A. Hammerschmidt u.a. (Hrsg.): Forschen – Lehren – Führen

Cover
Titel
Forschen – Lehren – Führen. Das ABC für die Hochschulkarriere


Herausgeber
Hammerschmidt, Anette; Enke, Neela
Erschienen
Stuttgart 2020: UTB
Anzahl Seiten
264 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christoph Lorke, Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Die Organisation „Universität“ ist eine hochgradig komplexe und widerspruchsvolle Einrichtung. Hier lauert eine Reihe potenzieller Konflikte und Fettnäpfchen sozialer, infrastruktureller und anderer Art. Dort zu forschen, zu lehren und zu führen, die Untiefen des akademischen Alltags zu antizipieren oder zu bewältigen und dabei auch noch eine „Hochschulkarriere“ anzustreben bzw. erfolgreich zu absolvieren, ist viel mehr als nur eine Frage von Publikationsverzeichnissen, guten Lehrveranstaltungen oder eingeworbenen Drittmitteln. Das von den beiden Coaches Anette Hammerschmidt und Neela Enke herausgegebene Kompendium behandelt eben jene Hürden, Herausforderungen und Fallstricke. Es betrachtet Fragen der Selbststeuerung und gibt Hinweise für ein ebenso umsichtiges wie zielgerichtetes Agieren in der Hochschule. Das Buch richtet sich an kein konkretes Fachgebiet, vielmehr werden spezifische Aufgaben des akademischen Kontextes in allgemeiner Form präsentiert – eventuell würden sich hier für Neuauflagen stärkere Differenzierungen nach Fachkulturen anbieten, denn trotz grundlegender Gemeinsamkeiten bestehen zwischen diesen doch erhebliche Abweichungen.

Wie die beiden Herausgeberinnen in ihrem einführenden Text über „Rahmenbedingungen der Hochschulkarriere“ erläutern, sind die Gründe für die mannigfachen Widersprüche des Hochschulsystems und die enorme Komplexität des Tätigkeitsfeldes unter anderem auf die Sach- und Sozialdimension sowie nicht zuletzt auf Machtfragen zurückzuführen. Hammerschmidt und Enke entwickeln aus dieser Beobachtung heraus Coaching-Überlegungen, die die Selbststeuerung trainieren und die Selbstwirksamkeit der LeserInnen fördern möchten. Weil diese beiden Begriffe – Selbststeuerung und Selbstwirksamkeit – häufige Coaching-Ziele sind, wird bei der Lektüre auch schnell klar, dass es hierbei nicht um vertiefte Ausführungen zu einzelnen, jeweils für sich genommen „großen“ Themen gehen kann. Das Handbuch soll vielmehr eine Orientierungshilfe sein, mit kompakten Anregungen und Vorschlägen, die bei Bedarf durch die Lektüre weiterführender Literatur oder ein Coaching-Angebot ausgebaut werden können. Die Artikel sind übersichtlich; sie umfassen kurze Erläuterungen und Impulse, Überlegungen zur Selbstreflexion sowie Ideen für praktische Umsetzungen. Dazu kommen zahlreiche Querverweise, wodurch die verschiedenen Handlungsfelder (Agieren in der Organisation, Forschen, Führen, Karriere, Lehren, professionelle Performance, Selbststeuerung, Umfeld) übersichtlich miteinander verknüpft werden.

Einige Stichworte des Bandes sind gewiss wenig überraschend: „Anträge schreiben“ (versehen mit Hinweisen zum Vorgehen und einer knappen Checkliste), die hochkontingenten „Berufungsprozesse“, „Gremienarbeit“ (sowie damit verbundene Stolpersteine und Gefahren von Überforderung oder gar Reputationsverlust), „Drittmittel einwerben“, „Netzwerken“, „Umgang mit Verwaltung“ – dies erwartet die Leserin und der Leser eines solchen Handbuchs sicherlich genauso wie die Darlegungen zu einzelnen Kompetenzbereichen, etwa „Kreativität“, „Perfektionismus“, „Selbstpräsentation“ oder „Zeitmanagement“. Hingegen fehlen so wichtige Elemente wie „Lesen“, „Schreiben“, „Gutachten“, „Konferenzen/Tagungen“ – Aspekte also, die den Alltag von vielen Hochschullehrenden maßgeblich prägen dürften. Strukturelles gehört ebenfalls unbedingt dazu, wie „Gleichstellung“, „Konfliktmanagement“, aber auch „Inter- und Transdisziplinarität“, „Internationale Zusammenarbeit“ oder „Internationalisierung“ – allesamt Punkte, die ebenso in einem Handbuch für Wirtschaftsführungskräfte auftauchen könnten. Anders, da schon spezifischer und auch die Schattenseiten des Geschäfts mitdenkend, verhält es sich da mit dem „Ausstieg aus der Wissenschaft“ (aus alphabetischen Gründen, aber inhaltlich nicht unpassend zwischen „Anträge schreiben“ und „Berufungsprozesse“ zu finden). Die Dominanz eines Narrativs des persönlichen Scheiterns lässt Aspekte der autonomen Entscheidung oder das Ergreifen neuer Chancen häufig zu kurz kommen. Zum Hochschulleben gehören aber auch „Karrierebrüche“ und der Umgang mit Karriereverzögerungen. Nicht zuletzt sind „Misserfolge und Scheitern“ zwar allgegenwärtig, bleiben oft aber implizit.

Ob die hier formulierten Vorschläge zur Bewältigung jedem und jeder in allen Situationen weiterhelfen können, sei dahingestellt. Unsicherheiten und Ambiguitäten tolerieren – damit sind (angehende) HochschullehrerInnen vermutlich immer gut beraten, und auch Humor und Gelassenheit walten zu lassen, ist ein gesunder Ansatz, dürfte aber mit einer unbefristeten Stelle viel leichter fallen. Die Betonung der „Life Balance“ scheint nicht nur im Hochschullehrer:innenleben ein zentraler Schlüssel für eine erfüllende und erfüllte Tätigkeit angesichts von Leistungsdruck, existenziellen Ängsten und Einbußen beim Selbstwertgefühl zu sein – die Stichworte „Selbststeuerung“ sowie „Stress und Stresskompetenz“ greifen die verschiedenen Belastungsformen ebenfalls auf. Der Rezensent hätte sich hier aber gern noch weitere Stichworte gewünscht, mit denen die (unausweichliche?) Vereinzelung aufgegriffen wird: den Meilenstein „Befristung/Entfristung“ oder „Ungleichheit/Hierarchien“, „Informalitäten“, „Ritual“ oder „Freundschaft“. Wandel deutet auch der Begriff „VUCA“ (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity) an, was wahrscheinlich nicht wenige Kolleginnen und Kollegen in der aktuellen pandemischen Lage am eigenen Leib zu spüren bekommen haben. Spannend sind ferner die Ausführungen zum „Hochstapler-Syndrom“, jenen Versagensängsten, den Anforderungen nicht gewachsen zu sein, die mit einer Überbetonung vermeintlicher Inkompetenzen im Selbstbild einhergehen. Akademische Erfolge werden dabei eher dem Zufall oder purem Glück als den eigenen Kompetenzen und der individuellen Leistungsfähigkeit zugeschrieben und mit der Überzeugung verknüpft, die Umwelt sei bislang in Bezug auf die eigenen Leistungen getäuscht worden.

Einen größeren Bereich decken solche Schlagworte ab, die sich um das Lehren und Fördern drehen: „Betreuung von Abschlussarbeiten“ mitsamt der eigentlichen Masterfrage, wie diese Aufgabe zugleich zeitsparend und dennoch qualitativ hochwertig geleistet werden kann, „Lehrkompetenz“ (zentral ist hier, die eigene Lehrphilosophie zu reflektieren, Haltung und Rollen zu kennen), „Nachwuchsförderung“, „Personalauswahl“, „Teamentwicklung und -konflikte“. Wird hier schon deutlich, dass eine Hochschulkarriere heutzutage zu einem großen Teil eine Managementposition ist, greifen andere Begriffe jenes Feld weiter auf: „Change gestalten“, „Führungsstile“ (und die Entwicklung eines eigenen Stils) oder „Institutsleitung“. Zum Verwalten gehören immer auch das Entscheiden und der Umgang mit Mitarbeitenden, darauf deuten die Abschnitte zu „Delegieren“, „Entscheidungen treffen“ bzw. „Entscheidungsfindung“, „Feedback“ oder „Gespräche mit Mitarbeitenden“ sowie „Zuhören“. Dass es sich bei den „Betroffenen“ immer noch um Menschen handelt, zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch und wird unter anderem auch im Abschnitt „Fremdbild/Selbstbild“ herausgestellt, wenn es unter anderem um das Handeln bei Unsicherheiten, Fragen der Selbstwahrnehmung, die Einschätzung der persönlichen Leistungsfähigkeit sowie die eigenen „blinden Flecken“ geht – hierzu passen dann auch die Begriffe „Haltung“ und „Habitusreflexion“, ebenso schließlich der prominente Begriff „Resilienz“.

Die Rolle des Kommunikativen ist gewissermaßen traditionell in Veröffentlichungen dieser Art – wie stark sich Hochschulen in den letzten Jahrzehnten gewandelt haben, das zeigt die Aufnahme des Rubrums „Interkulturelle Kommunikation“. Damit wird auch ein Wandel der universitären Kultur insgesamt angezeigt, denn gelingende Kommunikation in kulturell diversen Teams gewinnt in einer zunehmend globalisierten Welt schrittweise an Selbstverständlichkeit. Ebenso wird die Fähigkeit, kultursensibel mit Gefühlen und Bedürfnissen umzugehen, zunehmend wichtiger werden. Dazu gehört auch das Konfliktmanagement in einem solchen Umfeld – und gleichzeitig der Umgang mit Vielfalt, was mit den Begriffen der Anerkennung, Wertschätzung und Teilhabe verknüpft wird.

Das Handbuch ist eine empfehlenswerte Lektüre für alle, die sich einen ersten Überblick zum (vermeintlichen) Funktionieren der Hochschule verschaffen möchten. Zwangsläufig müssen die Erklärungen knapp ausfallen – Querverweise und Literaturangaben bieten die Möglichkeit, das Gelesene zu vertiefen. Inwiefern die formulierten Anregungen dem Praxistext standhalten, liegt freilich nicht zuletzt auch daran, wie die und der Einzelne die Ambivalenzen des Akademischen mitzugestalten bereit sind.

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