Cover
Titel
I Vandali. Lingua e storia


Autor(en)
Francovich Onesti, Nicoletta
Reihe
Lingue e letterature Carocci 14
Erschienen
Roma 2002: Carocci
Anzahl Seiten
222 S.
Preis
€ 18,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tankred Howe, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Die Vandalenforschung ist in neuerer Zeit zwar durch intensive Grabungstätigkeit in Nordafrika und eine Fülle historischer Einzelstudien erheblich bereichert worden, hat sich seit ihrer großen Zeit in den 50er- und 60er-Jahren mit monografischen Veröffentlichungen allerdings zurückgehalten. Schon deshalb verdient das nun von Francovich Onesti vorgelegte Buch größte Aufmerksamkeit. Die Autorin ist Germanistin an der Universität Siena und bisher unter anderem mit Arbeiten über die altgermanische Sprache und Kultur (1998) und die Sprachspuren der Langobarden (2000) hervorgetreten. Das hier zu besprechende Werk führt diesen sprachwissenschaftlichen Ansatz für die Vandalen fort, versucht ihn aber zugleich für historische Fragestellungen fruchtbar zu machen.

Das Werk gliedert sich in drei voneinander recht unabhängige Kapitel sowie einen Appendix. Das erste Kapitel (S. 17-80) bietet einen Abriss der vandalischen Geschichte von den Anfängen um Christi Geburt bis zur Neuordnung Africas nach Auflösung des vandalischen Reiches durch Justinian in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts. Das zweite Kapitel (S. 81-98) ist der Kultur und Gesellschaft des afrikanischen Vandalenreiches gewidmet, wobei vor allem die Bedeutung des Arianismus und die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung behandelt werden. An dieses Kapitel schließt der Appendix an, in dem Auszüge ausgewählter literarischer Quellen zur Geschichte der Vandalen in italienischer Übersetzung zusammengestellt sind (S. 99-132). Das dritte Kapitel bietet schließlich eine Sammlung aller als vandalisch deutbaren Sprachzeugnisse mit einer alphabetischen Auflistung der nachweisbaren vandalischen Namen (S. 133-202).

In der Einleitung (S. 11-15) zeichnet Francovich Onesti zunächst in Kürze einige Charakteristika der vandalischen Geschichte nach, indem sie etwa auf den weiten Weg der Wanderung von Mitteleuropa nach Nordafrika hinweist. Deren eigentliches Ende möchte sie indessen erst im nahöstlichen Galatien sehen, wo Justinian in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts einen guten Teil der nach der Auflösung des afrikanischen Reiches verbliebenen Vandalen ansiedeln ließ. Sodann wird an die Seeherrschaft erinnert, deren Ausmaß sich etwa darin widerspiegele, dass in einigen altgermanischen Sprachen das westliche Mittelmeer auch als "Meer der Vandalen" bezeichnet wurde. Die Plünderung Roms im Jahre 455 wird als materiell verheerender als die durch die Westgoten im Jahre 410 eingeschätzt, obwohl sie kein vergleichbares Echo unter den Zeitgenossen gefunden habe. Francovich Onesti erinnert auch daran, dass in dieser Unternehmung die Wurzeln für den in der Französischen Revolution geprägten Vandalismusbegriff liegen. Es folgt sodann eine Skizzierung der ethnischen Merkmale der vandalischen Sprache und Kultur samt einiger Bemerkungen zur Quellenlage.

Das erste, der vandalischen Geschichte gewidmete Kapitel ist seinerseits in neun Abschnitte unterteilt, beginnend mit der Ethnogenese der Vandalen und dann fortschreitend mit dem Einfall in Spanien in den Jahren 409 bis 429, dem Übergang nach Afrika und den ersten Herrschaftsjahren (429-439), den Verträgen von 435 und 442 und der Einnahme Karthagos (439), je einem Abschnitt zum inneren Aufbau des vandalischen Staates, zur Innen- und Außenpolitik und zum Verhältnis gegenüber der einheimischen nordafrikanischen Bevölkerung sowie einem Abschnitt zur Eroberung des Vandalenreiches durch die Byzantiner und schließlich endend mit einer historischen Bewertung. Diese Darstellung ist insgesamt sehr gelungen und bietet eine schnelle und zuverlässige Orientierung über die wichtigsten Züge der vandalischen Geschichte. Dazu tragen auch die drei sehr anschaulichen Karten zur vandalischen Siedlung in Spanien, zu den Provinzen der Diözese Africa und zum Gebiet des Vandalenreiches sowie ein Stammbaum der hasdingischen Königsfamilie bei.

Allerdings erfährt die gegenwärtig in der Forschung stattfindende Ethnogenese-Debatte keine erkennbare Berücksichtigung bei der Rekonstruktion der vandalischen Geschichte. So ging Francovich Onesti schon in der Einleitung (S. 13) recht unbefangen von einer Vandalen, Goten, Burgundern, Franken, Sueben und Alamannen gemeinsamen "germanischen Wurzel" (ceppo germanico) sowie Sprache und Kultur aus, was im 1. Abschnitt des historischen Teils entsprechend seine Fortsetzung findet. Die Existenz einer "germanischen Gefolgschaft" ('comitatus' germanico) bei den Vandalen wird etwa ebenso vorausgesetzt wie die Tatsache angenommen, dass die von Geiserich eingeführten Tausendschaftsführer (millenarii) diese Institution ablösten (S. 30). Ob man angesichts der vernichtenden Niederlage der Silingen in Spanien 416-418 und der Zerstörung des vandalischen Reiches durch Justinian 533/34 von einem "Genozid" sprechen sollte (S. 73), sei hier ebenfalls zu bedenken gegeben. Das im Hinblick auf die Ethnizitäts-Problematik zu einer Stellungnahme herausfordernde Werke von Patrick Amory 1 wird zwar im dritten Kapitel für die Deutung der Personennamen vielfach zu Rate gezogen, in diesem ersten Kapitel aber nicht aufgegriffen. Demzufolge bleiben auch die Hintergründe und Ursachen der vandalischen Wanderung von der Betrachtung ausgenommen.

Francovich Onesti stimmt indessen durchaus mit der herrschenden Ansicht überein, dass die Ethnogenese der Vandalen erst in Spanien nach der gewonnen Schlacht gegen Castinus 422 einen gewissen Abschluss fand und auch danach die Aufnahme neuer - und keinesfalls nur germanischer - Elemente durchaus nicht beendet war (S. 20-31). Überzeugend ist auch die Deutung des schwer erklärlichen Aufenthaltes der vandalischen Flotte unter Führung Tzazos vor Sardinien zum Zeitpunkt des Angriffs der Byzantiner im Sommer 533. Anders als die auf Prokop zurückgehende und immer wieder bemühte Vermutung, Gelimer sei von Belisar schlichtweg überrascht worden, vertritt Francovich Onesti überzeugend die Annahme, dass der vandalische König offenbar mit einem Schlag der byzantinischen Flotte gegen die vandalischen Inseln des westlichen Mittelmeeres rechnete (S. 70). Erfrischend ist angesichts der mitunter vorgebrachten Generalkritik auch die Leidenschaft, mit der Francovich Onesti eine Lanze für Prokop und seine Darstellung im "Vandalenkrieg" bricht (S. 67-69).

Das zweite Kapitel zu Kultur und Gesellschaft des Vandalenreiches ist seinerseits in fünf Unterabschnitte unterteilt, und zwar je einem zur Rolle des Arianismus, zum Gebrauch der gotischen Wulfila-Bibel, zur sprachlichen Situation in den Provinzen, zum kulturellen Hintergrund Africas und zu den verschiedenen Ethnien. Hervorzuheben ist hier die Auswertung des epigrafisch überlieferten Namenmaterials im Hinblick auf die Frage der vandalischen Siedlung in Africa (S. 93-98, vgl. im 1. Kapitel S. 43-46). Francovich Onesti umgrenzt anhand der Verteilung der epigrafischen Zeugnisse regionale Besonderheiten, die im Sinne der Bewahrung sowohl einer alanischen wie einer suebischen Identität innerhalb des Gesamtverbandes der 'Vandalen' gedeutet werden können. Freilich bleibt das für eine solche Deutung zur Verfügung stehende Material spärlich. Wenn Francovich Onesti indessen bemerkt "l'arianesimo divenne l'emblema dell'appartenenze germanica" (S. 82) und das sowohl auf die Situation in Italien, wie auch in Spanien und Africa bezogen wissen will, so ist dies nicht nur im Hinblick auf die Tatsache problematisch, dass beispielsweise bei Victor von Vita die Existenz katholischer Vandalen ausdrücklich belegt ist.2

Auf dieses zweite Kapitel folgt der Appendix mit ausgewählten Quellenauszügen. Francovich Onesti bietet hier Passagen aus den Chroniken von Hydatius, Cassiodor und Victor von Tunnunna, ferner aus De Gubernatione Dei von Salvian, der Historia Persecutionis Africanae Provinciae von Victor von Vita sowie dem Bellum Vandalicum und den Anekdota von Prokop. Gegeben wird nur die italienische Übersetzung mit gelegentlichen Anmerkungen. Die Auswahl der Passagen vermittelt dem Leser einen guten Überblick über die literarischen Quellen und ist eine hilfreiche Ergänzung zu den historischen Teilen des Werkes. Leider kommentiert Francovich Onesti die gebotenen Texte nicht im Hinblick auf die Ergebnisse ihrer namengeschichtlichen Forschungen, so dass eine solche Auswertung dem Selbststudium des Lesers überlassen bleibt.

Das dritte Kapitel stellt mit Sicherheit den gewichtigsten Teil des Werkes dar. In ihm hat Francovich Onesti alle Sprachzeugnisse gesammelt, die als Überreste des Vandalischen gedeutet werden können. Das Material reicht von einigen wenigen Wörtern, die etwa in der Collatio beati Augustini cum Pascentio Ariano, dem in seiner Zuweisung umstrittenen Gießener Bibelfragment oder der Anthologia Latina überliefert sind, bis zu einer alphabetisch angelegten Liste von Namen, die sich entweder vollständig oder teilweise aus germanischen Lautelementen zusammensetzen. Francovich Onesti begreift diese Zusammenstellung als Fortsetzung der Arbeit von Ferdinand Wrede,3 fügt dem von diesem gesammelten Material allerdings 90 Personennamen hinzu, die in der alphabetischen Liste durch fortlaufende Numerierung kenntlich gemacht sind. Unterschieden wird dabei zwischen den Kollektivnamen für die Vandalen insgesamt und den eigentlichen Personennamen sowie innerhalb der zweiten Gruppe zwischen vandalischen, alanischen, suebischen und in ihrer Deutung unsicheren Namen. Angaben zum Fundort, zum Erstbeleg, zu den Schreibvarianten, ferner eine knappe etymologische Deutung sowie die wichtigste Literatur und gegebenenfalls prosopografische Daten schließen sich den einzelnen Einträgen an. Das Namenmaterial selbst wird schließlich durch eine tabellarische Auflistung der einzelnen Bildungsbestandteile aufbereitet (S. 186-191).

Obgleich in erster Linie sprachwissenschaftlich ausgerichtet, schafft diese Zusammenstellung der Personennamen eine hervorragende Grundlage für das dringende Desiderat einer umfassenden vandalischen Prosopografie, die dann freilich um die Personen mit ungermanischen Namen zu ergänzen wäre. Allerdings sollte man mit dem Rückschluss von der sprachlichen Herkunft eines Namens auf die ethnische Identität seines Trägers mitunter etwas vorsichtiger sein, als Francovich Onesti dies ist. In welche Richtung eine historische Auswertung des von ihr gebotenen Namenmaterials indessen gehen könnte, deutet sich im angefügten Kommentar (S. 185-202) nicht nur durch den schon erwähnten Hinweis darauf an, dass im Hinblick auf die räumliche Verteilung des Namenmaterials gewisse regionale Konzentrationen und hinsichtlich der Namensformen ein partieller Fortbestand eigenständiger ethnischer Identitäten innerhalb des Gesamtverbandes der Vandalen erkennbar scheinen. Auch die Feststellung einer Veränderung der Namen selbst von ihrer einfachen Bildung im 3. Jahrhundert (Ambri, Assi), über die klassisch germanische Zweigliedrigkeit vom 4. bis zur Mitte des 5. Jahrhunderts (Gundericus, Gaisericus), bis hin zur hybriden und heterogenen Zusammensetzung aus germanischen, römischen-griechischen und lokalen nordafrikanischen Elementen (Cyrila, Maioricus, Svartifan) weist auf eine kontinuierliche kulturelle Entwicklung hin, deren Kenntnisnahme für die Frage der Ethnogenese der Vandalen nicht ohne Belang sein dürfte (S. 191-195).

Das Werk schließt mit einem Literaturverzeichnis ab, das gerade wegen der interdisziplinären Anlage der Untersuchung zwischen Sprach- und Geschichtswissenschaft viel Anregung bietet (S. 203-222). Eine Trennung von Quellen und Sekundärliteratur hätte die Orientierung allerdings erleichtert. Bedauerlich ist auch das Fehlen eines Registers. Insgesamt hat Francovich Onesti freilich eine Untersuchung vorgelegt, deren Ergebnisse der Vandalenforschung noch auf lange Sicht von größtem Nutzen sein werden.4

Anmerkungen:
1 Amory, Patrick, People and Identity in Ostrogothic Italy 489-554, Cambridge 1997.
2 Vict. Vit. 3,38.
3 Wrede, Ferdinand, Über die Sprache der Wandalen (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker 59), Straßburg 1886.
4 An Sachlichem sei hier nur noch auf zwei Druckfehler hingewiesen, die für den Leser irritierend sein können: Auf S. 33, Anm. 47, wird irrtümlich der 218. Brief Augustins angeführt; tatsächlich handelt es sich aber um den 228. Brief. Auf S. 69 findet der Staatsstreich Gelimers im Jahre 533 statt, wohingegen für dieses Ereignis zuvor auf S. 64 bereits richtig das Jahr 530 angegeben worden war.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Land
Sprache der Rezension