D. Stiefel (Hg.): Die politische Ökonomie des Holocaust

Titel
Die politische Ökonomie des Holocaust. Zur wirtschaftlichen Logik von Verfolgung und "Wiedergutmachung"


Herausgeber
Stiefel, Dieter
Erschienen
München 2001: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
335 S.
Preis
€ 24,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Beate Schreiber, Facts & Files

Dieser Sammelband entstand aus Vorträgen in einer Reihe des Instituts für Wirtschafts- und Sozialgeschichte und des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien, die von Historikern, Diplomaten und Juristen gehalten wurden. Der Titel „Die politische Ökonomie des Holocaust. Zur wirtschaftlichen Logik von Verfolgung und <Wiedergutmachung>“ macht deutlich, dass es Anliegen der dreizehn Beiträge ist, vor allem die wirtschaftlichen Auswirkungen der Verfolgungen und deren <Wiedergutmachung> - vor allem bezogen auf Österreich - zu untersuchen. Die daraus hervorgegangenen Texte stellen diese Problematik dabei nicht immer aus der Sicht des Historikers dar.

Dieter Stiefel beschreibt in seinem Beitrag „The Economics of Discrimination“ die wirtschaftswissenschaftliche Auseinandersetzung mit Diskriminierung und deren Auswirkungen auf die Volkswirtschaft. Dabei zieht er Parallelen zwischen dem Konkurs eines Unternehmens und der „Entjudung“ der Wirtschaft im Österreich nach dem Anschluss an das Deutsche Reich 1938. Stiefel führt mit Gary S. Becker, der in den 50er Jahren die Konsequenzen der Diskriminierung der Afroamerikaner auf die amerikanische Wirtschaft untersucht hat, aus, inwiefern die <Arisierung> jüdischer Unternehmen nach dem Anschluss Österreichs für die Gesamtwirtschaft positiv wirksam wurde. Stiefel stellt fest, dass neben der politischen auch die wirtschaftliche Diskriminierung irrational war, da sie gesamtwirtschaftliche Kosten verursachte (S.13f.). Dies detaillierter auszuführen, zu belegen und zu begründen bleibt Stiefel jedoch schuldig.

Gerhard Botz hat die <Arisierungen> in Österreich im Zeitraum von 1938 bis 1940 untersucht. Botz definiert als <Arisierung> „die mit unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Mitteln herbeigeführte Enteignung und Beraubung von Juden ihrer wirtschaftlichen und sonstigen materiellen Güter und ihre Verdrängung und Vertreibung aus bestimmten Berufen und gesellschaftlichen und kulturellen Positionen durch Nichtjuden und öffentliche Stellen des Dritten Reiches.“ (S.29) Damit fasst Botz den Begriff der <Arisierung> sehr breit und löst diesen aus dem zeitgenössischen Kontext heraus. So müssen Konfiskationen historisch und juristisch von den Mechanismen und Beteiligten unterschieden werden, die bei <Arisierungen> eine Rolle spielten.

Konfiskationen waren eher verwaltungsbürokratisch geregelt, währenddessen bei „Arisierungen“ Spielräume für die einzelnen Akteure und vor allem Profiteure bestanden. Die besondere Besteuerung der jüdischen Bevölkerung im Deutschen Reich durch die „Judenvermögensabgabe“ als „Sühneabgabe“ für die Pogrome am 10. und 11. November 1938 stellte sozusagen eine Erweiterung der „normalen“ Vermögenssteuer dar. Dies ebenfalls unter dem Begriff „Arisierung“ zu fassen, und dabei die massenhaften Entlassungen und beruflichen Diskriminierungen zu meinen, verkürzt den Begriff der „Arisierung“, weil er ihn verwässert. Eine besondere Entwicklung gegenüber der Etablierung der Verdrängung jüdischer Unternehmer im „Altreich“ hat es nach der Besetzung Österreichs gegeben: 1. die <wilde Arisierung> von Wohnungen und 2. die Übernahme von Geschäften und Unternehmen durch „Kommissare“ während der „Anschlusspogrome“. Mit der Verordnung zur Anmeldung jüdischen Vermögens vom 26. April 1938 wurde eine Basis geschaffen, mit der reichsweit das Vermögen aller Juden – zunächst mit einem Vermögen von mehr als 5.000 RM - erfasst werden konnte. Auf dieser Basis arbeitete die eigens geschaffene Vermögensverkehrsstelle in Wien und verkaufte bzw. liquidierte jüdische Firmen und Geschäfte; eine Vorgehensweise und Verantwortlichkeit, die zu diesem Zeitpunkt nur in der „Ostmark“ zu beobachten ist.

Brigitte Bailer-Galanda referiert in ihrem interessanten und aufschlussreichen Beitrag die Ergebnisse ihrer Recherchen zu Rückstellung und Entschädigung in Österreich nach 1945. Die Österreicher selbst stilisierten sich – so Bailer-Galanda - nach dem Ende des Krieges als Opfer des Nationalsozialismus. Mit der besonderen Betonung der politischen Verfolgung der Sozialdemokraten und Gewerkschaftsfunktionäre konnten dadurch die jüdischen und anderen „rassisch“ Verfolgten keine ausreichende Beachtung innerhalb des gesellschaftlichen Diskurses erlangen, was dazu führte, dass Rückerstattung und Entschädigung wesentlich eingeschränkter vonstatten gingen als in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Fakt, der übrigens auch in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR mit ähnlichen Konsequenzen in der Entschädigungs- und Restitutionsdebatte Parallelen findet.

Auf diesen Umstand geht auch Günter Bischof in seinem Aufsatz ein und beschreibt diese Entwicklungen etwas genauer. Für einige Vermögenswerte gab es gar keine Entschädigung: wie etwa für die 20.000 Betriebe, die liquidiert worden waren und für die nach dem Anschluss geraubten Wohnungen. Außerdem konnten keine Gegenstände entschädigt werden, die nicht auffindbar oder nicht mehr vorhanden waren. Im Dritten Rückstellungsgesetz wurde das Erbrecht derart eingeschränkt, dass Bailer-Galanda vermutet, „daß zahlreiche Vermögen als ‚erblos’ an die Sammelstellen fielen, obschon tatsächlich noch Anspruchsberechtigte vorhanden waren“(S. 74). Damit stößt Bailer-Galanda auf einen zentralen Punkt der Wiedergutmachungspraxis, der sowohl in Österreich wie auch in der Bundesrepublik eine wichtige Rolle spielt: das erbenlose Vermögen bzw. das Vermögen, wo sich Erben nicht ohne weiteres ermitteln ließen. Die Entscheidung, Vermögen, zu denen keine Anträge oder Meldungen von Berechtigten vorlagen, an Interessenvertretungen von Verfolgten zurückzugeben, hat in der Bundesrepublik auch aktuell zu einigen Konflikten zwischen Erben und potentiellen Antragstellern und den Vertretern jüdischer Organisationen geführt. In Österreich machte man es sich dagegen einfacher: wo kein Erbberechtigter war, ging das Vermögen in das Eigentum der Sammelstellen über.

In der Untersuchung zu den österreichischen Lebensversicherungen verknüpft Dieter Stiefel juristische und historische Fragestellungen und macht auf die besondere Problematik der Wahrheitsfindung aufmerksam. Zwar gibt es einige unumstrittene und klare Fakten, doch die eigene Rolle und Verantwortung stellt sich für jeden Akteur völlig anders dar. „Das Verbrechen, um das es geht, ist der Entzug der jüdischen Lebensversicherungspolicen in der NS-Zeit, die Beteiligten sind die österreichischen Versicherungsunternehmen, die Republik Österreich und die geschädigten jüdischen Österreicher“ (S. 77). Stiefel untersucht in seinem Beitrag das Verhalten der Beteiligten: Versicherungsunternehmen, Republik Österreich und jüdische Geschädigte. Stiefel macht dabei deutlich, dass es nach 1945 – aufgrund der juristischen und politischen Rahmenbedingungen und der Währungsreform – unmöglich war, als Verfolgter eine angemessene Entschädigung für die selbst zurückgekauften noch für die nach der 11. Verordnung entzogenen Policen zu bekommen.

Dieter Ziegler geht in seinem Beitrag mit dem Titel „Die deutschen Großbanken im <Altreich> 1933 – 1939“ der Frage nach, „inwieweit die Beteiligung der deutschen Großbanken an der wirtschaftlichen Verfolgung der Juden [...] einem betrieblich rationalen Kalkül entsprach“ (S.119). 1933 waren die drei deutschen Großbanken – Deutsche Bank, Dresdner Bank und die Commerz- und Privatbank – in Folge der Bankenkrise teilweise oder in Mehrheit öffentliches Eigentum. Ziegler untersucht die Mitwirkung der Großbanken an der Umsetzung der einzelnen Stufen des Verdrängungsprozesses. Er stellt abschließend fest: „Im Konflikt der Handlungsrationalitäten setzte sich die Logik der Nutzenmaximierung offenbar bei allen drei Großbanken grundsätzlich durch. [...] Erst mit der Expansion des Reiches erodierte die bislang übliche Geschäftsmoral in einer Weise, daß dieser Schein der ‚Normalität’ nicht mehr aufrechtzuerhalten war oder zur Karikatur verkam “(S.144f.). Damit macht er deutlich, wie eminent bedeutend die Rolle der Banken bei <Arisierungen> einzuschätzen ist. Dabei weist er auf die Notwendigkeit weiterer Detailstudien hin, um die Großbanken in den Branchenkontext einzubinden oder vergleichend zu kleineren, regionalen, anders strukturierten Banken zu untersuchen.

Die Vermögenswerte jüdischer Kunden in dem Postsparkassenamt Wien und deren Konfiskation hat Oliver Rathkolb untersucht. Bisher sind dem Projektteam 7.000 Konten und Depots bekannt, von denen ca. 90 Prozent jüdische Eigentümer hatten. Das Vermögen der Österreichischen Postsparkasse wurde nach dem Anschluss als Sondervermögen in die Deutsche Reichspost überführt. Im August 1938 wurde die Österreichische Postsparkasse aufgelöst und das Postsparkassenamt eingerichtet. Dies wurde „eine zentrale Verwaltungsstelle, die nicht nur für alle Verbindlichkeiten der aufgelösten Postsparkasse einstehen sollte, sondern auch neue Zuständigkeiten für den Postsparerverkehr im Territorium des gesamten Deutschen Reiches erhalten sollte“ (S.154).

Das Postsparkassenamt führte Anordnungen der Devisenstelle aus, wenn diese die Sperrung eines Kontos verlangte, das sich im Eigentum eines potentiellen Emigranten befand. Das Postsparkassenamt sperrte nicht nur die Konten, sondern erweiterte die Anordnung der Devisenstelle auf Depots und Kassenfächer. Rathkolb schildert ausführlich, wie nach 1945 mit den noch vorhandenen Werten in der Republik Österreich umgegangen wurde. Nachdem das Österreichische Postsparkassenamt zunächst die Rechtsnachfolge des Postsparkassensamtes negiert und auf die Deutsche Reichspost als verantwortlicher Behörde hinwies, wurden mit dem Postsparkassengesetz 1969 von der Österreichischen Postsparkasse sämtliche Forderungen, die nach dem 26. April 1945 erworben worden waren, übernommen.

Betrand Perz und Florian Freund stellen in ihrem Artikel zur Zwangsarbeit in Österreich unter der NS-Herrschaft die Ergebnisse ihrer Forschungen vor. Die Wirtschaft Österreichs war 1938 von der Weltwirtschaftskrise stark beeinträchtigt und wurde mit dem Anschluss an die „von der Rüstungskonjunktur geprägte deutsche Wirtschaft angekoppelt, die an den in Österreich brachliegenden Kapazitäten großes Interesse zeigte“ (S.185).

Perz und Freund beziehen den Einsatz der Zwangsarbeiter in den Kontext der am Kriege beteiligten Volkswirtschaften ein, bei denen – durch den Krieg bedingt – Arbeitskräftemangel herrschte. „Die Lösungsmodelle und politischen Möglichkeiten waren je nach den politischen Systemen der einzelnen Länder grundsätzlich unterschiedlich“ (S.183). Die Autoren machen die Unterschiede zwischen dem „Altreich“ und Deutschland deutlich und zeigen, wodurch diese bedingt wurden. Dies ist besonders interessant, da dieser vergleichende Aspekt in der Forschung bisher in den einzelnen Studien kaum verfolgt worden ist.

Hans Winkler, der als Leiter der Abteilung Völkerrecht am österreichischen Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten tätig ist, erörtert die völkerrechtlichen Aspekte des „Anschlusses“ Österreichs und die Entwicklung der österreichischen Position zur Entschädigung von Zwangsarbeitern. Mit der Installation des österreichischen Versöhnungsfonds im Jahr 2000 kamen Verhandlungen mit den USA, den osteuropäischen Ländern und den Opferverbänden zum Abschluss. Winkler konstatiert das Fehlen einer Rechtsgrundlage für die Entschädigung und führt aus, dass die bereitwillige freiwillige Zahlung aufgrund einer moralischen Verantwortung geleistet wurde. Dies wird u.a. dadurch bedingt, dass entsprechende Ansprüche Reparationen und keine Individualrechte darstellen. Österreichische Unternehmen könnten nicht verklagt werden, da Österreich während der Zeit des Zwangsarbeitereinsatzes nicht existierte, so Winkler. Die Verhandlungen über Restitutionen oder Entschädigungen von Vermögenswerten gestalteten sich viel komplexer als jene zu den Zwangsarbeiterentschädigungen. Diese Verhandlungen lösten eine lebhafte Diskussion um die österreichische Rückstellungspraxis in den 50er und 60er Jahren aus, die Brigitte Bailer-Galanda schon beschrieb. Winklers Ausführungen belegen, wie kompliziert die Situation in Österreich war und ist. Es entsteht der Eindruck, dass die Österreicher zu etwas genötigt wurden, was sie eigentlich nicht wollten und dessen Berechtigung sie allenfalls im moralischen Bereich ansiedeln. Dass Österreich sich jahrzehntelang weigerte, Verantwortung zu übernehmen und die Wohnungen, Grundstücke und Unternehmen, an denen sich die <Ariseure> bereicherten, zurückzuerstatten, wird in Winklers Beitrag nicht diskutiert, sondern allenfalls aus der Position des Völkerrechtlers dargestellt. Dass Länder wie die Tschechische Republik ohne Sammelklagen Restitutionsgesetze erließen, bleibt unbeachtet. Es kann nun wahrlich nicht behauptet werden, die Tschechische Republik hätte in der Zeit der deutschen Besetzung existiert und könne daher jetzt zur Verantwortung gezogen werden. Es war anderen Ländern nach Ende des Krieges auch deutlich, dass sie Rückerstattungen durchführen mussten.

James D. Bindenagel beschreibt aus der amerikanischen Sicht die mit Deutschland und Österreich geführten Verhandlungen. Im Interesse der Vereinigten Staaten läge es. „eine Lösung der aus der Ära des Holocaust stammenden Fragen herbeizuführen, die nicht im Rahmen eines Rechtsstreits liegt und weder auf Gegnerschaft noch Konfrontation beruht“ (S. 291). Bindenagel referiert dann die Relevanz der Verhandlungen für die Bundesrepublik, Österreich, die USA und die beteiligten Unternehmen. In der Auseinandersetzung mit der Geschichte sieht Bindenagel die wichtigste Bedeutung dieser Klagen und Verhandlungen für die Zukunft.

Der Sammelband verbindet mit seinem breiten Ansatz und dem wissenschaftlichen Spektrum Autoren – Diplomaten, Historiker und Juristen –, die sich ansonsten eher argwöhnisch beobachten. Die einzelnen Autoren reflektieren unter ihrem speziellen thematischen Focus sowohl die historischen Entwicklungen als auch den gegenwärtigen Diskurs. Dabei entstand beim Lesen des Bandes der Wunsch, dass sich Juristen und Historiker öfter miteinander unterhalten sollten.

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