: Helmut Schmidt. Macht und Verantwortung. 1969 bis heute. München 2008 : Deutsche Verlags-Anstalt, ISBN 978-3-421-05795-2 1082 S. € 39,95

: Helmut Schmidt. Die Biographie. Berlin 2008 : Rowohlt Berlin Verlag, ISBN 978-3-87134-566-1 317 S. € 19,90

: Helmut Schmidt. Mensch - Staatsmann - Moralist. Freiburg 2008 : Herder Verlag, ISBN 978-3-451-06020-5 448 S. € 12,95

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniela Münkel, Abteilung Bildung und Forschung, Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU)

Am 5. Januar 1966 feierte Konrad Adenauer seinen 90. Geburtstag. Die Feierlichkeiten für den Mann, „der einen deutschen Staat aus der Taufe gehoben, gesättigt und gerüstet hat“, wie Peter Brügge damals in der „Zeit“ schrieb, nahmen sich vergleichsweise bescheiden aus: Stehempfang beim Bundestagspräsidenten Eugen Gerstenmaier, Geburtstagsessen bei Bundespräsident Heinrich Lübke und Empfang der Bundes-CDU in Bonn. Die Deutsche Bundespost gab beim Bonner Postamt einen Sonderstempel heraus, und der Bertelsmann-Verlag publizierte eine Langspielplatte mit Äußerungen von politischen Weggefährten über den Jubilar. Versuche größerer Ehrungen wie die Verleihung des Ordens „Pour le mérite“, die Benennung einer Hochschule oder einer Straße nach Konrad Adenauer scheiterten am Widerstand der jeweils Verantwortlichen.

Nach Adenauer wurde kein weiterer ehemaliger Bundeskanzler 90 Jahre alt – bis schließlich am 23. Dezember 2008 Helmut Schmidt seinen 90. Geburtstag feiern konnte. Schmidt ließ sich mediengerecht in Szene setzen: Eine Flut von Zeitungsartikeln, Interviews, Fernsehsendungen und -dokumentationen überschwemmte die Republik. Schmidt, der wohl nicht zuletzt wegen des langen Schattens von Willy Brandt und dessen unanfechtbarer geschichtspolitischer Bedeutung Erinnerungs- und Geschichtspolitik in eigener Sache betreibt – es gibt eine Helmut-Schmidt-Universität (in Hamburg), einen Helmut-Schmidt-Lehrstuhl (in Bremen) usw. – nutzte auch seinen Geburtstag, um sich und seine politische Bedeutung für die Geschichte der Bundesrepublik ins „rechte“ Licht zu rücken. Neben der Selbstinszenierung ist er als elder statesman ohnehin ein gefragter Ratgeber und Kommentator bei Presse und Fernsehen. Darüber hinaus nahmen Verlage und Autoren den runden Geburtstag des ehemaligen Bundeskanzlers zum Anlass, um diverse Biographien von Helmut Schmidt zu präsentieren. Hier sollen drei dieser Publikationen näher betrachtet werden.

Die umfassendste Biographie ist diejenige von Hartmut Soell, einem emeritierten Professor für Neuere Geschichte an der Universität Heidelberg. Neben seinem akademischen Werdegang hat Soell auch eine Vergangenheit in der Politik: Von 1965 bis 1968 war er persönlicher Referent Schmidts und Assistent der SPD-Bundestagsfraktion. In den Jahren 1980 bis 1994 gehörte er dem Deutschen Bundestag an. Soell kennt sich also nicht nur in der bundesdeutschen Politik aus; er weiß auch viel über die Vorgänge hinter den Kulissen. Darüber hinaus kennt er Schmidt, seine Politik, sein Denken, seinen Politik- und Arbeitsstil aus eigener Anschauung. Dies merkt man der Biographie an, genauso wie die große Sympathie, die Soell seinem Protagonisten entgegenbringt.

Der zweite Band dieser Biographie trägt den Titel „Macht und Verantwortung“ und umfasst die Zeit von 1969 bis heute.1 Soell bleibt hier seinem Stil von Biographiegeschichtsschreibung treu und liefert eine möglichst detaillierte Wiedergabe des jeweiligen persönlichen, aber vor allem des politischen Lebensweges – im Falle Schmidts insgesamt 2.040 Seiten. Der vorliegende Band umfasst die Zeit, in der Schmidt sich endgültig in die Geschichtsbücher der Bundesrepublik einschreiben konnte: als Verteidigungsminister (1969–1972), als Finanzminister (1972–1974) und schließlich als Bundeskanzler (1974–1982). Auch seinen Aktivitäten nach dem Ausscheiden aus der aktiven Politik wird ein Kapitel gewidmet, das im Verhältnis zum Gesamtumfang allerdings zu knapp ausfällt. Hervorzuheben ist außerdem ein kleines, mit sehr viel Empathie geschriebenes Kapitel über Loki Schmidt.

Obwohl eine wirkliche Überraschung fehlt, gelingt es dem Autor, in Verbindung mit Schmidts Lebensweg ein politisches Panorama der alten Bundesrepublik zu zeichnen, aber auch der internationalen Entwicklungen und des Innenlebens der deutschen Sozialdemokratie. Neben den Höhepunkten und Verdiensten von Schmidts Kanzlerschaft arbeitet Soell die Problemlagen ungeschönt heraus. Hier sind einerseits die außenpolitischen Verwerfungen zu nennen, die sich unter anderem während Schmidts zweiter Amtszeit als Bundeskanzler durch die Verschlechterung der Beziehungen mit den USA unter der Regierung von Jimmy Carter ausdrückten, andererseits die Probleme mit der SPD und Willy Brandt. Das Verhältnis von Brandt und Schmidt war nicht immer problembehaftet gewesen; vor Brandts Zeit als Bundeskanzler war es offenbar intakt. Unterschiede in der Vorstellung von Regierungsführung, von Politikstil und zum Teil auch inhaltliche Differenzen führten dann jedoch zu Konflikten. Die Vorgänge im Umfeld der Guillaume-Affäre und das damalige Verhalten Schmidts zeigen für Soell auch „die Tiefe der kommunikativen Störungen innerhalb des Führungstrios, die sich in den vergangenen Monaten – in Teilen schon in Jahren – ergeben und jeden Ansatz eines gemeinsamen Krisenmanagements verhindert hatte“ (S. 331). Dass Schmidt schließlich doch das Amt des Bundeskanzlers übernahm, hat Brandt ihm nicht übelgenommen; er sah in Herbert Wehner zeitlebens denjenigen, der ihn hintergangen hatte.

„Der Schock, den Brandts Rücktritt in der Partei, beim Koalitionspartner und in der Öffentlichkeit auslöste, beseitigte über Nacht mentale Sperren, die bisher einer Anerkennung der Fähigkeiten Schmidts, die Bundesrepublik führen zu können, im Wege standen“ (S. 331). Dass sich mit der Implementierung der Doppelspitze Schmidt/Bundeskanzler – Brandt/Parteivorsitzender die Konfliktlagen zwischen den beiden Politikern verschärften, ist hinlänglich bekannt. Der Höhepunkt dieser Negativbilanz war wohl unbestritten die Differenz zwischen dem Bundeskanzler, dem Parteivorsitzenden und Teilen der Sozialdemokratie in der Frage des NATO-Doppelbeschlusses, die das Scheitern der sozialliberalen Koalition beschleunigt und begünstigt hat. Allerdings macht Soell in diesem Zusammenhang auch deutlich, dass die Konflikte von außen zusätzlich geschürt wurden, um die Pläne der FDP zu befördern, namentlich diejenigen von Hans-Dietrich Genscher: „Den Kanzler von seiner Partei zu trennen, ihn gar gegen diese in Stellung zu bringen, war Teil von Genschers taktischem Kalkül, mit dem er Druck auf den Koalitionspartner ausübte“ (S. 861).

Soell formuliert über den Kanzler Helmut Schmidt folgendes Fazit: „Er war Krisenmanager, aber nicht in dem häufig herablassend geäußerten Sinn. Von Visionen nach Art mittelalterlicher Heiliger, die den Himmel schauen durften, hatte er nie etwas gehalten. Aber er entwarf in einem krisenhaften Jahrzehnt konkrete und ideenreiche Konzepte, stieß Prozesse an und steuerte diese gemeinsam mit anderen Staats- und Regierungschefs so, dass aus Krisen nicht wieder, wie in der ersten Jahrhunderthälfte, Katastrophen wurden“ (S. 895).

Soell schönt nicht – dafür spricht auch, dass er ausführlich die immer wiederkehrenden schweren Erkrankungen Schmidts thematisiert und die dadurch bedingte zeitweise Einschränkung der Arbeitsfähigkeit des Ministers und Bundeskanzlers. Allerdings vermisst man eine längere, einordnende Schlussbemerkung. Die zweieinhalb Seiten gegen Ende des Buches unter dem Titel „Schmidts Leitmotiv“ sind eher als assoziative Anmerkungen des Autors zur Person Helmut Schmidt zu lesen. Außerdem verlangt die Ausführlichkeit bis hin zur Detailverliebtheit von den Lesern streckenweise viel Geduld und Durchhaltevermögen. Insgesamt bleiben nach diesem monumentalen Werk jedoch wenige Fragen offen, die den politischen Lebensweg Helmut Schmidts betreffen.

Wesentlich knapper gehalten ist die Schmidt-Biographie von Hans-Joachim Noack, der seit 1968 Reporter der „Süddeutschen Zeitung“ und der „Frankfurter Rundschau“ war. Von 1983 bis 2005 arbeitete er beim „Spiegel“ unter anderem als Leiter des Politikressorts. Noack, der eher ein Anhänger Brandts gewesen ist, schreibt in seinem Vorwort: „Im Kern teilte ich, was den Fraktionschef der SPD betraf, die Skepsis der ‚Achtundsechziger‘. Vor allem dass der alerte Genosse die heißumstrittenen Notstandsgesetze durchpaukte, hielt ich empört für einen obrigkeitsstaatlichen Amoklauf, und als er am 16. Mai 1974 gar den in meinen Kreisen angehimmelten Kanzler Willy Brandt ablöste, war das für unsereins fast wie ein Volkstrauertag“ (S. 9). Zwar hat sich Noack dann auch dem Bundeskanzler Helmut Schmidt angenähert und bekam seit Anfang der 1980er-Jahre mehrere exklusive Interviews und Hintergrundgespräche; dennoch wahrt der Autor eine kritische Distanz zu seinem Protagonisten.

Das Buch ist – wie von einem Journalisten kaum anders zu erwarten – sehr gut geschrieben und liest sich flüssig. Es richtet sich an interessierte Laien und weniger an die Wissenschaft. So erfährt man vor allem Altbekanntes kurz und prägnant entlang des (politischen) Lebenswegs von Helmut Schmidt. Die Stärke dieser Biographie liegt darin, die Person des ehemaligen Bundeskanzlers in ihren Widersprüchen und ihrer Vielschichtigkeit zu analysieren und dem Leser nahezubringen. Besonders hervorzuheben ist hier das letzte Kapitel, in dem sich Noack dem „Menschen und Mythos“ Helmut Schmidt nähert. Der Autor spricht unter anderem die Eigenheiten Schmidts im Umgang mit anderen Personen an. Dabei hebt er hervor: „Freunde sind nach seinem Empfinden zuallererst ‚Kameraden‘“ (S. 287), und „Verlässlichkeit und Berechenbarkeit stehen im Wertekanon Schmidts obenan“ (S. 287). Jenseits aller politischen Lager verfuhr Schmidt nach der Devise: Wer ihn einmal grundsätzlich enttäuscht oder hintergangen hatte, bekommt „kein Pardon“, dem wird die kalte Schulter gezeigt – und dies auf immer. Das gilt für Oskar Lafontaine genauso wie für Erhard Eppler oder den ehemaligen amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter. Das (sogar noch posthum) besonders problematische Verhältnis zwischen Schmidt und Brandt interpretiert Noack nicht nur vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Persönlichkeiten, sondern zugleich im Hinblick auf das von Schmidt nie eingestandene und bis heute nachwirkende Gefühl, im Schatten einer beliebten, bewunderten und charismatischen Persönlichkeit zu stehen. Schmidt betont zwar immer wieder seine Rationalität und überlegene Sachlichkeit, hat jedoch alles versucht, um letztlich neben Anerkennung und Respekt so etwas wie Popularität zu erlangen.

Als eine Art Resümee schreibt Noack über Schmidt: „Dass die Auftritte dabei mitunter in eine nervende Belehrung ausarten, lässt sich wohl kaum vermeiden, doch je älter er wird, desto unpathetischer klingen seine Retrospektiven auf einstige Heldentaten oder die Warnungen vor künftigen Katastrophen. […] Gleichzeitig verfügt er nach wie vor über eine hinreichende Dosis an Eitelkeit, mit der er die Ursachen seines Sturzes vor gut einem Vierteljahrhundert ausschließlich dem schuldhaften Verhalten anderer zuschreibt“ (S. 299).

Die dritte hier zu besprechende Schmidt-Biographie, das Buch von Martin Rupps, ist ein erneuter Aufguss einer bereits 2002 veröffentlichten Studie, die wiederum in Teilen auf einer noch älteren Promotionsarbeit beruht.2 Rupps, Journalist und Koordinator für 3sat beim Südwestrundfunk, liefert hier keine über die früheren Arbeiten hinausgehenden Erkenntnisse oder Interpretationen.

Im Gegensatz zu den anderen beiden Biographen schreibt Rupps nicht entlang des Lebensweges von Helmut Schmidt, sondern konzentriert sich vor allem auf dessen Kanzlerschaft und dabei wiederum auf die von ihm ausgemachten „Highlights“ wie die Vorgänge rund um die Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer durch die RAF, die Auseinandersetzungen um den NATO-Doppelbeschluss sowie die daraus resultierenden Konflikte mit der eigenen Partei. Weitere Themen sind das Verhältnis zur SPD und zu Brandt sowie die Aktivitäten Schmidts nach seiner Abwahl als Bundeskanzler. Um bereits Publiziertes wieder verwerten zu können, legt Rupps darüber hinaus einen Schwerpunkt seiner Ausführungen auf das „Weltbild von Helmut Schmidt“, das „geistige Fundament für sein politisches Handeln“ (S. 23). Dabei gilt ihm Schmidt als ein Beispiel dafür, „wie sich jemand in wechselvoller Zeit eine sittliche Grundlage für politisches Tun schafft“ (ebd.).

In einem einführenden Kapitel versucht Rupps zu beschreiben, warum er sich gerade mit Helmut Schmidt befasst, und erzählt ausführlich von einer persönlichen Begegnung, die ihn offenkundig fasziniert hat. Er charakterisiert Schmidt dabei unter anderem folgendermaßen: „Die Urteile kommen klar und hart, als ob er sie in meinen Kassettenrecorder diktiert. Er formuliert mit der Macht seiner Lebenserfahrung und der genauen Kenntnis, die er als einer der Hauptakteure der deutschen Politik haben muss. Alles wirkt mächtig an ihm […]. Was Eindruck auf mich macht, ist dieser Fließ und dieses Pflichtbewusstsein, das sich der alte Mann ohne Not zumutet“ (S. 32f.). Durch die Schwerpunktlegung auf die geistigen Grundlagen von Schmidts Politik bekommt der Leser einen die anderen Biographien ergänzenden Eindruck. In den Mittelpunkt seiner Betrachtungen stellt Rupps dabei die von ihm so genannten „vier Hausapotheker“ Schmidts: Marc Aurel, Immanuel Kant, Max Weber und Karl Popper. Rupps kommt zu dem Schluss: „Politik gilt Schmidt als pragmatisches Handeln zu sittlichen Zwecken. […] Rationalität, Vernunfthandeln wird zum politischen Programm. […] Der Politiker soll sich nicht am Wünschbaren, sondern am tatsächlich Machbaren orientieren“ (S. 174f.). Zu vermuten ist allerdings, dass hier eine Rationalität und ein umfassendes Weltbild unterstellt werden, welche in letzter Konsequenz dann doch nicht immer das politische Handeln Schmidts beeinflusst haben.

Durch die zahlreichen Publikationen zur Biographie Helmut Schmidts wird zumindest über seinen politischen Lebensweg und die Bewertung seiner Rolle als Minister und Kanzler in nächster Zukunft kaum Neues zu berichten sein. Was allerdings seine Person, sein Wirken sowie vor allem seine geschichts- und erinnerungspolitische Bedeutung in den letzten Dekaden anbetrifft, könnte noch die eine oder andere neue Erkenntnis zutage treten – denn Helmut Schmidt ist auf dem besten Wege, sich vom ungeliebten Kanzler zum bewunderten Vorbild zu wandeln.

Anmerkungen:
1 Siehe auch den Vorgängerband: Hartmut Soell, Helmut Schmidt. Vernunft und Leidenschaft. 1918–1969, München 2003 (rezensiert von Fred Oldenburg: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-2-054>).
2 Martin Rupps, Helmut Schmidt. Politikverständnis und geistige Grundlagen, Bonn 1997; ders., Helmut Schmidt. Eine politische Biographie, Stuttgart 2002 (rezensiert von Fred Oldenburg: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2003-1-095>).

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