erklaert noch einem Werk zugeordnet. Vergleichbare Reihen sind leider ueberall mit Leichtigkeit zu erstellen. Die Rubriken "national" usw. und "Faschismus" fehlen gaenzlich; "Verfolgung" wird nicht erklaert und ist Botticellis "Primavera" zugeordnet. Aehnlich steht es bei den Informationsschirmen zu den Werken, wo viele Kategorien nicht angesprochen werden, das Anklicken einer Rubrik oftmals zu einer Leerstelle fuehrt und die kritischen Werkbeschreibungen gaenzlich fehlen. Fuer viele Kuenstler, sogar fuer sehr bedeutende, werden im Kuenstlerlexikon nur die kaergsten Daten angegeben, ohne auch nur den Versuch einer Wuerdigung, wie z. B. Ernst Barlach oder Kaethe Kollwitz; andere hingegen, z.B. J. A. Koch, Raoul Hausmann oder Klaus Staeck, werden mit groesster Ausfuehrlichkeit behandelt. Die etwa 300 Eintragungen, die zur "Kunstgeschichte" gehoeren, zusammen mit den 300 Bildern in den "Dia-Shows" scheinen mir hinreichend dokumentiert zu sein; darueber hinaus ist der Wert der CD-ROM als Lexikon, verglichen mit den entsprechenden Handbuechern von Kroener et al., sehr fragwuerdig, nicht nur wegen der fehlenden Rubriken usw., sondern auch dank des oftmals duerftigen, inkonsequenten Charakter dessen, was geboten wird.

Das Belser Lexikon der Kunst- und Stilgeschichte scheint sich am besten fuer relativ anspruchslose BenutzerInnen als Einleitung in die Geschichte der Kunst Europas zu eignen, als "Erlebnisraum", wie es der CD-Hersteller ausdrueckt; im Vergleich zu gedruckten Kunstgeschichten oder Nachschlagewerken ist es leider nur wegen der multimedialen Eigenschaften und der hohen Qualitaet der Bildreproduktionen zu empfehlen. Da jegliche Vorrichtung zum Ausdrucken oder Speichern dieser Dateien verstaendlicherweise fehlt, ist ihre Anwendung beim Unterricht oder in Publikationen usw. nur bedingt moeglich bis unmoeglich; man koennte sich hoechstens mittels eines Projektionsgeraetes der Bilder bedienen - etwa zu Demonstrationszwecken -, aber sogar das wird durch das Fehlen einer zuverlaessigen "Album"-Einrichtung im Programm sehr erschwert.

Kommentare

Von Blum, Richard25.02.1999

"Die "Kunst" naemlich, welche die CD darstellt, ist vor allem die Europas und des Mittelmeerraumes in ihren bedeutendsten Epochen von der Fruehzeit bis zur Gegenwart. Bei aller Achtung fuer das, was die Herausgeber hier positiv leisten, muss man fragen, ob eine Konzeption heute als adaequat gelten kann, die die kuenstlerischen Traditionen von Indien, China, Japan, Afrika, dem praekolumbischen Amerika u.a.m. fast voellig ausser acht laesst. Die Gefahr besteht, dass wir die alten Vorurteile des weissen Westens nun digital auf Kunststoffscheiben weiter festschreiben, anstatt es analog auf dem geduldigen Papier zu tun."

Liebe Kollegen,

die oben zitierten Bemerkungen aus der CD-Rezension von Prof. Dr. Michael M. Metzger, University at Buffalo, reizen mich zu der Frage, worin die "Vorurteile" bestehen sollen. Als Nicht-Kunsthistoriker und als nicht permanent in den USA lebendem Wissenschaftler ist mir schleierhaft, ob die "kuenstlerischen Traditionen von Indien, China, Japan, Afrika, dem praekolumbischen Amerika u.a.m. " denn in einer "Kunst- und Stilgeschichte", um die es sich handelt, und das ist ein abendlaendisches Thema, sinnvoll dargestellt werden koennen. Werden Sie auch verlangen, dass African American Philosophy in einer Philosophiegeschichte der Renaissance behandelt wird?

Paul Richard Blum


Von Mautner, Petra26.02.1999

Im Prinzip ist dieser Vorschlag, der augenscheinlich ein rethorischer sein sollte, tatsaechlich ernsthaft zu ueberdenken. Allein schon wegen der kritischen Auseinandersetzung mit dem Epochenbegriff - Renaissance, Barock usw. bedeuten sie doch in diversen Disziplinen durchaus diverses (am schoensten ist das zu sehen mit dem Begriff der Modernen).
Generell scheint mir, ich habe die Rezension allerdings nicht gelesen, das ein Kunstgeschichtelexikon, welches afrikanische, asiatische usw. Kulturen ausschliesst, zumindest einen gewisen Erklaerungsnotstand hinterlaesst. Das jetzt afrikanische Kunst nicht unbedingt mit unserem Epochenbegriff korreliert kann ja nicht den Grund fuer deren "Nicht-Existenz" liefern. Ich sehe sehr wohl in solch unreflektierter Auslassung die Manifestation eines "Vorurteils" oder doch wenigstens von "Eurozentrismus". Eine Frage stellt sich mir, wieso sollte "Kunst- und Stilgeschichte" ein ausschliesslich abendlaendisches Thema sein, oder besser gefragt warum ist es unvorstellbar, das eine traditonelle Fragestellung in einen neuen Kontext gestellt werden kann?

Petra Mautner


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