S. Großmann: Falsche Freunde im Kalten Krieg?

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Titel
Falsche Freunde im Kalten Krieg?. Sowjetische Freundschaftsgesellschaften in Westeuropa als Instrumente und Akteure der Cultural Diplomacy


Autor(en)
Sonja Großmann
Reihe
Studien zur Internationalen Geschichte 46
Erschienen
Anzahl Seiten
IX, 612 S.
Preis
€ 69,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Benedikt Tondera, Institut für Geschichte, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Als Anfang der 1990er-Jahre das Sowjetimperium endgültig zerfiel, bedeutete dies auch eine Zäsur für die sogenannten Freundschaftsgesellschaften in Westeuropa. Über Jahrzehnte hatten deren Mitglieder dem Kreml die Treue gehalten und mussten sich nun die Sinnfrage stellen: Waren sie – wie es im Januar 1992 ausgerechnet ein führender sowjetischer Funktionär der in Auflösung befindlichen „Gesellschaft UdSSR-Frankreich“1 formulierte – „Opfer der Katastrophe des sowjetischen Sozialismus“ gewesen (S. 509)? Tatsächlich, so räumt Sonja Großmann in ihrer umfangreichen Pionierstudie zu mit der Sowjetunion befreundeten Gesellschaften in Frankreich, Großbritannien und der Bundesrepublik ein, brach gerade für die ältere Generation der Freundschafts-Aktivist/innen buchstäblich eine Welt zusammen.

Dennoch legt sie ihr Buch nicht als eine Geschichte des Scheiterns verblendeter Ideolog/innen im Kulturkampf des Kalten Krieges an. Vielmehr untersucht die Verfasserin die Freundschaftsgesellschaften kenntnisreich als transnationale Akteursgruppen, die nach dem Zweiten Weltkrieg allmählich aus der passiven Rolle als „Transmissionsriemen der sowjetischen Propaganda“ (S. 522) herauswuchsen und ein eigenständiges Profil in der grenzüberschreitenden kulturellen Zusammenarbeit entwickelten. „Falsche Freunde im Kalten Krieg?“ zeichnet dabei auf Grundlage einer beeindruckenden Rechercheleistung die vielfältigen Verflechtungen nach, in die die Freundschaftsgesellschaften eingebunden waren. Abgesehen von der Ausrichtung nach Moskau zählten dazu unter anderem die Beziehungen zu dem linken inländischen Parteienspektrum, den Gewerkschaften und den jeweiligen Regierungen. Auf die Rolle der Geheimdienste geht Großmann dagegen – vermutlich aufgrund der schwierigen Quellenlage – nur sporadisch ein.

Dafür beleuchtet sie auf breiter Materialgrundlage auch das Innenleben der Gesellschaften, deren Mitgliedschaft sich durchaus heterogen aus Weltkriegsveteranen, linientreuen Kommunisten und kulturell Interessierten rekrutierte. Ihr Engagement für die sowjetische Sache trieb eine Reihe führender Aktivist/innen in der ersten Phase des Kalten Krieges aus der gesellschaftlichen Mitte heraus. Die Ächtung der Freundschaftsgesellschaften sorgte für eine Radikalisierung dieser Gruppierungen – während der harte Kern zunehmend eine Wagenburgmentalität entwickelte und der Sowjetunion selbst angesichts von offenkundigen Menschenrechtsverletzungen und außenpolitischen Aggressionen die Treue hielt, gingen kritischere Mitglieder allmählich auf Distanz.

Erst der von Chruschtschow eingeleitete außenpolitische Entspannungskurs des Tauwetters Mitte der 1950er-Jahre und die massive Ausweitung grenzüberschreitender Aktivitäten unter Breschnew ein Jahrzehnt später machten die Freundschaftsgesellschaften in Regierungskreisen und der breiteren Öffentlichkeit wieder hoffähig. Mit ihrer langjährigen Erfahrung in der Organisation von Austauschprogrammen und Kontakten zu höchsten Funktionärskreisen waren sie während der Détente in der Lage, eine zentrale Vermittlerrolle im expandierenden transnationalen Austausch zwischen der Sowjetunion und den westeuropäischen Staaten zu übernehmen.

Großmann kann ihren komparatistischen Ansatz sehr gut zur Geltung bringen, indem sie den Einfluss der Entspannungspolitik auf die gesellschaftspolitische Stellung der jeweiligen Freundschaftsgesellschaften ausdifferenziert. In Großbritannien gründete die Regierung 1958 zur stärkeren Einbindung des kulturellen Austauschs mit der UdSSR in die offizielle Außenpolitik die „Great Britain-USSR Association“. Sie stand als quasi-staatliche Gesellschaft in Konkurrenz zu der seit den 1920er-Jahren bestehenden akademisch-elitären „Society for Cultural Relations with the Soviet Union“ und der nach dem Zweiten Weltkrieg gegründeten kommunistischen „British-Soviet Friendship Society“ (BSFS). Der sowjetischen Seite war die neue regierungsnahe Partnergesellschaft trotz der größeren Distanz in politischen Fragen durchaus willkommen, da diese finanziell gut aufgestellt war und über einflussreiche Mitglieder verfügte. In Frankreich erweiterte die eng mit der Parti communiste français verknüpfte „France-URSS“ ab Mitte der 1960er-Jahre ihren Aktionsradius und gab den Programmen hochrangiger sowjetischer Besuchergruppen bewusst einen offiziellen Anstrich. Um diplomatische Verstimmungen zu vermeiden, akzeptierten die französischen Behörden zähneknirschend die Durchführung von öffentlichkeitswirksamen Delegationsbesuchen, die über das staatlich vereinbarte Austauschprotokoll hinausgingen.

In der Bundesrepublik kam es nach dem Verbot der KPD-nahen und eng mit der DDR verbundenen „Deutsch-Sowjetischen Freundschaftsgesellschaft“ 1956 erst relativ spät zu einer überregionalen Neugründung. Dafür genossen die im April 1969 im Zuge der Neuen Ostpolitik gegründete „Gesellschaft BRD-UdSSR“ und ab 1975 deren Nachfolgeorganisation „Arbeitsgemeinschaft der Gesellschaften Bundesrepublik Deutschland-Sowjetunion“ (ARGE) breite öffentliche Unterstützung aus der Wirtschaft, den Gewerkschaften, den Kirchen und der Politik. Die ARGE setzte in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt auf das Prinzip der Gegenseitigkeit, um in der UdSSR auf gesellschaftlichen Wandel hinzuarbeiten. Insbesondere im Rahmen des KSZE-Prozesses gelang es so den deutschen und anderen westeuropäischen Gesellschaften, Austausch etwa in Form von Ausstellungen, politischen Diskussionen und Städtepartnerschaften zu realisieren.

Die Freundschaftsgesellschaften rückten mithin näher an den Bereich der staatlichen Diplomatie heran. Die UdSSR hielt sich dabei mit der Ausübung politischen Drucks auf diese zurück, um ihre Partner nicht als verlängerten Arm des Kremls erscheinen zu lassen. Dadurch kam insbesondere in Frankreich und der Bundesrepublik in den Freundschaftsgesellschaften ein Binnenpluralismus an Ansichten zur Politik der KPdSU zum Tragen, der sich von der Nibelungentreue der dortigen kommunistischen Parteien durchaus abhob. Dennoch taten sich viele Aktivist/innen mit den Entwicklungen während der Perestrojka schwer. Gerade in Großbritannien, wo die BSFS sich als besonders loyale Verfechterin der sowjetischen Sache hervorgetan hatte, verfolgten deren Mitglieder den Übergang zur Marktwirtschaft und den Zerfall der Sowjetunion mit Schrecken. Weder sie noch die Gesellschaft „France-URSS“, die einen erheblichen Teil ihrer Einnahmen durch von sowjetischer Seite großzügig subventionierte Reisen ihrer Mitglieder erzielt hatte, überlebten die Wende. Die pragmatische und regierungsnahe ARGE passte sich hingegen den neuen politischen Gegebenheiten an und fand ab 1996 ihren Nachfolger in dem bis heute aktiven „Bundesverband Deutscher West-Ost-Gesellschaften“.

Aus bundesrepublikanischer Sicht funktionierte das Konzept „Wandel durch Annäherung“ also durchaus, wobei Großmann das Primat der Außenpolitik über die Cultural Diplomacy hervorhebt. Es war hier die Neue Ostpolitik, die einer wirkungsvollen transnationalen Zusammenarbeit auf zivilgesellschaftlicher Ebene Vorschub leistete und nicht umgekehrt. Die de facto staatliche Kontrolle über die Freundschaftsgesellschaften auf sowjetischer Seite änderte laut Großmann nichts daran, dass der über sie vermittelte kulturelle Austausch die beteiligten Akteur/innen nachhaltig beeinflusste. Die „symbolische Partizipation“ gerade der kosmopolitischen Elite an der Außendarstellung ihres Staates habe eine „mobilisierende, legitimierende und zugleich kontrollierende Funktion“ ausgeübt (S. 227). Die Simulation von Zivilgesellschaft erwies sich für die Kommunistische Partei als zweischneidiges Schwert: Zwar spricht Vieles dafür, dass die Entsendung sorgfältig ausgewählter Reisegruppen unter Breschnew das Ansehen der Sowjetunion im Westen tatsächlich steigerten, aber angesichts eines stets expandierenden kulturellen Austausches erschienen die sowjetischen Apparate überfordert mit der Aufgabe, einen ideologischen Kokon um die eigenen Bürger/innen im In- und Ausland zu spinnen. Nicht zufällig erkennt Großmann in einigen zentralen Figuren der Perestrojka langjährige Aktivist/innen der Partnergesellschaften (S. 498f.) – der Kontakt mit dem Westen hatte bei ihnen offensichtlich Spuren hinterlassen.

Der vorliegende Band zeigt auf eindrucksvolle Weise, wie systemübergreifende transnationale Forschungsansätze die Cold War Studies bereichern können. Es gelingt Sonja Großmann, die Motive und Strategien der von ihr als „Soft Superpower“ (S. 528) ernst genommenen UdSSR besser verständlich zu machen, indem sie das von Michael David-Fox als Alternative zum „Eisernen Vorhang“ ins Spiel gebrachte Bild der „selektiv permeablen Membran“ mit Leben füllt.2 So ergibt sich das Bild, dass ironischerweise die treuesten Verbündeten der Sowjetunion im Westen unbewusst deren Unterminierung betrieben; waren es doch die Freundschaftsgesellschaften, die ihren Partnern im Osten konsequent die Notwendigkeit und Effektivität der kulturellen Öffnung vermittelten. In diesem Zusammenhang revidiert Großmann im Einklang mit der jüngeren Forschung das Bild der Breschnew-Jahre als Ära der konservativen Rückführung von Chruschtschows Öffnungspolitik. Im festen Vertrauen auf die kontrollierende und einhegende Macht der Apparate setzte die KPdSU in den 1960er- und 1970er-Jahren die einmal in Gang gebrachte „Internationalisierung der sowjetischen Gesellschaft“ (S. 474) vielmehr konsequent fort.

Mit „Falsche Freunde im Kalten Krieg?“ ist Sonja Großmann ein in jeder Hinsicht gewichtiges Werk gelungen; auf über 600 Seiten wechselt sie souverän zwischen nationaler, transnationaler und zwischenstaatlicher Darstellungsebene. Aus einer Fülle von Akteuren und Institutionen erschafft sie ein beeindruckend dichtes Tableau eines bislang unterbelichteten Aspektes des Kalten Krieges. Etwas irreführend wirkt lediglich die Verwendung des Sammelbegriffs „sowjetische Freundschaftsgesellschaften“ für die entsprechenden Organisationen in Westeuropa. Diese Bezeichnung suggeriert die von Großmann überzeugend widerlegte einseitige Fremdsteuerung derselben durch die Moskauer Parteizentrale. Zudem besteht Verwechslungsgefahr zu den tatsächlich „sowjetischen“ bilateralen Gesellschaften, die in der UdSSR in Entsprechung zu den westlichen Pendants existierten. Dieses Detail mindert jedoch nicht die insgesamt hervorragende Qualität der Arbeit. Zu dem stimmigen Gesamtbild tragen dabei auch der sprachliche Stil, ein umfassender Appendix samt Kurzbiographien und die in allen Aspekten hochwertige Buchgestaltung bei.

Anmerkungen:
1 Auf Russisch: „Obščestvo SSSR-Francija“; dabei handelte es sich um die in Moskau angesiedelte Partnergesellschaft zur französischen Freundschaftsgesellschaft „France-URSS“.
2 Michael David-Fox, The Iron Curtain as Semi-Permeable Membrane. The Origins and Demise of the Stalinist Superiority Complex, in: Patryk Babiracki (Hrsg.), Cold War Crossings. International Travel and Exchange across the Soviet Bloc, 1940s–1960s, College Station 2014, S. 14–39.

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