R. Pfeilschifter: Die Spätantike

Cover
Titel
Die Spätantike. Der eine Gott und die vielen Herrscher


Autor(en)
Pfeilschifter, Rene
Reihe
C.H.Beck Paperback 6156. Geschichte der Antike
Erschienen
München 2014: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
304 S.
Preis
€ 16,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Bei dem hier zu besprechenden Werk von Rene Pfeilschifter handelt es sich um eine Überblicksdarstellung zur Spätantike, die den Zeitraum von 284 bis 641 behandelt und an ein breiteres Publikum gerichtet ist. Sie gehört zur neuen Reihe „Geschichte der Antike“ aus dem Verlag C.H.Beck, die knappe Überblicke zu allen Epochen der antiken Welt liefern wird.

Das kurze erste Kapitel (S. 9–17), das einleitenden Charakter hat, diskutiert die möglichen Epochengrenzen und verweist auf die arabische Invasion als entscheidenden Einschnitt, Pfeilschifter geht damit weit über die in Deutschland in der aktuellen Forschung übliche Epochengrenze hinaus, die durch den Tod Justinians 565 markiert wird.1 Als Charakteristika der Spätantike nennt Pfeilschifter die Schwierigkeiten einer Restabilisierung der Gesellschaft, die Etablierung des Christentums und die Herrschaft von mehreren Kaisern zur gleichen Zeit. Die weiteren Kapitel sind ereignisgeschichtlich orientiert und thematisieren einen konkreten zeitlichen Abschnitt: Diokletian und die Tetrarchie (S. 18–46), die Ereignisse des 4. Jahrhunderts vom Jahr 306 bis zum Tod Theodosius’ I. 395 (S. 47–120), das 5. Jahrhundert bis zum Tod des Anastasius 518 (S. 121–193) sowie das 6. und frühe 7. Jahrhundert von der Regierung Justins I. bis zum Tod des Herakleios 641 (S. 194–270). Die Balance zwischen Ereignis- und Strukturgeschichte ist insgesamt ausgewogen; in den früheren Kapiteln macht erstere, in den späteren letztere den größeren Teil aus. Die Anmerkungen (S. 274f.) sind als Endnoten am Schluss des Bandes gebündelt.2 Das Auswahlregister (S. 301–304) ist knapp und übergeht zu viele relevante Stichworte (so sind etwa die beiden erhaltenen Gesetzescodices aus der Spätantike nicht aufgeführt), um von größerem Nutzen zu sein.

Die von Pfeilschifter gebotenen Informationen sind für gewöhnlich korrekt und nicht zu stark vereinfachend. Eine solche Einführung zur Spätantike sollte sicher nicht an den Maßstäben einer wissenschaftlichen Detailuntersuchung gemessen werden. Einige Punkte, die bei der Lektüre auffielen, seien hier aber dennoch angemerkt: Die Aussage „um 260 stand das Imperium vor der Auflösung“ (S. 22) dürfte doch zu sehr überzogen sein. Dass die Amtsträger der städtischen Kurien entweder vom Statthalter (S. 151) oder vom Kaiser gewählt wurden, wenn dieser nicht ganz auf sie verzichtete (S. 27), lässt sich mit einem Blick in die Gesetzgebung (etwa Codex Theodosianus 12,6,20) leicht widerlegen; auch die pessimistische Sicht auf die in der Spätantike erheblich steigenden Belastungen der Kurialen (S. 151) wird man nicht unbedingt teilen. Die Frage, ob das Galeriusedikt sich als Erfolg erwiesen hätte, wenn diesem nicht ohnehin kurz darauf ein christlicher Kaiser gefolgt wäre (Pfeilschifter bleibt hier unentschlossen, S. 41f.), lässt sich mit einem Parallelfall bejahen: So praktizierten die ägyptischen Juden Kaiserverehrung, also Opferhandlungen an ihren Gott für das Wohl des Kaisers, aber keinen Kaiserkult im eigentlichen Sinne 3 – ähnliches fordert auch das Galeriusedikt. Übertrieben ist die Behauptung, dass Diokletian aufgrund seiner Christenverfolgung als Muster des schlechten Kaisers gegolten habe, so dass „ein zweiter Diokletian zu sein […] der schlimmste Vorwurf, den man einem Kaiser machen konnte“ (S. 41), gewesen sei; Diokletian ist oft nur einer von mehreren Verfolgern und schlechten Kaisern, die je nach Bedarf und Wissensstand des Autors genannt oder nicht genannt werden.4 Konstantin wurde nicht zum Caesar (S. 47 u. 276), sondern zum Augustus ausgerufen; sein bald danach angenommener Caesartitel ist ein Kompromiss mit Galerius. Konstantin wird sicherlich mehr als eine „mäßige Ausbildung“ (S. 47) erhalten haben; dass er nie gut Griechisch sprach, besagt nicht viel, da auch der gebildetere Julian nie die lateinische Sprache vollends beherrschte. Dass das tetrarchische System automatisch eine „Zurückstellung natürlicher Verwandtschaft“ (S. 47) bedeutet habe, wird bereits durch Maximinus Daia, den Neffen des Galerius, widerlegt. Das Gerücht, wonach Konstantin von seinen Halbbrüdern getötet worden sei, ist keine Propaganda Constantius’ II. nach den Familienmorden von 337 (so S. 84), sondern eine spätere Erfindung homöischer Tradition, die zuerst bei Philostorgios (2,16) auftritt.

Dass Constantius II. „von Mißtrauen gegen seinen neuen Caesar“ (S. 88f.) Julian „zerfressen“ (S. 89) wurde, ist so sicher nicht anzunehmen; diese Wertung geht auf die verzerrende Darstellung der julianfreundlichen und constantiusfeindlichen Überlieferung bei Ammianus und Zosimos zurück. Die Aussage, dass Julian „bereits seit 358 eine Rebellion erwogen habe“ (S. 89), geht nicht über eine wenig wahrscheinliche Hypothese hinaus. Der Behauptung, dass eine Konversion zum Christentum aus Karrieregründen dennoch überzeugte Christen hervorgebracht habe (S. 98), stehen die Erkenntnisse Alan Camerons über die Konversionen in der Spätantike entgegen.5 Dass „ein paar ungestüme Soldaten“ (S. 101), die nicht der Führungsgruppe angehörten, die Wahl Kaiser Jovians durchsetzten, ist eine tendenziöse Erfindung des Ammianus. Den Prozess gegen Serena, Stilichos Witwe, lediglich als Produkt der „allgemeinen Barbarenhysterie“ (S. 134) anzusehen, wird dieser deutlich komplexeren Angelegenheit nicht gerecht. Sonderbar ist Pfeilschifters Behauptung, dass Gesetze von allgemeiner Gültigkeit „nur im Tätigkeitsbereich des angeschriebenen Amtsträgers ausgehängt wurden“ (S. 146), dann zwar auch im sonstigen Reich galten, „aber dort wußte kaum einer von ihnen“ (S. 146). Hier hat sich Pfeilschifter wohl von der Überlieferungslage irreführen lassen, da von den meisten Gesetzen nur die in die Codices aufgenommene Kopie erhalten ist, jedoch erheblich mehr versandt wurden; bezeichnend ist, dass die Prätorianerpräfekten zu den häufigsten Adressaten der Gesetze des Codex Theodosianus gehören und somit in jedem Fall ein umfangreicher Gültigkeitsbereich gesichert ist. Pfeilschifters Ansicht, dass in den Codex Theodosianus nur Gesetze seit Konstantin aufgenommen wurden, weil die früheren für die Zustände der Gegenwart nicht relevant waren, und dass die nicht aufgenommenen, früheren Kaisergesetze ihre Gültigkeit verloren (beides S. 146), wird durch den Codex Iustinianus, der bis zu Hadrian zurückgeht (was Pfeilschifter auch bekannt ist, S. 147) widerlegt.

In einer Zeittafel zur Spätantike (S. 276–279) wird zweifellos jeder etwas finden, was entweder unnötig ist oder ergänzt werden sollte. Was sich allerdings nicht nachvollziehen lässt, sind die Angaben zu den antiken Autoren: Ammianus wird nach seinem Todesdatum „um 400“ (S. 277), Prokopios dagegen nach seinem Geburtsjahr „um 507“ eingeordnet (S. 278). Erheblich sinnvoller ist da die Einarbeitung des Theophylaktos Simokates „um 630“ (S. 279), nämlich nach der Abfassungszeit seines Geschichtswerkes. Eine solche Angabe wäre auch für die beiden anderen Historiker angebracht gewesen.

Auch mit den insgesamt hilfreichen Hinweisen zu Forschung und Literatur (S. 280–301) wird man nicht immer glücklich. Pfeilschifter konzentriert sich hier auf „grundlegende Arbeiten und solche, die ihrerseits eine Überblicksdarstellung bieten“ (S. 280) und stellt zurecht fest, dass eine Auswahl notwendig ist und dass auch wichtige Titel fehlen. Meistens trifft er eine durchdachte Auswahl. Dass allerdings Demandts grundlegendes Spätantike-Handbuch ungenannt bleibt, ist unverständlich.6 Noch einige kleinere Ergänzungen und Korrekturen seien genannt: Seecks „Geschichte des Untergangs“ erschien entweder 1920–1923 (aktuellste Auflage) oder 1895–1923 (insgesamt), nicht aber 1913–1923 (S. 282). Für Mommsens Vorlesungen zur Kaisergeschichte wäre die aktualisierte Auflage von 2005, nicht die von 1992 (S. 285) zu nennen gewesen. Der Aufsatz von Peter Weiß zur Vision Konstantins ist, wenngleich in englischer Übersetzung, in einer aktualisierten Fassung vorhanden.7 Der berühmte Aufsatz von Peter Brown ist auch in deutscher Übersetzung erschienen.8 Eine reichhaltige Liste der Übersetzungen des Libanios (S. 288) bietet Nesselraths Biographie des Rhetors.9

Manchmal neigt Pfeilschifter zu recht eigenwilligen Formulierungen, die man als Geschmackssache einordnen wird: So bezeichnet er die Darstellung Diokletians bei Laktanz als das „Bild eines antiken Dagobert Duck“ (S. 28); Konstantins Sieg fasst er damit zusammen, dass „sich eben der gerissenste Gangster durchgesetzt“ (S. 49) habe, und ein unangenehmer Nebeneffekt von Julians ausgiebiger Opfertätigkeit sei „das dauernde Fressen der Soldaten“ gewesen (S. 95). Hierzu gehören auch gelegentliche Anglizismen: Das Problem der Christen sei ihre „Abkehr vom Roman Way of Life“ gewesen (S. 41); Konstantin habe „noch nicht den entsprechenden Mindset“ (S. 58) für das Christentum entwickelt; die Bischöfe seien eine „Gemeinschaft von Peers“ (S. 67); Aetius habe die „Manpower“ (S. 169) seiner barbarischen Helfer gebraucht; Herakleios gelingt bei der Erhebung gegen Phokas „die Beendigung des Stand-offs“ (S. 259). Der einzige Druckfehler, der dem Rezensenten auffiel, ist paradoxerweise ein sinnentstellender: Attila sei als „Geisel Gottes“ (S. 164) wahrgenommen worden.

Pfeilschifter legt eine gut lesbare, unterhaltsame und informative Darstellung vor, die einem interessierten Laien oder Studierenden als Einführung in die Geschichte der Spätantike trotz kleinerer Einwände durchaus empfohlen werden kann. Aus wissenschaftlicher Perspektive bleibt diese Überblicksdarstellung naturgemäß von nur begrenztem Interesse, sie lohnt aber zumindest insofern einen Blick, als sie auch eine aktuelle Darstellung der in den meisten Einführungswerken zur Spätantike übergangenen Zeitspanne vom Tod Justinians 565 bis zum Tod des Herakleios 641 bietet.

Anmerkungen:
1 Für eine ähnliche Epochengrenze, jedoch mit anderer Begründung plädierte Wilhelm Ensslin, Der Kaiser in der Spätantike, in: Historische Zeitschrift 177 (1954), S. 449–468, hier S. 449f. (mit dem Verweis auf die Einführung der Themenverfassung).
2 Da diese allerdings ausnahmslos Belegstellen für im Volltext angeführte Zitate sind, hätte man darauf auch verzichten und die Angaben in Klammern hinter das Zitat selbst stellen können (so geschehen beispielsweise S. 116, Z. 8); dies hätte den Lesefluss noch gefördert.
3 Dazu Stefan Pfeiffer, Der römische Kaiser und das Land am Nil, Stuttgart 2010.
4 Siehe beispielsweise Nikephoros Gregoras 25,36 (63,6–7 Bekker), wo der angesprochene Kaiser mit Julian und Maximian (= Galerius?) sowie „den Bilderstürmern und ähnlichen Verfolgern“ verglichen wird.
5 Alan Cameron, The last pagans of Rome, Oxford 2011, S. 173–205 (Kapitel 5: Pagan converts), der zeigt, dass in den meisten Fällen gemäßigte Heiden zu einem gemäßigten Christentum bekehren ließen.
6 Alexander Demandt, Die Spätantike. Römische Geschichte von Diocletian bis Justinian (284–565 n. Chr.) (Handbuch der Altertumswissenschaft III 6), 2. Aufl., München 2007.
7 Theodor Mommsen, Römische Kaisergeschichte: nach den Vorlesungs-Mitschriften von Sebastian und Paul Hensel 1882/86, hrsg. von Barbara und Alexander Demandt, 2. Aufl., München 2005; Peter Weiß, The vision of Constantine, in: Journal of Roman Archaeology 16 (2003), S. 237–259.
8 Peter Brown, Aufstieg und Funktion des Heiligen in der Spätantike, in: ders., Die Gesellschaft und das Übernatürliche, Berlin 1993, S. 21–47 u. S. 87–99 (Anmerkungen).
9 Heinz-Günther Nesselrath, Libanios, Stuttgart 2012, S. 143–145.

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