: Von der Kunst des Erbens. Die "Flick-Collection" und die Berliner Republik. Mit einem Vorwort von Micha Brumlik. Berlin 2004 : Philo Verlag, ISBN 3-86572-521-X 170 S. € 12,90

: Die Flicks. Eine deutsche Familiengeschichte über Geld, Macht und Politik. Frankfurt am Main 2004 : Campus Verlag, ISBN 3-593-37404-8 288 S. € 24,90

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Harald Wixforth, Gesellschaft für mitteleuropäische Banken- und Sparkassengeschichte, Bielefeld

Flick hat Konjunktur. Während der Auseinandersetzung um die Entschädigung von Zwangsarbeitern in Deutschland längere Zeit eher unbeachtet, hat die Eröffnung der „Flick-Collection“ in Berlin dafür gesorgt, dass sich die Öffentlichkeit nun intensiver mit der Geschichte des Flick-Imperiums, den Machenschaften des Konzerngründers Friedrich Flick sowie den Aktivitäten seines Enkels, des Kunstsammlers Friedrich Christian Flick beschäftigt. Das ist auch gut so. Die unternehmenshistorische Forschung, durch den verwehrten Zugang zu Akten aus dem Privatarchiv Flicks sicherlich behindert, kann bisher noch keine profunde Studie zu Friedrich Flick und seinem Imperium vorlegen. Das ist schlecht. Erst vor kurzem sind zwei Forschungsprojekte zur Geschichte des Flick-Konzerns in Auftrag gegeben worden. Zwei Journalisten versuchen daher, mit ihren Büchern dieses Desiderat der Forschung auszugleichen, wollen aber auch am augenblicklichen „Boom“ der Flick-Geschichte partizipieren.

Die beiden hier zu besprechenden Bücher sind höchst unterschiedlich konzipiert. Während Thomas Ramge den Anspruch erhebt, auf der Grundlage des bisher publizierten und in öffentlichen Archiven zugänglichen Materials einen Gesamtüberblick zur Familiengeschichte der Flicks zu präsentieren, ist Peter Kessens Buch eher als ein Essay zur politischen und kulturellen Befindlichkeit der Berliner Republik zu verstehen, garniert mit einigen historischen Versatzstücken. Ramge versucht zudem, parallel zur Geschichte der Flicks eine „Biografie Deutschlands“ zu erzählen (so im Klappentext). Seine Darstellung folgt dabei den großen Zäsuren der deutschen Geschichte. Nach einem etwas weitschweifigen Prolog thematisiert er den Aufstieg Friedrich Flicks während der letzten Jahre des Kaiserreiches und der Weimarer Republik, die enge Kumpanei Flicks mit den nationalsozialistischen Machthabern und seine Rüstungsgeschäfte während der NS-Diktatur, Verhaftung und Verurteilung Flicks nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg sowie seinen Wiederaufstieg zum reichsten Mann Deutschlands in der Adenauer-Ära. Geht es um Flick, so hat Ramge seinen Stoff gut strukturiert. Zudem hat er offenbar gründlich das vorhandene Quellenmaterial durchforstet. Die Ergebnisse, die er zur unternehmerischen Tätigkeit Friedrich Flicks in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und in der frühen Bundesrepublik präsentiert, sind zwar nicht neu, doch ist die Darstellung flüssig geschrieben. Wer sich schnell über diese Themen und den derzeitigen Forschungsstand informieren will, dem sei Ramges Buch zur Lektüre empfohlen. Eine „Biografie Deutschlands“ gelingt dem Autor jedoch nicht. Die wenigen Informationen zur Entwicklung in der Weltpolitik und in Deutschland, die er jedem größeren Kapitel voranstellt, können diesen Eindruck nicht verwischen. Ramge rückt zu sehr die Flick-Familie und ihre Geschichte in den Vordergrund; eine Vernetzung mit der allgemeinen deutschen Geschichte findet nur in Ansätzen statt oder bleibt völlig aus.

Ramges Darstellung der Flick-Geschichte in den 1970er-Jahren, vor allem nach dem Tod Friedrich Flicks, erinnert bisweilen an die eines Klatsch-Reporters. Dies ist dem Autor in gewisser Weise jedoch nachzusehen. Zum einen wird die Quellengrundlage zum Flick-Konzern immer dünner, je mehr man sich der Gegenwart nähert, zum anderen boten die Kinder und Enkelkinder Flicks mit ihren familieninternen Streitereien und Eskapaden in der Jet-Set-Szene genügend Stoff für die bundesdeutsche Regenbogenpresse. Spätestens ab dieser Zeit, teilweise auch schon für die 1950er und 1960er-Jahre, thematisiert Ramge die Entwicklung des Flick-Konzerns und seiner Betriebe nur noch in Ansätzen. Dies ist sicherlich ein Desiderat, erhebt man den Anspruch, eine Gesamtdarstellung der Flick-Geschichte zu verfassen. Trotz solcher Schwächen bietet Ramges Darstellung einen gut lesbaren Zugriff auf die Geschichte des reichsten deutschen Industriellen und seines Konzerns sowie auf den Entwicklungsweg seiner Familie. Auch wenn der Autor keine neuen Erkenntnisse präsentiert, ist es doch ein Buch zur rechten Zeit, da es als Grundlage für weitere Forschungen und Diskussionen über Friedrich Flick und seine Familie dienen kann.

Peter Kessen verfolgt mit seinem Buch keineswegs den Anspruch einer Gesamtsicht der Flick-Geschichte. Den Ausgangspunkt für seine Studie bilden vielmehr die Debatten in der Politik, vor allem im Berliner Senat und im Bundeskanzleramt, die dazu führten, dass die „Flick-Collection“ in Berlin ausgestellt wird. Relativ detailliert legt Kessen die einzelnen Positionen in diesen Diskussionen offen. So kann er zeigen, wie sehr sich die Politik zunehmend mit dem Gedanken anfreundete, Flicks Sammlung moderner Kunst nach Berlin zu holen, auf Kosten des Steuerzahlers für die Präsentation öffentliche Mittel einzusetzen bzw. andere Belange der Museen in Berlin zurückzustellen. Selbst anfängliche Bedenkenträger aus der Politik schwenkten in das Lager der Ausstellungsbefürworter um, allen Protesten zum Trotz, die sich bereits in anderen europäischen Großstädten wie Zürich, Paris oder London sowie aus der bundesdeutschen Öffentlichkeit gegen die Ausstellung artikuliert hatten. Überhaupt wirkt Kessens Darstellung dort überzeugend, wo er die mentale Befindlichkeit der „Berliner Republik“ und die Motivlagen der Politik im Hinblick auf die Ausstellungsdiskussion nachzeichnet.

Wenig überzeugend sind allerdings Kessens Exkurse in die Flick-Historie. Zum einen unterlaufen dem Autor hier einige sachliche Fehler, zum anderen wirken diese Abschnitte so, als wolle der Autor die Flick-Historie allein auf das Schicksal seiner „Kronzeugin“ reduzieren – einer ungarischen Jüdin, die bei der Dynamit AG in Stadtallendorf Zwangsarbeit leisten musste. Zwar ist ihre Schilderung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in Stadtallendorf erschütternd, doch wird ihr Lebensweg viel zu detailliert dargestellt. Andere Aspekte der Zwangsarbeit in den Flick-Betrieben, vor allem die Frage nach der Verantwortung für die brutalen Arbeitsmethoden, werden ebenso wenig beleuchtet wie Friedrich Flicks Kumpanei mit den NS-Größen und seine rücksichtslosen Geschäfte während der NS-Diktatur. Die Einbettung des Lebenswegs der Zwangsarbeiterin in die Flick-Geschichte, vor allem aber in die Analyse zur politischen Befindlichkeit in der Berliner Republik wirkt zudem mindestens gekünstelt, wenn nicht sogar unpassend, da hier völlig verschiedene Facetten in der Diskussion über die Rolle Flicks und seines Konzerns in der deutschen Geschichte zusammengeführt werden sollen. Ähnlich verquer ist Kessens Räsonnement über die „Kunst des Erbens“ und die Verantwortung der Erben in der Berliner Republik. Alles in allem ist Kessens Studie eher ein buntgetupftes Patchwork als eine stringente Darstellung zur Flick-Geschichte.

Trotz aller Schwächen sind beide Bücher eine Herausforderung für die moderne Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte. Sie muss in den folgenden Jahren mit ihren Projekten und Studien zur Flick-Geschichte beweisen, ob es gelingt, ähnlich kompakte und in sich schlüssige Gesamtdarstellungen zum Flick-Konzern vorzulegen, wie dies für andere deutsche Großunternehmen in letzter Zeit gelungen ist. Hierzu ist zum einen eine intensive Auswertung von bisher nicht erschlossenem, aber vorhandenem Quellenmaterial erforderlich. Zum anderen muss die Geschichte der einzelnen Flick-Unternehmen und diejenige der Konzern-Zentrale stärker in den Vordergrund gerückt werden. Weniger biografische, eher unternehmensinterne Details können das Handlungskalkül und das unternehmerische Selbstverständnis Friedrich Flicks dokumentieren. So nett biografische Anekdoten für eine breite Leserschaft oftmals sind – für eine anspruchsvolle und konsequente moderne Unternehmensgeschichte sind sie nur Randnotizen. Sowohl die Fachwelt als auch die interessierte Öffentlichkeit dürfen gespannt sein, welche Ergebnisse einzelne Projekte zur Flick-Geschichte in Zukunft präsentieren werden.

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