Cover
Titel
Die Schwarze Botin. Ästhetik, Kritik, Polemik, Satire 1976–1980


Herausgeber
Vukadinović, Vojin Saša
Erschienen
Göttingen 2020: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
512 S.
Preis
€ 36,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anna Hartmann, Allgemeine Erziehungswissenschaft/Theorie der Bildung, Bergische Universität Wuppertal

„Das Gesetz sind wir.“ Mit diesem Satz endet das „Gedicht mit Perspektive“, das der ersten Ausgabe der Schwarzen Botin – sozusagen als Programm – vorangestellt ist. Die Schwarze Botin, eine feministische Zeitschrift, die im Zeitraum von 1976 bis 1987 im Selbstverlag in Berlin erschien, setzte sich für einen feministischen „Schnitt“ ein – oder versuchte dies zumindest. Die Herausgeberinnen kündigten nicht nur das Einvernehmen mit der männlichen, phallozentrischen Ordnung auf, sondern forderten die Leserinnen auch dazu auf, die „selbstverschuldete Unmündigkeit“ (S. 79) endlich zu überwinden. Eine durchaus brisante Forderung, bezog sich diese doch nicht nur auf die eigene Verwicklung in die patriarchale Kultur und Gesellschaft, sondern richtete sich auch gegen die sich im Aufbruch befindende Frauenbewegung. Diese schätzten die Herausgeberinnen alles andere als radikal ein; vielmehr sahen sie die frauenbewegten Frauen auf einer unheilvollen Suche nach einer neuen Weiblichkeit, die lediglich die gegebene Geschlechterordnung reformieren, nicht jedoch im Kern in Frage stellen würde.

„Was so begann, war die Schwarze Botin, das bedeutendste feministische Periodikum in deutscher Sprache. Während Courage und Emma, die beiden anderen, fast zeitgleich gegründeten Zeitschriften, in allgemeiner Erinnerung geblieben sind (oder, im Falle letzter, noch existieren), wurde das mit ‚Frauenhefte‘ untertitelte West-Berliner Avantgarde-Journal […] dem Vergessen überantwortet.“ (S. 11) Diesem Vergessen arbeitet die hier vorliegende, von Vojin Saša Vukadinović herausgegebene Anthologie entgegen. Sie widmet sich der Geschichte dieses höchst interessanten Zeitschriftenprojekts, das die feministischen Debatten während der Hochzeit der Zweiten Frauenbewegung nicht nur kontrovers begleitete, sondern auch um betont intellektuelle Sichtweisen zu bereichern versuchte.

Vukadinovićs Buch konzentriert sich auf die Entstehungsjahre, in denen Gabriele Goettle und Brigitte Classen die Zeitschrift gemeinsam begründeten und herausgaben. In 13 thematisch gegliederten Kapiteln werden Beiträge aus den ersten vier Erscheinungsjahren dokumentiert, die einen Einblick in das vielschichtige und eigenwillige Programm der Zeitschrift gewähren. Neben Texten, die das Anliegen der Zeitschrift zum Ausdruck bringen, dokumentiert die Anthologie Artikel zur feministischen Theorie und zum Feminismus, zur Frage von Sexualität und Weiblichkeit, zu Literatur, Kunst und Kulturbetrieb sowie zu Lyrik, Drama und Prosa. Das Buch widmet darüber hinaus je einen Abschnitt der RAF, der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und der Sommeruniversität 1979 an der Freien Universität Berlin. Ergänzt wird die Dokumentation durch Abbildungen künstlerischer Arbeiten, die einen wichtigen Bestandteil der Schwarzen Botin ausmachten. Versammelt sind u.a. Beiträge von Rita Bischof, Silvia Bovenschen, Elfriede Jelinek, Ursula Krechel, Elisabeth Lenk, Sarah Schuhmann und Gisela von Wysocki. Hélène Cixous kommt in einem Interview zu Wort, mehrere Aufsätze befassen sich mit dem Werk von Luce Irigaray. Eingebettet wird der Hauptteil des Buchs mit den Originalbeiträgen durch eine umfangreiche, sehr informative Einleitung des Herausgebers, die das Zeitschriftenprojekt lesenswert im historischen wie auch politischen Kontext verortet und die Entwicklung der Zeitschrift in den ersten vier Erscheinungsjahren kenntnisreich nachzeichnet. Die darin eingeflochtenen Biographien der beiden Herausgeberinnen verdeutlichen die Besonderheit und Individualität des Zeitschriftenprojekts. Abgerundet wird das Buch durch ein kommentierendes Nachwort von Christiane Ketteler und Magnus Klaue.

Wenngleich sich die Schwarze Botin betont nicht als Konkurrenz zu den parallel erschienenen feministischen Zeitschriften verstanden wissen wollte, verdeutlicht die Lektüre, dass diese für sie als Referenz zur Standpunktbildung und Selbstvergewisserung fungierten. Abgrenzung und negative Kritik zeichneten die Schwarze Botin aus. Gabriele Goettle verortet das Vorhaben der Schwarzen Botin in der ersten Ausgabe vor diesem Hintergrund auch dort, wo der Mainstream-Feminismus endete: „Leserinnen, denen es am Herzen liegt, in der Art des kleinen Unterschiedes [von Alice Schwarzer] oder der Häutungen [von Verena Stefan] weiterzuempfinden, werden uns bald die Frage nach unseren Beziehungen zur Frauenbewegung und unserem Standpunkt stellen. Diesen sei gleich eingangs gesagt, um jeden Zweifel über unsere Absicht von vornherein auszuräumen, beides beginnt für uns da, wo der klebrige Schleim weiblicher Zusammengehörigkeit sein Ende hat.“ (S. 80) Das Programm der Schwarzen Botin ist Kritik und zwar vor allem Kritik am der Frauenbewegung unterstellten, unreflektierten Wunsch nach einer neuen Weiblichkeit, die, so Goettles Einschätzung, das weibliche Gefühlsvermögen, die Zusammengehörigkeit von Frauen sowie Einheit und Harmonie in Frauenbeziehungen huldigte. Gegen solche, von der Schwarzen Botin als anti-emanzipatorisch betrachteten Tendenzen bot sie ein Gegenprogramm: Die Zeitschrift setzte auf die Intellektualität von Frauen und auf eine theoriegeleitete Analyse der gegebenen Verhältnisse. Sie erteilte dem Anspruch an Geschlechtergleichheit eine Absage und betonte ein radikales Umdenken. In dieser Gegenbewegung, die der angenommenen Theoriefeindlichkeit der deutschen Frauenbewegung entgegenzuwirken versuchte, ist wohl auch der in der ersten Ausgabe formulierte Anspruch begründet, „die französische Frauenbewegung miteinzubeziehen“ (S. 82), und somit dem Denken der sexuellen Differenz Raum einzuräumen. Einige der Texte widmeten sich demnach den Protagonistinnen des französischen Feminismus und versuchten, daraus gewonnene Erkenntnisse in die deutschsprachige Debatte zu übersetzen.

Das Gegenprogramm manifestiert sich jedoch nicht allein in dem Bestreben der theoretischen Fundierung feministischer Auseinandersetzungen, sondern auch in der gesamten Anlage der Zeitschrift, die keine festen Rubriken kannte und über eine erstaunliche Vielfalt von Genres verfügte. So finden sich neben eher klassisch theoretisch-politischen Erörterungen, Essays oder Interviews auch prosaische und lyrische Beiträge sowie künstlerische Arbeiten, die in ihrer Gesamtheit nicht nur ein Forum für feministische Intellektualität eröffneten, sondern der feministischen Auseinandersetzung auch eine Tiefe und Relevanz gaben, die für die Leserin selbst 40 Jahre nach Erscheinen noch anregend wirkt.

So ist das Buch für die Rezensentin eine Offenbarung, insofern es ein Stück nahezu vergessener feministischer Geschichte zugänglich macht, das noch dazu die Frauenbewegung in ihrer oftmals vergessenen und verdrängten Vielstimmigkeit und Widersprüchlichkeit sichtbar macht sowie die feministischen Konfliktlinien am konkreten Material erkennen lässt. Das intellektuelle Netz, das die Schwarze Botin spinnen und etablieren konnte und das durch die Anthologie eindrücklich wiedergeben wird, macht neugierig auf die „gesamte“ Geschichte der Schwarzen Botin. Als eindrucksvoll ist einerseits die zum Teil heftige Ablehnung gegenüber der Praxis der Frauenbewegung zu sehen sowie andererseits die sich daran entzündende Radikalität der Schwarzen Botin, die darauf zielte, das Gegebene zu übersteigen, und die letztlich dazu führte, dieses intellektuell anspruchsvolle und zum Nachdenken anregende Periodikum herauszugeben. Offen ist jedoch, ob dieses Anliegen, das Gegebene zu überschreiten, gelungen ist oder ob die Schwarze Botin nicht letztlich in der eigenen Kritik verharrte. „Der Anspruch der Schwarzen Botin, aus der Frauenbewegung kommend vorrangig eine Kritik an dieser zu sein, überstieg gleichwohl alles Bisherige und ist deshalb als historisch singuläres Unterfangen zu verstehen. Es hatte weder Vorläuferinnen noch Weggefährten und – was im Rückblick nicht minder wichtig zu betonen ist – auch keine Erbinnen.“ (S. 14) Dieses Resümee des Herausgebers lässt, zumindest was die Traditionsbildung betrifft, zu letzterem tendieren. Denn „keine Erbinnen“ bedeutet, dass die Weitergabe und Traditionsbildung nicht gelungen ist, was mitunter auch ein Charakteristikum der Geschichte von Frauen und Frauenbewegungen ist. Damit wäre der Anspruch, die gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse zu überschreiten, wohl eher als gescheitert einzuschätzen. Zu hoffen ist jedoch, dass die vorliegende Anthologie viele Leserinnen und Leser findet, so dass die hier dokumentierte, vor mehr als 40 Jahren begonnene und schon bald darauf vergessene feministisch-intellektuelle Debatte erinnert, aufgearbeitet und weitergeschrieben werden kann.

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