M. Luchterhandt u.a (Hrsg.): Palatium sacrum – Sakralität am Hof des Mittelalters

Cover
Titel
Palatium sacrum – Sakralität am Hof des Mittelalters. Orte – Dinge – Rituale


Herausgeber
Luchterhandt, Manfred; Röckelein, Hedwig
Erschienen
Regensburg 2021: Schnell & Steiner
Anzahl Seiten
424 S.
Preis
€ 59,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Larissa Düchting, DFG-Projekt 1533: Sakralität und Sakralisierung in Mittelalter und früher Neuzeit, Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg

Der vorliegende Sammelband ist das Resultat einer interdisziplinären Tagung aus dem Jahr 2015. Insgesamt 16 Beiträge sowie eine Einführung beleuchten die Thematik der Sakralität am Hof im Mittelalter. An jeden Beitrag ist ein Quellen- und Literaturverzeichnis angehängt, wodurch sich die Kurzbelege der Fußnoten zügig finden lassen. Geographisch umfasst der Band die Regionen vom heutigen Irak bis nach Südengland und Westafrika. An Fachbereichen sind die Christliche Archäologie, die Byzantinistik, die Kunstgeschichte, die Islamische Kunstgeschichte, die Geschichtswissenschaft und historische Komparatistik vertreten. In der Einführung wird bereits darauf hingewiesen, dass einzelne Regionen wie Osteuropa und der islamische Raum unterrepräsentiert sind und das die höfische Musik als Thema komplett fehlt. Zudem zeigen die Beiträge eine Präferenz für die Jahrhunderte bis um 1200. Hier werden also weitere Forschungsfelder ersichtlich, auf denen Diskussionen und Austausch noch weitere Gewinne für die Sakralitätsforschung bringen könnten. Die Beiträge wurden chronologisch sortiert, da die Herausgeber nach eigener Aussage, sie nicht in ein „Korsett von Themenkapiteln“ (S. 33) einspannen wollten. Dies erscheint in Hinblick auf die verschiedenen Themen, Herangehensweisen und Fragestellungen auch nachvollziehbar. Hier werden die Beiträge so gut es geht thematisch zusammengefasst.

In seiner Einführung fasst Manfred Luchterhandt den aktuellen Forschungsstand zur Sakralität am Hof zusammen und gibt Einblicke in aktuelle Fragestellungen und Probleme. Denn wie er hervorhebt, war schon unter den Zeitgenossen die Sakralitätsfrage längst nicht eindeutig geklärt. Durch ausgewählte historische Beispiele untermalt er die Schwierigkeiten Sakraliät als solche zu identifizieren, beziehungsweise verdeutlicht, dass sakrale Rituale und Handlungen nicht immer eindeutig als solche wahrgenommen wurden, bereits in ihrer Zeit umstritten waren und gegebenenfalls auch als Vorwurf verwendet werden konnten. Auf die sehr inhaltsvolle Hinführung zum Thema folgt eine Erläuterung der Konzeption und des Inhalts des vorliegenden Bandes.

Die anschließenden ersten drei Beiträge beleuchten die Hofhaltung des byzantinischen Kaiserpalastes. Albrecht Berger zeigt, wie durch die stundenlangen Prozessionen das kaiserliche Zeremoniell in Stadt und Umland ausgriff, wodurch Quartiere erforderlich wurden. Dies führte zum Ausbau des Blachernenpalastes, dessen Prunkstück ein „heiliges Bad“ mit wasserspendenden Ikonen war. Nach dem Umzug konnten mehrere älteren Zeremonien aufgegeben werden, was auch aus finanzieller Sicht von Vorteil war. Auch der große Palast wurden stärker ins Zentrum der sakralen Aufladung gerückt, wie Michael Featherstone am Beispiel des Festes der Kreuzverehrung untermauert. Hierbei zog eine feierliche Prozession durch die Palasträume und segnete diese. Durch Holger A. Klein wird die Entwicklung des frühchristlichen Kreuzzeichens zum kaiserlichen Zeremonialobjekt in kirchlichen, höfischen und militärischen Ritualen aufgezeigt. Ebenfalls mit der Kreuzesverehrung befasst sich Achim Arbeiter, der diese für die Region des westgotischen Königreichs Asturien näher beleuchtet. So war die Kreuzform als Grundrissfigur für Kirchen, als Baudekor und Ausstattungsmotiv beliebt. So stifteten etwa Alfons II. und Alfons III. jeweils für den Kirchenkomplex beim Palast von Oviedo Reliquienkreuze.

Im weitesten Sinne mit der Ortssakraliät befassen sich die folgenden Beiträge: Die Möglichkeit von religiösen Doppelnutzungen von sakralen Orten stellt Dorothee Sack in ihrem Beitrag vor, in dem sie anhand von Ausgrabungen im syrischen Resafa im spätantiken Sergiusheiligtum den Anbau einer Moschee rekonstruiert. Somit war das Gebäude, das sich nahe der neuen Kalifenresidenz befand, sowohl für Christen, als auch Muslime eine Anlaufstelle und Kalif Hišām konnte sich als Freund der Christen profilieren. Mit der Sakralität der Thronsäle in islamischen Herrscherpalästen des 7. bis 14. Jahrhunderts befasst sich Felix Arnold, der die Ambivalenz zwischen der Architektur und Ausstattung der Thronsäle als Suggestion sakraler Erhabenheit vorstellt, denen der politische Diskurs um die Rolle des Kalifen entgegenstand. So betont er, dass das Verhältnis von Herrscher und Gott stets mehrdeutig gewesen sei. Im Beitrag von Ralf Lützelschwab wird die St. Stephen’s Chapel von Westminster näher beleuchtet. Dieser 1834 zerstörte Sakralbau konnte sich nie gegen die Abbey von Westminster durchsetzen, obwohl er für königliche Gebetsdienste eingerichtet worden war. Einer der möglichen Gründe wird hier in den Reliquienschätzen der Abtei gesehen. Bei der Sainte-Chapelle in Paris und ihren Kopien stellt Christian Freigang vor allem eine kunsthistorische Perspektive vor. So habe das Zusammenspiel von Reliquien, Architektur, Glasmalerei und Musik eine gefühlte Wahrnehmung von Sakralität ermöglicht, die auch bei den Kopien nachgeahmt werden konnte. Matthias Müller zeigt in seinem Beitrag die Ambiguität der Sakralität des Palastes im Spätmittelalter auf, so sei der Sitz der Fürsten weitgehend entsakralisiert gewesen, während der Palast als religiöses Bildmotiv eine neue Hochphase erlebte. So hält er fest, dass „auch sein [der Herrscher L.D.] Wohn- und Regierungssitz als Bild der Burg und Stadt Zion aufgefasst werden konnte.“ (S. 374)

Von Wolfram Drews wird zunächst eine Begriffsgeschichte des palatium sacrum bis ins 9. Jahrhundert umrissen. So seien sakrale Begriffe erst mit der Salbung Pippins und dem Frankfurter Konzil von 794 verstärkt am Hof zu beobachten, die aber vor allem auf geistliche Ämter bezogen wurden. Auf die politische Sakralität hätte im Verlauf der Herrscherhäuser aber dennoch immer zurückgegriffen werden können. Sie wurde „von Anfang an nicht kontinuierlich propagiert, sondern von bestimmten Personen oder Gruppen in spezifischen historischen Kontexten ins Feld geführt.“ (S. 197).

In ihrem Beitrag zum Reliquienbrauch jenseits des Heiligenkultes, zeigt Hedwig Röckelein auf, dass der ursprüngliche Bestand der Aachener Reliquienschätze nicht mehr rekonstruierbar ist. Von ihr wird ausgeschlossen, dass Reliquien in der Karolingerzeit „herrschaftskonstituierende Subjekte und Herrschaft repräsentierende Objekte“ (S. 229) gewesen seien. Die Anwesenheit der Reliquien habe auch nicht zu einer Ortssakralität des Palastes geführt. Das zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort Reliquien zur Unterstreichung der politischen Ansprüche verwendet werden konnten, präsentiert Michele Bacci am Beispiel des Hauses der Lusignan auf Zypern. So wurden zahlreiche Christusreliquien in Nikosia zusammengetragen um zum einen Pilger anzuziehen und zum anderen um den eigenen Anspruch auf das Königreich Jerusalem gegenüber konkurrierenden Ansprüchen durch das Haus Anjou zu demonstrieren. Während Patrick Geary in seinem Beitrag drei Objekte mit ihren jeweiligen Biographien vorstellt, die ausgehend von verschiedenen Orten durch zahlreiche Hände gegeben, immer wieder als Sakralobjekte bezeichnet wurden, zeigt Matthias Hardt, dass bei anderen Objekten ihr identitätsstiftender Charakter von größerer Bedeutung war und ihnen keine sakrale Funktion zugeschrieben worden sei. So scheint zum einen die Zuschreibung von Sakralität diverse Zeiten und Grenzen überwunden zu haben, während zum anderen bei manchen Gegenständen die identitätsstiftende Wirkung unabhängig von Sakralitätsgedanken tradiert worden sei.

Mit dem Aufenthaltsraum des Königs in der Kirche befasst sich Beat Brenk. So vermutet er den Sitz des Königs in der Cappella Palatina des Normannenpalastes in einer Privatkapelle vor der linken, nördlichen Nebenapsis, da von diesem Standort aus ein komfortabler Zugang zu den Palasträumen war, sowie ein Durchlass zu Hauptaltar und Kanoniker Chor. Zahlreiche Abbildungen und Grundrisspläne erleichtern das Nachvollziehen der einzelnen Argumentationslinien. Mirko Vagnoni befasst sich in seinem Beitrag der These von Ernst Kantorowicz und Ernst Kitzinger, dass die Normannenkönige absolute Sakralität besessen hätten. Hierfür böten seiner Ansicht nach weder ihre bildlichen Darstellungen noch Briefe, Urkunden, Münzen oder Siegel eindeutige Belege.

Der Band zeichnet sich durch zahlreiche Bebilderungen, Lagepläne und Grundrisse aus. Ein Ort- oder Personenindex fehlt leider. Es wird eine Fülle von Themen bearbeitet und gleichzeitig immer wieder verdeutlicht, wie vielfältig wahrnehmbar Sakralität ist und in wie vielen Facetten sie sich zeigen kann. Der interdisziplinäre Zugriff zeigt neue Zugänge und gleichzeitig die Fülle an sich anschließenden Fragen und Themen. Durch die chronologische Anordnung der Beiträge ist leider ein roter Faden nicht immer wahrnehmbar. Wer sich mit einzelnen Regionen und Teilaspekten beschäftigt findet hier Antworten und Anregungen. Da einzelne Disziplinen nur einzeln oder gar nicht vertreten sind, beispielsweise etwa die Islamwissenschaft oder die Musikwissenschaft, zeigt sich hier noch weiteres Forschungspotential. Die Interdisziplinarität ist sehr bereichernd, wobei die Aufsätze dann doch wieder einzeln stehen. Hier wären manchmal unterschiedliche Sichtweisen auf das gleiche Beispiel gewinnversprechend. Insgesamt ist es ein weiterer Band in der Sakralitätsforschung, der zur weiteren Beschäftigung anregt und sehr lesenswert ist.

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