O. Czaika u.a. (Hrsg.): Schwedische Buchgeschichte

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Titel
Schwedische Buchgeschichte. Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung


Herausgeber
Czaika, Otfried; Undorf, Wolfgang
Reihe
Refo500 Academic Studies
Erschienen
Göttingen 2021: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
253 S., 15 Abb., 12 Grafiken
Preis
€ 80,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mona Garloff, Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie, Universität Innsbruck

Schweden wird in der deutschsprachigen Buchgeschichte trotz der geographischen Nähe wenig Aufmerksamkeit geschenkt. In der Länderreihe „Geschichte des Buchhandels“ (Wiesbaden: Harrassowitz) erschien beispielswiese nur eine Darstellung der Buchgeschichte Norwegens.1 Auch in der englischsprachigen Forschung rückt Schweden selten in den Blickpunkt, für die frühe Reformationsphase kann auf die Arbeit des Mitherausgebers Wolfgang Undorf verwiesen werden.2 In Überblicksdarstellungen werden meist ältere Geschichtsbilder wiederholt, die die einseitige Abhängigkeit der nationalen Buchkultur von Importen aus dem Heiligen Römischen Reich betonen. In den grundlegenden Forschungen des frühen 20. Jahrhunderts (Isak Collijn, Otto Walde) überwog aufgrund der notwendigen Erschließung ein bibliographischer Ansatz.

Der vorliegende Band trägt den historischen Begebenheiten Schwedens mit transnationalen Perspektiven Rechnung: Finnland, das bis 1809 zum schwedischen Reich zählte, widmen sich drei der insgesamt neun Beiträge. Die interdisziplinäre Ausrichtung des Bandes ist bereits durch den jeweiligen kirchengeschichtlichen und buchgeschichtlichen Fachhintergrund der Herausgeber gegeben. Insgesamt verfolgt die Publikation, die mit deutsch- und englischsprachigen Beiträgen in der Reihe „Refo500 Academic Studies“ erschien, einen deutlichen konfessionsgeschichtlichen Fokus. Sie ist sorgfältig lektoriert, das übergreifende Quellen- und Literaturverzeichnis am Ende des Bandes ist hilfreich; zum besseren Verständnis über das engere Fachpublikum hinaus könnten schwedische und finnische Literaturangaben in eckigen Klammern übersetzt werden.

Der Band möchte die „interdisziplinäre Dialogfähigkeit“ (S. 11) der schwedischen Buchforschung stärken: In der Einleitung wird ein breites interdisziplinäres Verständnis von Buchgeschichte zugrunde gelegt, ein Untersuchungsschwerpunkt wird auf erfolgreiche Genres der Zeit wie Gesangbücher oder Schuldramen gerichtet (S. 7). Leider bietet die Einleitung im Wesentlichen nicht mehr als eine knappe Zusammenfassung der Einzelbeiträge. Hier wäre Raum für eine kurze historische Einführung zur Reformationsgeschichte Schwedens und zum älteren Forschungsstand gewesen – der Band setzt beides als Kenntnisstand voraus. Die verbindenden Forschungsansätze der einzelnen Beiträge wären in der Einleitung besser methodologisch zu reflektieren gewesen. Ebenso wird eine gemeinsame Perspektive auf die nationalen Geschichtsschreibungen Finnlands und Schwedens vermisst.

Wolfgang Undorf nimmt solche Perspektiven teilweise in seinem grundlegenden Beitrag ein, der einen weiten Bogen von Buchdruck, Handel und Büchersammeln in der Reformation bis ins 17. Jahrhundert spannt. Es geht ihm vor allem um eine Neubewertung der älteren Forschung, die die Importabhängigkeit der schwedischen Buchmärkte als nationales Defizit betrachtet hat. Undorf hingegen zeigt, wie stark der schwedische Buchmarkt von den transnationalen Beziehungen profitierte. Zentral wird das Problem der fragmentarischen Überlieferung artikuliert: Über die bibliographischen Informationen zu Drucken hinaus gibt es wenige Quellen, die Auskunft zu Provenienzen, Buchbesitz oder Lesepraktiken geben. Bibliotheksinventare oder auch kürzere Bücherlisten werden als wichtigste Quellengruppe vorgestellt: Das Inventar des Adeligen Hogenskild Bielke (1538–1605) zeigt, dass Bielke den Großteil seiner internationalen Drucke, die einen breiten Wissenshorizont der Zeit abdecken, in Schweden selbst beziehen konnte.

Mit dem Problem der fragmentarischen Überlieferung beschäftigt sich auch Otfried Czaika. Schwedische Gesangbücher und Lieddrucke zählen im hohen Maße zu der Kategorie „lost books“3, schätzungsweise 50 Prozent des Gesamtbestandes sind heute nicht mehr überliefert (S. 102). Lieder wurden in frühneuzeitlichen Sammelausgaben häufig beigebunden, sodass hier immer noch Neuentdeckungen möglich sind. Zugleich lassen sich aus den überlieferten Drucken Kalkulationen zur Auflagenhöhe und der relativ hohen Verbreitung der Gesangbücher unter der schwedischen Bevölkerung auch im ländlichen Raum machen. Nachdrucke des schwedischen Gesangbuchs in Lübeck zeigen, dass die Nachfrage sogar über das Angebot hinausging oder dass man mit günstigeren Preisen konkurrieren wollte.

Zwei Beiträge widmen sich Personen, die die reformatorische Buchproduktion in Schweden und Finnland maßgeblich geprägt haben: Remi Kick untersucht schwedische Drucke und deren theologisches Profil, die während der über vierzigjährigen Amtszeit des ersten schwedischen Erzbischofs Laurentius Petri (1499–1573) entstanden. Jason Laver richtet den Blick auf den finnischen Reichsteil und nimmt die durch den Reformator Mikael Agricola (1510–1557) geleisteten volkssprachlichen Publikationen wie die Übersetzung des Neuen Testaments 1548 in den Blick, mit denen Finnisch zur Schrift- und Drucksprache wurde. Kajsa Weber untersucht die Rolle der Buchproduktion im Konfessionskonflikt im schwedischen Reich der 1590er-Jahre. Am Beispiel einer von Petrus Johannis Gothus (1536–1616) in Rostock gedruckten Kompilation und deren Paratexte können hier bewusste lutherische Stellungnahmen ausgemacht werden.

Elena Dahlberg beschäftigt sich mit konfessionellen und politischen Akzentsetzungen in zwei neolateinischen Dichtungen, die durch erbeutete Bücherschätze im Dreißigjährigen Krieg eine massive Bestandserweiterung erfuhr. Martin Berntson nimmt das erfolgreiche Genre des schwedischen Schuldramas in den Blick und zeigt auf textlicher Ebene flexible konfessionelle Gestaltungsräume auf. Der Band geht über die engere Epocheneingrenzung im Untertitel hinaus, indem Tuija Laine die Entwicklung der Lesefähigkeit der finnischen Gläubigen in der longue durée von 17. bis ins 19. Jahrhunderts analysiert. Durch die Bedeutung des Auswendiglernens religiöser Texte oder die Wiederholung von Kirchenliedern im Zyklus des Kirchenjahres war die Teilhabe am gedruckten Wort nicht zwangsläufig an Lesefähigkeit gebunden. Im abschließenden Beitrag von Esko Laine wird überblickshaft der Einfluss des Pietismus in Finnland bis ins späte 18. Jahrhundert untersucht. Er konstatiert, dass sich pietistische Texte im Druck von Übersetzungen Arndts, Speners oder Franckes sowie von finnischen Autoren verbreiteten, aber auch die handschriftliche Überlieferung nicht aus den Augen verloren werden darf.

Insgesamt richtet der Sammelband innovative, transnationale Perspektiven auf die schwedische Buchgeschichte, die überwiegend in ihren konfessionsgeschichtlichen Kontexten analysiert wird. Die internationale Wahrnehmung wäre mit einer rein englischsprachigen Publikation noch gestärkt worden. Der Band ist ein guter Ausgangspunkt für eine vertiefte Erschließung der frühneuzeitlichen Buchgeschichte Schwedens, die die aufgezeigten Themenfelder systematisch erarbeitet und beispielsweise auch digitale Zugänge methodologisch einbezieht. Das Potential einer Neubetrachtung dieser prägenden Phase der Buchgeschichte hat der Band deutlich gemacht.

Anmerkungen:
1 Harald L. Tveterås, Geschichte des Buchhandels in Norwegen, Geschichte des Buchhandels 5, Wiesbaden 1992.
2 Wolfgang Undorf, From Gutenberg to Luther. Transnational Print Cultures in Scandinavia 1450–1525, Library of the Written Word 37, Leiden 2014.
3 Vgl. dazu: Flavia Bruni / Andrew Pettegree (Hrsg.), Lost books. Reconstructing the Print World of Pre-industrial Europe, Library of the Written Word 46, Leiden 2016.