Zwangsarbeit im ländlichen Franken 1939-1945

Zwangsarbeit im ländlichen Franken 1939-1945

Veranstalter
Fränkisches Freilandmuseum Bad Windsheim unter Mitarbeit der „Arbeitsgruppe Geschichte“ am Gymnasium Carolinum in Ansbach und des Mittelpommerschen Museums Stolp
Ort
Bad Windsheim
Land
Deutschland
Vom - Bis
08.03.2009 - 17.05.2009

Publikation(en)

Cover
May, Herbert (Hrsg.): Zwangsarbeit im ländlichen Franken 1939-1945. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung. Bad Windsheim 2008 : Fraenkisches Freilandmuseum, ISBN 978-3-926834-69-0 334 S. € 16,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Schmidt, Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände Nürnberg

Das Fränkische Freilandmuseum Bad Windsheim hat sich, zusammen mit einer Reihe von Wissenschaftlern und der Geschichts-AG des Gymnasiums Carolinum in Ansbach, eines eher ungewöhnlichen Themas für ein Freilandmuseum angenommen: der Zwangsarbeit im Nationalsozialismus im ländlichen Raum. Dabei umfasst das Projekt neben einer Ausstellung, eine Reihe von Interviews mit ehemaligen Zwangsarbeitern und anderen Zeitzeugen vor allem einen Katalog mit zahlreichen Aufsätzen. Zwar zählt inzwischen der Arbeitseinsatz von Ausländern zu den am besten erforschten Themen der Geschichte des Nationalsozialismus, allerdings standen dabei meist die Industriebetriebe im Mittelpunkt. Erst in den letzten Jahren sind auch Studien zur ländlichen Zwangsarbeit erschienen.1

Das nationalsozialistische Deutschland benötigte die Arbeitsleistung von Ausländern auch in der Land- und Forstwirtschaft, um die dortige Produktion zu sichern. Im Jahr 1944 erreichte der „Ausländereinsatz“ in der Landwirtschaft seinen Höhepunkt mit über 2,4 Millionen Menschen, was etwa 22 Prozent der dort Beschäftigten entsprach. Flankiert wurde diese aus ideologischen Gründen eigentlich unerwünschte Anwesenheit von Ausländern mit rigiden Bestimmungen („Polenerlasse“, „Ostarbeitererlasse“), welche jeglichen persönlichen Kontakt zur deutschen Bevölkerung unterbinden sollten. Hierzu gehörte auch ein rigides Bestrafungssystem mit eigenen Straflagern (Arbeitserziehungslagern), Deportationen ins KZ und öffentlichen Hinrichtungen. In Franken, so resümiert der Leiter des Projekts Herbert May, haben über 200.000 zivile Ausländer zwischen 1939 und 1945 gearbeitet – etwa die Hälfte davon in der Land- und Forstwirtschaft. Nicht eingerechnet sind hierbei die (KZ-)Häftlinge und die Kriegsgefangenen. Trotz der schwierigen Quellenlage bemühen sich in dem Band Stephanie Böß und Ralf Rossmeisl um eine nach Landkreisen differenzierte Darstellung des Einsatzes ausländischer Zivilarbeiter in Mittel- und Oberfranken – allerdings leider ohne eine Bewertung des von ihnen aufbereiteten Zahlenmaterials. Instruktiver ist der Beitrag Mays zur Rekrutierung der Zwangsarbeiter nach Deutschland, die von reiner Werbung basierend auf Freiwilligkeit bis hin zur willkürlichen, gewaltsamen Zwangsrekrutierung reichen konnte. Er stützt sich neben den eigenen Interviews auch auf Zeugnisse, welche die Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft gesammelt hat.2

Frank Präger betrachtet in seinem Beitrag das Durchgangslager Neumarkt in der Oberpfalz, ab 1942 die erste Station für Zwangsarbeiter im nordbayerischen Raum. In diesem für 900 Menschen geplanten Lager hielten sich teilweise bis zu 6.000 Menschen auf – vor allem Männer und Frauen aus Polen, Russland und Slowenien. Fast 1.200 Menschen sind im Dulag Neumarkt bis zur Befreiung gestorben. Häufig mussten hier schwangere Zwangsarbeiterinnen ihr Kind gebären. Werner K. Blessing analysiert das Eindringen nationalsozialistischer Ideologie in die evangelisch geprägte Bauerschaft Frankens zu Beginn der 1920er-Jahre. Es zeigt sich, dass in der „Erzeugungschlacht“ und im Streben nach Autarkie deutlich wurde, dass trotz aller ideologisch motivierter Wertschätzung die Bauern in erster Linie als effektive Nahrungsmittelproduzenten in eine zunehmend rigide Zwangswirtschaft eingebunden wurden. Das nationalsozialistische Idealbild großer Erbhöfe passte kaum zu den regionalen Gegebenheiten in Franken und auch die Konflikte im Umgang mit den Kirchen förderten das Ansehen der NS-Ideologie nicht. Die anfängliche Begeisterung wich dementsprechend einem Geltungsverfall des Regimes, zumal nachdem keine Erfolgsmeldungen der deutschen Wehrmacht mehr zu bejubeln waren. Der Bedarf an Zwangsarbeitern für die Landwirtschaft stieg aber nach 1939 weiter an wie May im darauffolgenden Beitrag zeigt. Dies wird auch auf zahlreichen privaten Fotos deutlich, auf denen auch die „Fremden“ abgebildet sind.

Der Schwerpunkt des Bandes liegt auf dem Alltag der Zwangsarbeiter und dem Umgang mit ihnen durch die deutschen Behörden. Auf über 120 Seiten beschreiben May und Kristina Patzelt in verschiedenen Beiträgen Arbeitsalltag, Arbeitsflucht und Arbeitsverweigerung von Zwangsarbeitern, „unerlaubte Beziehungen“ mit Deutschen, den Umgang mit Schwangeren und Geburten sowie den Terror gegen Zwangsarbeiter bis hin zu öffentlichen Hinrichtungen. Gerhard Jochem arbeitet – vor allem auf der Basis eines Prozesses der Nachkriegszeit am Landgericht Nürnberg-Fürth und einigen Zeitzeugenberichten – die Geschichte des Arbeitserziehungslagers (AEL) Langenzenn heraus.

Im abschließenden Teil des Bandes stellt May den Umgang mit den Zwangsarbeitern nach 1945 dar und Bärbel Bauerschäfer schildert die Schwierigkeiten des Nachweises für eine Entschädigung durch die Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft. 3 Die Geschichts-AG des Gymnasiums Carolinum sowie die Lehrer Frank Fätkenheuer und Helmut Sacha bringen das Interviewprojekt mit ehemaligen Zwangsarbeitern in den Band ein.

Insgesamt erweitert der Band die Kenntnis von Zwangsarbeit auf dem Land erheblich. Er bietet wichtige Einblicke in den Arbeitsalltag und die Einbeziehung bzw. Ausgrenzung der Fremden in der Dorfgemeinschaft – oder eben in ihre Ausgrenzung. Plastisch wird auch der Verfolgungsdruck, unter dem insbesondere die „Ostarbeiter“ standen. Zu den Verdiensten des Buches gehört es in diesem Zusammenhang, einen Teil der nationalsozialistischen Lagerszenerie erstmals wissenschaftlich aufgearbeitet zu haben – etwa im Falle des Durchgangslagers Neumarkt und des Arbeitserziehungslagers Langenzenn. Die Erkenntnisse regionaler Forschung zu Entbindungsbaracken (im mittelfränkischen Weißenburg) und „Ausländerkinderpflegstätten“ werden zusammengefasst und – nicht zuletzt – die Möglichkeiten von Zeitzeugeninterviews nicht nur wissenschaftlich, sondern auch in der Projektarbeit mit Schülern ausgelotet.

Zur Geschichte des Nationalsozialismus gehört auch die dörfliche Welt, die vor den 1950er-Jahren vom städtischen Raum infrastruktukturell und mental stark abgegrenzt war. Franken, das erste Rekrutierungsgebiet der jungen NS-Bewegung4, bietet hier ein interessantes Fallbeispiel dafür, wie Ideologie implementiert, aber auch wie die politische Realität der Kriegsjahre zu Ernüchterung und Enttäuschung führen konnte.

Anmerkungen:
1 Für Bayern und Franken: Anton Grossmann, Fremd- und Zwangsarbeiter in Bayern 1939-1945, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 34 (1986), S. 481-521; Elsbeth Bösl / Nicole Kramer / Stephanie Linsinger, Die vielen Gesichter der Zwangsarbeit: „Ausländereinsatz“ im Landkreis München 1939-1945, München 2005; Albrecht Bald / Ester Neblich, Zwangsarbeiter in Oberfranken, Bayreuth 2008; Reinhard Schwirzer, Einsatz ausländischer Arbeitskräfte. Bemerkungen zum Aufenthalt von „Fremd- und Zwangsarbeitern“ während des Zweiten Weltkriegs in der Stadt Weißenburg in Bayern, in: villa nostra. Weißenburger Blätter. Geschichte, Heimatkunde, Kultur 2 (2008), Teilheft II, S. 27-60.
2 Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (Hrsg.), Geraubte Leben. Zwangsarbeiter berichten, Köln 2008.
3 Vgl. auch den kritischen Erfahrungsbericht des Stadtarchivs Nürnberg: Gerhard Jochem, Vertane Chancen: Die Nachweisbeschaffung für ehemalige Zwangsarbeiter 2000-2004 aus der Sicht eines Kommunalarchivs, in: Norica. Berichte und Themen aus dem Stadtarchiv Nürnberg. 4 (2008), S. 14-19.
4 Hans-Christian Täubrich (Hrsg.), BilderLast. Franken im Nationalsozialismus, Nürnberg 2008 (Ausstellungskatalog Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände).

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