S. Rosik: The Slavic Religion in the Light of 11th- and 12th-Century

Cover
Titel
The Slavic Religion in the Light of 11th- and 12th-Century German Chronicles (Thietmar of Merseburg, Adam of Bremen, Helmold of Bosau). Studies on the Christian Interpretation of Pre-Christian Cults and Beliefs in the Middle Ages


Autor(en)
Rosik, Stanisław
Reihe
East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450–1450 (60)
Erschienen
Anzahl Seiten
VII, 441 S.
Preis
€ 127,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Carolin Ann Triebler, Historisches Institut, RWTH Aachen

Die Frage nach der Interpretation der gentilreligiösen Glaubensvorstellungen der zwischen Elbe und Oder siedelnden Slawen innerhalb der mittelalterlichen Historiographie wurde in der geschichtswissenschaftlichen Forschung bereits vielfach diskutiert – allerdings meist nur in Bezug auf die Glaubwürdigkeit ihrer christlichen Autoren. Dass es sich trotz oder gerade aufgrund der unterschiedlichen Forschungsansätze lohnt, dieses Thema in einer separaten Studie zu untersuchen, zeigt die hier zu besprechende Arbeit Stanisław Rosiks. Der polnische Historiker nähert sich der Frage nach der christlichen Interpretation der slawischen Gentilreligion anhand der Untersuchung dreier Werke aus dem 11. und 12. Jahrhundert: Der Chronik Thietmars von Merseburg, der Hamburgischen Kirchengeschichte Adams von Bremen und der Slawenchronik Helmolds von Bosau. Der in der Reihe „East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450-1450“ beim Brill Verlag veröffentlichte Band stellt eine aktualisierte und ins Englische übersetzte Version der im Jahr 2000 in polnischer Sprache publizierten Dissertation Rosiks dar.1 Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis zeigt, dass sich die beiden Werke in ihrem Aufbau und ihrer Struktur nicht grundlegend voneinander unterscheiden.

Die von Rosik gewählten Chronisten eignen sich besonders gut für den gewählten zeitlichen und geographischen Rahmen der Untersuchung, da sie kirchenpolitisch in Sachsen tätig waren und ihre Werke in einer Zeit verfassten, in der die Mission der slawisch besiedelten Regionen zwischen Elbe und Oder besonders intensiv vorangetrieben wurde. Da es sich bei den drei Werken um das gleiche historiographische Genre handelt, bieten sie zudem eine gute Vergleichsbasis. Die Studie befasst sich mit der Frage, wie die Chronisten die fremde Kultur ihrer slawischen Nachbarn wahrnahmen, wie sie ihre gentilreligiösen Glaubensvorstellungen, Kulte und Riten verstanden und auf welche Art und Weise sie dieses Verständnis in ihren Werken darstellten. Um dieser Frage nachzugehen konzentriert sich Rosik bei der Analyse der genannten Quellenwerke auf bestimmte „historiographic pictures“ (S. 3), die in der Lage sind, die christliche Auslegung der gentilen slawischen Religion in schriftlicher Form darzustellen. Rosiks Ziel ist es, die gesellschaftlichen, sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen für das Zustandekommen solcher Interpretationsmuster in den historiographischen Quellenwerken zu identifizieren und die Arbeitsabläufe und Denkmuster zu hinterfragen, die die Chronisten zu ihrer Interpretation führten. Dabei stützt sich Rosik unter anderem auf die wesentlichen Studien zur mittelalterlichen Geschichtsschreibung sowie zum soziokulturellen Gedächtnis des Mittelalters und bezieht auch anthropologische Forschungsansätze und archäologische Erkenntnisse in seine Studie ein.

Bevor sich Rosik der Quellenanalyse widmet, befasst er sich nach einer knappen Einführung (S. 1–9) in seinem ersten Kapitel ausführlich mit dem Forschungsstand („Interpretatio Christiana of Old Slavic Religion as a Problem in Scholarly Reflection“, S. 10–38). Aus der Reflexion der Stärken und Schwächen, die die unterschiedlichen Forschungsansätze mit sich bringen, leitet Rosik sein eigenes Vorgehen ab und legt damit einen Grundstein für den Hauptteil seiner Studie. Auf diese Weise gelingt es Rosik, eine allgemeine und einheitliche Vergleichsbasis für alle drei Werke zu schaffen, bevor er sich der Analyse der Werke Thietmars von Merseburg (S. 39–196), Adams von Bremen (S. 197–255) und Helmolds von Bosau (S. 256–282) widmet. Die Studie endet mit einer knappen aber pointierten dreiteiligen Schlussbetrachtung (S. 383–390), an die sich ein Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen, Quellen und Literatur sowie die Indices anschließen.

Jedes der genannten Quellenwerke erhält eine separate Untersuchung in Form eines eigenen Kapitels. Die Analyse der gewählten Quellenwerke erfolgt chronologisch. Alle drei Untersuchungen beginnen mit einer wertvollen Einführung, in der der historische und soziokulturelle Entstehungskontext des jeweiligen Werkes vorgestellt und der Werdegang des Autors, seine geistige Prägung und sein Bezug zu den zwischen Elbe und Oder siedelnden Slawen referiert werden. Daran schließt sich die eigentliche Analyse des jeweiligen Werkes an, die mit einer abschließenden Zusammenfassung endet. Die Analysen zu den Quellenwerken überzeugen durch eine streng methodische Reflexion der Quellentexte sowie durch eine teils überwältigende Fülle an Details. Dank der Aktualisierung bezieht Rosik nun auch die wesentlichen Erkenntnisse zur Eigen- und Fremdwahrnehmung mit ein, die zum Zeitpunkt der Publikation seiner Dissertation aus dem Jahre 2000 noch nicht veröffentlicht waren. Auf diese Weise fand unter anderem auch das grundlegenden Werk Volker Sciors Beachtung.2 Zudem gelingt es Rosik, neuere Erkenntnisse zur mittelalterlichen Gedankenwelt und Ethnogenese der zwischen Elbe und Oder siedelnden Slawen in seine Studie einfließen zu lassen.

Indem er die individuelle Erfahrung der Chronisten in seine Untersuchung miteinbezieht und den Entstehungskontext der Werke sowie die causa scribendi berücksichtigt, schafft es Rosik, Charakteristika, Motive und Verfahren aufzudecken, die die Interpretation der gentilreligiösen Vorstellungen der Slawen beeinflussen konnten. Daraus leitet Rosik ab, dass die Religion der zwischen Elbe und Oder siedelnden Slawen im 11. und 12. Jahrhundert nicht so einheitlich und homogen gewesen sei, wie es die Chronisten in ihren Werken suggerierten, sondern weitaus vielfältiger und zudem nicht in Stammesgrenzen gedacht werden dürfe. Dementsprechend sei das Bild einer überstammesmäßigen religiösen Einheit des heidnischen Slawentums von allen drei Chronisten verwendet worden, um ein Gegengewicht zum Christentum zu schaffen. Da die gentilreligiösen Glaubensvorstellungen nicht in ihre klassische biblische Vorstellungswelt gepasst hätten, hätten sich die Chronisten der Darstellung heidnischer Kulte, Riten oder Tempelanlagen bedient, um diesem Interpretationsmuster gerecht zu werden. Die detaillierte Betrachtung der christlichen Interpretation der gentilen slawischen Glaubensvorstellungen zeigt allerdings auch, dass die Forschung in diesem Feld noch Nachholbedarf hat. Dementsprechend fällt auch das Fazit des Autors aus. Rosik kommt zu dem Schluss: „This research has reveald the inability to achieve an uncontroversial solution to the question of whether there had ever been any basic (pre)Slavic religious system, which would be decomposed at the stage following the epoch of the most intensive peoples’ migration at the beginning of the Middle Ages. Thus, the creation of religion of the Old Slavs as a whole in historical studies as one compact system turns out to be groundless.“ (S. 389–390)

Die Studie Rosiks macht deutlich, dass die Frage nach der christlichen Interpretation der slawischen Gentilreligion längst nicht mehr als Randthema der geschichtswissenschaftlichen Forschung abgestempelt, sondern aktiv in die Erforschung der slawisch besiedelten Regionen zwischen Elbe und Oder einbezogen werden sollte. Leider behindern Tippfehler und eine oftmals komplizierte Satzstruktur den Lesefluss der Studie teilweise erheblich. Hinzu kommt eine Vielzahl nicht treffender Formulierungen, die jedoch der Übersetzung geschuldet sein mag. Auch wenn Rosik 20 Jahre nach Erscheinen seiner Dissertation aktuelle Erkenntnisse in seine Studie miteinbezogen hat, bleibt eine tiefergehende Analyse im Sinne einer über die Analyse der Quellentexte hinausgreifende Transferleistung aus. Die Untersuchung Rosiks stellt dennoch ein wesentliches Werk für das Verständnis der christlichen Interpretation der gentilen slawischen Religion bei den untersuchten Chronisten dar. Die Aktualisierung des ursprünglichen Werkes und ihre Übersetzung in englische Sprache stellt damit eine Chance dar, auf den grundlegenden Erkenntnissen dieser Studie aufzubauen.

Anmerkungen:
1 Stanisław Rosik, Interpretacja chrześcijańska religii pogańskich Słowian w świetle kronik niemieckich XI-XII wieku (Thietmar, Adam z Bremy, Helmold) (Acta Universitatis Wratislaviensis 2235, Historia 144), Wrocław 2000.
2 Volker Scior, Das Eigene und das Fremde. Identität und Fremdheit in den Chroniken Adams von Bremen, Helmolds von Bosau und Arnolds von Lübeck, Berlin 2002.