Cover
Titel
Deutsche Wirtschaftsgeschichte nach 1945.


Autor(en)
Prollius, Michael
Reihe
UTB 2785
Erschienen
Anzahl Seiten
342 S.
Preis
€ 16,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
André Steiner, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Deutsche Wirtschaftszeitgeschichte ist en vogue, so könnte man den Eindruck haben: Anderthalb Jahre nach Erscheinen der "Deutschen Wirtschaftsgeschichte seit 1945" (München 2004) von Werner Abelshauser legt Michael von Prollius seine "Deutsche Wirtschaftsgeschichte nach 1945" vor.1 So sehr sich beide Bände in Umfang und Anlage unterscheiden, haben sie gemeinsam, dass sie durch den – möglicherweise von den Verlagen inspirierten – Titel suggerieren, dass sie die deutsche Wirtschaftsgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg insgesamt zum Thema haben. Beide behandeln jedoch die DDR nur en passant. Nun ist sich der Rezensent der Schwierigkeit der Aufgabe wohl bewusst, eine integrierte Wirtschaftsgeschichte zu schreiben, die der Entwicklung in beiden deutschen Teilstaaten gerecht wird. Gleichwohl sollte das nicht zum Etikettenschwindel verleiten. Nichtsdestotrotz sollte diese Überblicksdarstellung zur Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik willkommen sein, denn neben der als Überblick schwer handhabbaren, aber hier nicht zu besprechenden neuesten Darstellung von Abelshauser 2 liegt aus jüngerer Zeit nur noch die relativ knappe und damit dem Charakter eines Abschnittes in einem übergreifenden Werk entsprechende Abhandlung von Harm G. Schröter vor.3 Damit besteht hier ein Bedarf, den Prollius mit seiner Darstellung befriedigen könnte.

Prollius betrachtet die bundesdeutsche Wirtschaftsgeschichte unter dem Blickwinkel der Ordnungspolitik. Dabei setzt er drei Schwerpunkte: die wirtschaftliche Entwicklung, die zugrunde liegenden ordnungspolitischen Konzepte bzw. die praktizierte Wirtschaftspolitik sowie die wissenschaftlichen Annäherungen an die wirtschaftlichen Phänomene. Die in der Einleitung vorgestellte und dann die Arbeit von Prollius durchziehende Grundthese ist, dass die Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik ab den späten 1950er und frühen 1960er-Jahren als die "der Degeneration der Sozialen Marktwirtschaft" oder als eine "Geschichte der wirtschaftspolitischen Fehlentscheidungen" verstanden werden könne (S. 13, 143). Dabei stützt sich Prollius nicht auf eigene archivarische Recherchen und Forschungen, sondern auf die vorliegende Literatur. Das kann für den Verfasser eines einführenden Überblicks sogar einen Vorteil bedeuten, bietet diese Position doch mehr Distanz zum Gegenstand.

Die von Prollius angebotene Gliederung des Materials orientiert sich an bewährten Zäsuren. Neben Einleitung und Schluss besteht die Darstellung von Prollius aus drei Teilen: Mangelwirtschaft (1945-1948), Wunderwirtschaft (1948-1973) sowie "Wohlfahrtswirtschaft" und Wirtschaftskrisen (1973-2004). Die "Wunderwirtschaft" wird zum einen anhand der Verabschiedung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen – charakterisiert als "korporatistische Wende" – und der Gründung der EWG im Jahr 1957 unterteilt und erfährt im Jahr 1967 einen weiteren Einschnitt, der sich vor allem an der Verabschiedung des Stabilitätsgesetzes orientiert. Den Teil zur Wohlfahrts- und Krisenwirtschaft gliedert der Autor anhand des Regierungswechsels zur konservativ-liberalen Regierung 1982/83 und der ihr zugeschriebenen angebotspolitischen Wende sowie der Wiedervereinigung ebenfalls in drei Unterabschnitte. Die hier nur angedeuteten Begründungen für die gewählten Zäsuren verdeutlichen, dass Prollius den Anspruch, die bundesdeutsche Wirtschaftsgeschichte in einer ordnungspolitischen Perspektive zu erzählen, durchaus ernst nimmt.

Leider weist der Text eine Reihe von Widersprüchen auf, wenn beispielsweise erst ein schrittweiser Wechsel zur Angebotspolitik während der 1970er-Jahre konstatiert wird (S. 214) und für diesen dann die Regierung Kohl verantwortlich gemacht wird (S. 216). Ebenso haben sich Ungenauigkeiten und sachliche Fehler eingeschlichen. Zudem werden verschiedentlich Sachverhalte nicht ausreichend erläutert, wenn z.B. bei den Leser/innen das Wissen über den Inhalt des Kartellgesetzes vorausgesetzt wird (S. 103ff.). Als das entscheidende Manko des Bandes erweist sich allerdings, dass seine Hauptthese der "Degeneration der Sozialen Marktwirtschaft" und die mit ihr verbundene marktliberale Argumentation, so berechtigt oder diskutabel sie tatsächlich ist, an verschiedenen Stellen inhaltlich nicht ausreichend untersetzt, sondern in einem ideologisch gefärbten Duktus vorgetragen wird. Solche Passagen wären als eine historisch fundierte, wirtschaftspolitisch informierte und an der tagespolitischen Diskussion orientierte Polemik – unabhängig wie man zu ihr selbst stehen mag – sicher von Interesse. Aber in einer einführenden Überblicksdarstellung, die sich vor allem auch an Studenten/innen richtet, wie bei UTB unterstellt werden kann, erwartet man dann doch eine stärker abwägende und sachliche Argumentation. So bleibt insgesamt ein ambivalentes Urteil: Auch wenn der Band von Prollius in seinem historischen Urteilen bisweilen einseitig festgelegt ist, bietet er einen ersten informierten, überschaubaren und gut lesbaren Zugriff auf die Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik.

Anmerkungen:
1 Es stellt sich die Frage, was V&R dazu veranlasste, dem Band von Prollius einen nahezu identischen Titel wie dem erst kürzlich auf den Markt gekommenen von Abelshauser zu geben.
2 Rezension zu diesem Band von Friederike Sattler vgl. H-Soz-u-Kult, 26.09.2006, <http://hsozkult.geschichte.hu berlin.de/rezensionen/type=rezbuecher&id=4989>.
3 Schröter, Harm G., Von der Teilung zur Wiedervereinigung (1945 2000), in: North, Michael (Hg.), Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Ein Jahrtausend im Überblick, München 2000, S. 351 420.

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