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Titel
Der Vampirfilm. Klassiker des Genres in Einzelinterpretationen


Herausgeber
Keppler, Stefan; Will, Michael
Erschienen
Anzahl Seiten
206 S.
Preis
€ 19,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jakob Sobe, Berlin

Spätestens seit 1922 in Deutschland mit „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ der erste abendfüllende Vampirstummfilm aufgeführt wurde, spielt dieses Subgenre innerhalb des Horrorfilmgenres eine zentrale Rolle. Kein Wunder also, dass sich eine große Anzahl (populär-)wissenschaftlicher Arbeiten damit auseinandersetzt. 1 Vor allem zwei Ansätze lassen sich dabei unterscheiden: einerseits allgemeine Übersichten des Genres, ohne auf einzelne Filme und deren Analyse zu viel Gewicht zu legen, andererseits die Interpretation einer bestimmten Auswahl von Klassikern, um davon ausgehend die Gesamtentwicklung zu reflektieren. Der von Stefan Keppler und Michael Will herausgegebene Sammelband „Der Vampirfilm“ folgt diesem zweiten Weg, und zwar weniger geschichts- als filmwissenschaftlich: Gesellschaftsbezüge und zeitlicher Kontext treten zurück zugunsten kulturphilosophischer Fragestellungen und ausführlicher Filmanalysen.

In sieben Beiträgen werden, wie im Untertitel angekündigt, „Klassiker des Genres in Einzelinterpretationen“ vorgestellt, umrahmt von einem „Prolog zum Vampir“ und einem Blick auf die „Tendenzen des Vampirfilms der Jahrtausendwende“. Dabei erhebt die Auswahl der Filme keinen Anspruch auf Vollständigkeit: Chronologisch aufeinander folgen verschiedene Besprechungen von Verfilmungen des Romans „Dracula“ von Bram Stoker, die Parodie „The Fearless Vampire Hunters“ (GB 1966), sowie Carl Theodor Dreyers Film „Vampyr“ (F 1931/32), beruhend auf Sheridan le Fanus literarischer Vorlage „Carmilla“. Den roten Faden bildet dabei die Frage nach Übereinstimmungen und Differenzen zwischen Literatur und Film. Andere, von den Herausgebern im Klappentext angekündigte Fragen werden dagegen kaum wieder aufgenommen. Dies gilt beispielsweise für die These vom Kino als Vampir, des Blutsaugers als Symbol für die hypnotische Kraft des Films mit „seinem Befreiend-Grenzauflösenden, aber auch [...] seiner tyrannischen Macht“ (S. 16), die Stefan Keppler, ausgehend von Maxim Gorkis Beschreibung des Films als „Königreich der Schatten“, in seiner Einleitung entwickelt. Ebenso wenig wird das in allen vorgestellten Filmen wiederkehrende Motiv des lesenden Vampirjägers in den sieben Beiträgen nennenswert vertieft. Lediglich Michael Will kommt in seinem Schlusskapitel auf einige dieser Aspekte zurück: Dass beispielsweise die „übermenschlichen Augen des Vampirs [...] den übermenschlichen Augen des Kinematographen“ gleichen (S. 177). Als einzeln stehende Aussage trägt diese Feststellung allerdings wenig zur wissenschaftlichen Erkenntnis bei.

Positiv hervorzuheben sind vor allem einige der Beiträge über einzelne Filme, besonders Elisabeth Bronfens Artikel zu Tod Brownings „Dracula“ (USA 1931), Uli Jungs Text zu Terence Fishers „Dracula“ (GB 1958) sowie Peter Cersowskys Auseinandersetzung mit Roman Polanskis „The Fearless Vampire Killers“, in Deutschland besser bekannt als „Tanz der Vampire“. Die Autoren gehen auf den zeitlichen Kontext und dessen Auswirkungen für die Interpretation des Stoffes ein und analysieren in diesem Zusammenhang darüber hinaus die den Filmen und dem Vampirstoff generell zugrunde liegenden psychologischen Vorstellungen.

In dieser Hinsicht sind vor allem Jungs Überlegungen erwähnenswert: Von 1958 bis 1973 brachte die britische Produktionsfirma Hammer-Film insgesamt acht Dracula-Filme heraus, alle mit Christopher Lee in der Titelrolle sowie alle mit expliziten Gewaltdarstellungen und voller sexueller Symbolik. Jung beleuchtet sowohl das historische Zeitphänomen, speziell die Prüderie im England der 1960er- und 1970er-Jahre, als auch den zeitenthobenen mythischen Kern, welcher sich seit 1897, als Stokers Romanvorlage „Dracula“ veröffentlicht wurde, stets gleich blieb: „Der rächende Vater, die geschändete Mutter und der seiner Schuld bewußte Sohn.“ (S. 95f.) Diesem Sohn gesellt sich mit dem Vampirjäger van Helsing ein zweiter Vater bei, so dass sich nun „zwei Väter um die Körper junger Frauen [streiten], Frauen, nach denen sich das männliche Publikum sehnt“. (S. 96) Beide Figuren fungieren „als Projektionsflächen für einander widerstreitende psychische Bedürfnisse: den Vater zu töten und ihm gleichzeitig zu gehorchen“ (S. 98). Am Ende siegt dann, durch die Pfählung des Vampirs, das konservative Moment: Die vom Vampir gebissenen Frauen sterben entweder, im Tode dankbar lächelnd, oder sie werden gerettet und kehren zurück in den Hafen der Ehe. Dass sie hier, nach einer Romanze mit Graf Dracula, kaum mehr glücklich werden dürften, erwähnt später im Sammelband Norbert Borrmann in seiner Filmbesprechung zu Francis Ford Coppolas „Bram Stoker’s Dracula“ (USA 1992). So bleibt der Mythos also über hundert Jahre im Prinzip gleich, obwohl in Coppolas Film die Frauen, der Entstehungszeit des Films entsprechend, nichtsdestotrotz schon weitaus emanzipierter auftreten als noch in den Hammer-Filmen. Dass demnach aus Vampirfilmen zeitgebundene Geschlechtervorstellungen zu ermitteln wären, ist ein Leitgedanke, den man auch in den anderen Besprechungen hätte verfolgen können – leider verschenkt der Sammelband diese Möglichkeit weitgehend.

Elisabeth Bronfen interpretiert Dracula „nicht nur als Chiffre für ein wirtschaftliches Ausbluten des modernen Menschen, sondern auch als einen antiaufklärerischen Anschlag gegen den Westen“ (S. 64), handelt es sich bei Graf Dracula doch um einen ungarischen Aristokraten, der mit seinem barbarisch anmutenden Appetit auf Menschenblut aus einem verfallenen Karpatenschloss in die moderne Großstadt einfällt. Die von Bronfen besprochene Verfilmung kam zu einer Zeit heraus, als der letzte große Börsenkrach in den USA gerade zwei Jahre zurücklag. „Der Publikumserfolg von Tod Brownings ‚Dracula’ mag deshalb treffend als Blitzableiter für diverse ökonomische und kulturelle Ängste der 1930er-Jahre verstanden werden.“ (S. 65) Ähnlich zeitbezogen und damit den historischen Kontext ebenfalls einbeziehend, bemerkt Peter Cersowsky in seinem Beitrag zu Roman Polanskis Film „The Fearless Vampire Hunters“, dass darin „so mancher Nerv der 60er-Jahre getroffen ist“ (S. 110): Da ist der alte Vampirjäger Professor Ambrosius, der die Welt vom Bösen befreien will, ihm aber letzten Endes unabsichtlich erst in die Welt verhilft und der nicht zufällig wie Albert Einstein aussieht. Da sind die unterdrückten und doch handlungstreibenden sexuellen Wünsche seines Gehilfen Alfred, der Wirtstochter und des homosexuellen Sohnes des Vampirgrafen Krolok. Schließlich taucht das Motiv einer Zweiklassengesellschaft auf, in der der Vampir „ein germanischer Herrenmensch [ist]. Und die jüdischen Dorfbewohner sind seine Opfer.“ (S. 111) Es brodelt, Tabus werden angekratzt – mithin fungiert „The Fearless Vampire Hunters“ als Spiegel für die späten 1960er-Jahre. Leider geht Cersowsky in diesem Zusammenhang kaum auf andere sozialkritische Vampirfilme dieser Zeit ein, in der die Zahl der Vampirfilm-Produktionen für einige Jahre drastisch anstieg – „gewiß als Bestätigung und Kehrseite der neugewonnenen sexuellen und politischen Freiheiten“ (S. 155), wie Michael Will in seinem Artikel herausstellt.

Das Interesse für geschichtliche Kontexte, das sich vor allem in Bronfens, Cersowskys und Jungs Beiträgen findet, ist für die Filmwissenschaft traditionell nur von sekundärer Bedeutung. Insofern wäre der Band, vom mangelnden Durchhalten einiger anfangs angekündigter Leitfragen einmal abgesehen, aus rein filmwissenschaftlicher Sicht empfehlenswert – wenn es nicht zum gleichen Thema schon bessere Veröffentlichungen gäbe. Für Laien ist das Buch zu wissenschaftlich, für Wissenschaftler zu beliebig und mitunter auch zu oberflächlich. Unsterblichkeit – wie dem Vampir – wird diesem Sammelband daher wohl kaum beschieden sein.

Anmerkungen:
1 Aus der Vielzahl der Veröffentlichungen seien hier drei Titel herausgegriffen: Murphy, Michael J., The Celluloid Vampires. A History and Filmography 1897–1979, Ann Arbor 1979; Dorn, Margit, Vampirfilme und ihre sozialen Funktionen, Frankfurt am Main 1994; Jung, Uli, Dracula. Filmanalytische Studien zur Funktionalisierung eines Motivs der viktorianischen Populär-Literatur, Trier 1997.

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