J.J.Sheehan: Geschichte der deutschen Kunstmuseen

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Titel
Geschichte der deutschen Kunstmuseen. Von der fürstlichen Kunstkammer bis zur modernen Sammlung


Autor(en)
Sheehan, James J.
Erschienen
München 2002: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
368 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ingeborg Cleve, Universität des Saarlandes Historisches Institut

Das Buch von James J. Sheehan ist weder, wie der Titel vermuten lassen könnte, eine bloße Institutionengeschichte, noch, wie der Originaltitel “Museums in the German Art World. From the End of the Old Regime to the Rise of Modernism” 1 nahelegt, eine umfassende Geschichte der deutschen Kunstwelt. Sein eigentliches Thema ist in einer Schnittmenge aus beidem zu suchen. Anschaulich und schlüssig dargeboten und von Martin Pfeiffer sorgfältig übersetzt, werden die wichtigsten deutschen Museen in ihrer Entstehungsgeschichte, in ihrem baulichen Gefüge und ihrer Sammlungsordnung eingefügt in die zeitliche Folge kunsttheoretischer Grundlegungen, politischer Rahmenbedingungen, künstlerischer Praxis und prägender Persönlichkeiten seit der Barockzeit. Dabei ist Sheehans Geschichte von der Leitfrage nach der Aufnahme der künstlerischen Moderne im Museum her gedacht und aufgebaut. Der dieser Ankunft zugrunde liegende gesellschaftliche Bedingungszusammenhang der Zeit um 1900 bestimmt nach Sheehan die Funktion und die Ästhetik des Museums in der Gegenwart: Nach dem Ende eines kulturellen Konsenses über Geschichte, Sinn und Wert von Kunst bewahrt, ordnet und präsentiert es Gegenstände, die eben dadurch als Kunstwerke beglaubigt werden, es macht diese Gegenstände öffentlich zugänglich, es kondensiert die Ergebnisse ästhetischer Werturteile, beglaubigt Geschichtserzählungen und vermittelt damit Wert- und Sinngehalte in die Gesellschaft hinein. (S. 275).

In vier großen Kapiteln stellt Sheehan dar, wie dieser Bedingungszusammenhang von Kulturdebatten, Öffentlichkeit, Kunstpraxis und politischer Funktion der Kunst in Deutschland im 18. Jahrhundert, im Zeitalter der Revolutionen, im Museumszeitalter zwischen 1830 und 1880 und im wilhelminischen Kaiserreich jeweils die Kunstwelt prägen sollte und in Museumsprojekten seinen Ausdruck fand. Der zentrale Begriff der Kunstwelt faßt dabei für ihn zwei unterschiedliche Bedeutungsgehalte zusammen. Zum einen verwendet er ihn (in Anlehnung an Arthur Danto) 2 als Bezeichnung für “die Theorien, Annahmen und historischen Erfahrungen, welche die Art und Weise prägen, in der wir Kunst als Kunst sehen”. Zum anderen bezeichnet Sheehan damit (in Anlehnung an Howard Becker) 3 “das Netz von Menschen, deren gemeinschaftliche Aktivität ... die Art von Kunst hervorbringt, für die [die] Kunstwelt bekannt ist” auf (beide Zitate S. 13). Diesem Ansatz entsprechend gliedern sich die Kapitel jeweils in eine Erörterung der Vorstellungen von Kunst, des sozialen und politischen Kontextes von Museen und ihrer organisatorischen Entwicklung und schließlich der Bauweise und Ausschmückung einiger herausragender Beispiele.

Demnach wurde die Institution des Kunstmuseums in Deutschland vor deren Gründungsphase geformt durch die Kunsttheorien Kants und Winckelmanns, vermittelt in höfisch dominierten Öffentlichkeiten und repräsentiert in fürstlichen Sammlungen. Die Einrichtung von Kunstmuseen war ein wesentlicher Bestandteil kulturpolitischer Bewältigungsstrategien des Einflusses der Französischen Revolution und der Auswirkungen der napoleonischen Kriege im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Ihre Konzeption war beeinflußt von Schillers Ideal einer ästhetischen Gemeinschaft, von der sakralen Überhöhung der Kunst bei den Romantikern und von einem keimenden nationalen Bewußtsein; ihre Blütezeit erlebten sie im darauf folgenden halben Jahrhundert im Zusammenspiel historistischen Denkens mit fürstlichen, partikularstaatlichen und wirtschaftsbürgerlichen Bildungskonzepten und Prestigebedürfnissen. Gegen die so etablierten Interessen und Institutionen und in Auseinandersetzung mit der wachsenden Berufsgruppe professioneller Museumsexperten und Kunstvermittler setzte, intellektuell unterfüttert von der Kulturkritik Nietzsches und einer das Problem der Innovation entdeckenden Kunstgeschichte, seit 1880 der ästhetische Modernismus seinen Platz im Kunstmuseum durch und änderte damit den Charakter der Institution nochmals entscheidend. Dabei überdauerten, wie Sheehan in der Einleitung betont und auf der Basis kundig herangezogener, den Forschungsstand abdeckender Sekundärliteratur und gedruckter Quellen mit Schlüsselcharakter herausarbeitet, mit dem Zusammenspiel monarchischer Einflußnahme, bürokratischer Verfestigung und akademischer Vormacht und mit der Zersplitterung von Mittelschichtsinteressen zugleich übergreifende nationale Eigenheiten.

Sheehan gelingt es auf diese Weise, eine Geschichte der Institution Kunstmuseum zuerst im Alten Reich und dann in den Grenzen des Kaiserreichs als Abfolge von einzelnen Initiativen und Programmen vor dem Hintergrund wechselnder intellektueller, politischer und gesellschaftlicher Umfelder darzustellen und zugleich die Intentionen und Handlungsräume derjenigen, die mit deren Gründung, Ausgestaltung, Verwaltung und Vermittlung befaßt waren, zu umreißen. Ein dynamischer Strang in den Interaktionen von Museen und Kunstwelt wird so herausgearbeitet. Zugleich mit dem Erkenntnisgewinn drängt sich aber der Eindruck einer gewissen Starrheit auf. Das liegt an der rigorosen Ausblendung von Kontexten und Faktoren, welche der Herausarbeitung der von Sheehan in den Vordergrund gestellten Interaktionen im Wege stehen könnten, und an einer idealisierenden Darstellung der die Museumsprojekte tragenden Kulturpolitik. Die gewählte Weise der historischen Rekonstruktion vermeidet eine nähere Untersuchung der konkreten Modi und Gegenstände der Interaktionen, wie etwa eine Bestimmung des Einflusses Pariser Konzepte auf die preußische Kunstpolitik der Reformära. Damit nähert sie sich dem Selbst- und Geschichtsbild der nationalen Kunstwelt um 1900 stärker an, als dies die in der Einleitung angerissene Außenperspektive vermuten läßt. Geistesgeschichtlich fundiertes und bürokratisch fixiertes Kulturverständnis, dynastische Orientierung, nationale Überhebung, staatlich abgestütztes akademisches Elitenbewußtsein und die Abwehr massenkultureller Phänomene und wirtschaftlicher Interessen lassen Kunstmuseen als Monumente deutscher Kultur und deutschen Bildungsbewußtseins und damit als Kunstwerk eigener Art erscheinen. Die Einbettung der deutschen Kunstmuseen in internationale Beziehungsgeflechte, ihre politische und ökonomische Verzweckung und ihre Verankerung in ein lokales Gesellschaftsleben jenseits der intellektuellen Zirkel erscheinen so nachrangig.

Überhaupt gerät die Vielschichtigkeit ihrer Einbindung in eine Gesellschaftsgeschichte, die Wirtschafts- und Konsumgeschichte und inzwischen auch Geschlechter- und Mediengeschichte umfaßt, aus dem Blick, ebenso die Heftigkeit und der Einfluß kulturkritischer Ressentiments und die Vieldimensionalität einer medial und kommerziell enorm expandierenden Kunstwelt wie die Dynamik des Bildungs-, Sammlungs- und Ausstellungswesens insgesamt, welche weit über die Kunstmuseen hinausgriff, sie aber einschloß. Durch die Eingrenzung der Untersuchung bleiben Nachfragen in diese Richtung, etwa nach der Beziehung zwischen Kunstmuseen und Kunstgewerbe, angefangen bei Schinkels Museumsarchitektur, seinen “Vorbildern für Fabrikanten und Handwerker” und den Beuthschen Gewerbeförderungsbemühungen 4, unversehens ausgeklammert. Nur weil Sheehan die Komplexität des Modernisierungsprozesses und die zivilisatorischen Aspekte des nur angedeuteten Geschmacksbildungsprozesses weitgehend ausblendet, erscheinen die dem untersuchten Interaktionsfeld “Kunstwelt” gesteckten Grenzen, die relative Autonomie von Personen und Institutionen und die Einlinigkeit der institutionellen Entwicklung der Kunstmuseen schlüssig. Der nur am Ende des Buches kurz angerissene Bruch, der von den Nationalsozialisten erzwungen wurde, in der Entwicklung der Museen hin zu Institutionen der Durchsetzung der ästhetischen Moderne, muß so als eine bloße Ignoranz des Kunsturteils erscheinen. Dies ist bedauerlich auch deshalb, weil Gesellschaftsgeschichte in Deutschland selbst gelernt hat, strukturellen und sozio-kulturellen Problemlagen und Interaktionsdynamiken Aufmerksamkeit zu schenken. Diese Aufmerksamkeit ließe sich, angeregt durch Thomas Nipperdey und Wolfgang J. Mommsen und theoretisch herausgefordert durch Pierre Bourdieu, nachdrücklicher auf die Kunstwelt ausdehnen, als dies bei Sheehan der Fall ist.5 Dadurch werden Fragen nach der jeweiligen Modernität der Kunstmuseen vor dem Einbruch des Modernismus in die Kunstwelt und nach dessen Zusammenhang mit der Krise der Moderne nach 1900 provoziert, während etwa medien- oder konsumgeschichtliche Ansätze nach Beziehungen zwischen Museum, Kunstreproduktion und Abbildungstechniken, ein wirtschaftsgeschichtlicher nach deren wirtschaftlicher Bedeutung, ein geschlechtergeschichtlicher nach der Konstruktion der musealen Öffentlichkeit fragen könnten. Allerdings weist deren Beantwortung zur Zeit noch zu weit über das Vorliegende und das forschungs- und darstellungsmäßig Machbare hinaus. Insoweit ist der eingeschlagene Weg verdienstvoll, das Ergebnis sehr lesenswert und als profunder Überblick hervorragend geeignet.

Anmerkungen:
1 Zuerst erschienen in der Oxford University Press, New York 2000.
2 Arthur Danto: “The Art World”, in: Journal of Philosophy 61, 1964, S. 571-584.
3 Howard S. Becker: Art Worlds, Berkeley 1982, Zitat S. X.
4 Vgl. die Hinweise in Eric Dorn Brose: The Politics of Technological Change in Prussia. Out of the Shadow of Antiquity, 1809 - 1848, Princeton 1992.
5 Thomas Nipperdey: Wie das Bürgertum die Moderne fand, Berlin 1988; Wolfgang J. Mommsen: Bürgerliche Kultur und künstlerische Avantgarde, Frankfurt a.M. 1994; Ders.: Bürgerliche Kultur und politische Ordnung. Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle in der deutschen Geschichte 1830-1933, Frankfurt a.M. 2000; Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a.M. 1982, zahlreiche Auflagen, zuletzt 2002; Ders. u. a.: The Love of Art : European Art Museums and Their Public, Stanford 1991.

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