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Titel
Släkt, vänner och makt: En studie av elitens politiska kultur i 1100-talets Danmark.


Autor(en)
Hermanson, Lars
Reihe
Avhandlingar från Historiska institutionen i Göteborg 24
Erschienen
Anzahl Seiten
280 S.
Preis
SKr 219
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Rüdiger, Institut für Geschichtswissenschaften der HU Berlin

"Familie, Freunde und Macht", so ließe sich der schwedische Titel von Lars Hermansons Göteborger Dissertationsschrift übersetzen. Der Anklang an einen modernen Klassiker der deutschen Mediävistik kommt nicht von ungefähr; man begegnet diesem und ähnlich orientierten Werken der internationalen Forschung bereits in Einleitung und Themenstellung. Damit ist vorliegende "Studie über die politische Kultur der Elite im Dänemark des 12. Jahrhunderts", so der Untertitel, im Hinblick auf ihren Gegenstand und ihr Erkenntnisziel in etwa situiert. Detaillierte Spielregeln und Kommunikationsanalysen wird man allerdings vergeblich suchen, beschränkt sich das dänische Quellenmaterial für den Zeitraum doch abgesehen vom Urkundenmaterial auf einige lokale Chroniken sowie auf die famosen 'Gesta Danorum' des Saxo, die Hermanson namentlich für das spätere 12. Jahrhundert als Hauptquelle dienen. Die altnordische Sagaliteratur, eine Fundgrube für Kommunikationssituationen, lässt Dänemark weitgehend außen vor; die 'Knýtlinga saga' (die einzige Königssaga über die dänischen Herrscher) ist epigonal und wird von Hermanson auch nur sehr - vielleicht zu - vorsichtig benutzt.

Gegenstand des Buches sind die Handlungsstrategien der Menschen, die zur "politischen Elite" des Reiches zählten. Für das hochmittelalterliche Dänemark ist dies ein neuer Ansatz. Island, seit Jahrzehnten im Blick der vergleichenden und historischen Anthropologie 1, ist in letzter Zeit mehrfach im Hinblick auf die Handlungs- und Verständigungsformen seiner Führungsschicht untersucht worden 2, und auch die norwegischen Quellen sind zum Gegenstand "neuer" Deutungsmuster geworden 3. Das hochmittelalterliche Dänemark wird von der bis heute tonangebenden Forschung 4 überwiegend in der Entwicklungsperspektive hin zum spätmittelalterlichen "Staat" mit seinen königlichen und adligen "Institutionen" betrachtet. Die langwierigen Konflikte des 12. Jahrhunderts erscheinen darin wahlweise als Kampf der Allianz Königsmacht-Kirche gegen eine "konservative" Aristokratie, als Einführung hierarchischer Herrschaftsformen in die hergebrachte egalitäre Bauerngesellschaft, als Konflikt 'regnum/sacerdotium' oder als Konfrontation Königtum-Sippengesellschaft mit einer hilf- und wehrlosen Kirche dazwischen.

Hermanson weist all diese Ansätze zurück: Von institutionellen Kräften solle für die Zeit vor dem späteren 13. Jahrhundert (als tatsächlich die Konkurrenz von König und Erzbischof um dieselben Ressourcen sowie eine sich verfassende Magnatengruppe in Frontstellung zum Königtum sichtbar werden) nicht gesprochen werden; die Quellen ließen keine "Parteien" erkennen, in welchen verschiedene Personen unterschiedliche Ziele verfolgen, und auch die Mittel, derer sich die einzelnen Mitglieder der "Eliteschicht" bedienen, sind ununterscheidbar. Nicht 'Königtum' und 'Aristokratie' stehen im Kampf, sondern verschiedene aristokratische Gruppen konkurrieren um Macht, Einfluss, Königsnähe und Königsnamen - letztere Konkurrenz zwischen um verschiedene Nachkommen von König Sven Estridsen (1047-76) gescharte Gruppen gab den Konflikten des Jahrhunderts ihren Charakter.

Die Pointe von Hermansons Studie liegt nun genau darin, hinter den Rivalitäten verschiedener Zweige des Königshauses das "soziopolitische" Handeln der Magnatengruppen zu analysieren. Wohlgemerkt, die Rede ist nicht von "Geschlechtern" (ætter, ättar) - ein Begriff, den Hermanson mit der jüngeren Forschung trotz seiner Eingängigkeit und Langlebigkeit zumal im skandinavischen Geschichtsbewusstsein als untauglich für das bilateral organisierte Verwandtschaftskonzept der Zeit ablehnt. Stattdessen bezeichnet er die führenden aristokratischen Gruppen durchweg als "Skjalm-Kollektiv", "Trund-Kollektiv" usw., um zum einen ihren horizontalen Charakter, zum anderen ihre schwankende Zusammensetzung zu betonen. Konkret werden solche Kollektive (oder "Netzwerke"; diese modische Metapher wird im Laufe des Buches überstrapaziert) erst im Bedarfsfall, vor allem im Verlauf des heftigen Konflikts, der nach der Ermordung des Königsverwandten Knud Lavard durch eine Verschwörergruppe unter Führung seines Cousins Magnus, Sohnes und Wunschnachfolgers des herrschenden Königs Niels, 1131 losbrach und in der überraschend vollständigen Niederlage der Verschwörerpartei 1134 endete.

Hermanson gelingt es, die einzelnen Akteure - die Könige oder Königsverwandten Harald Kesje, Erik Emune, Henrik Skatelar, Erik von Falster, Uffe Esbernsen und die großen seeländischen "Kollektive" - im Hinblick auf ihre Machtbasis, ihre Allianzen und Konkurrenzen und ihr Verhalten in dem exemplarisch untersuchten Konflikt 1131-34 und seine Folgen so genau zu beschreiben, wie es die bekannten Quellen wohl überhaupt zulassen. Hier sei nur der Kennern der schleswig-holsteinischen Landesgeschichte wohlbekannte Knud Lavard angeführt, der, mit geringem Erbgut in Dänemark ausgestattet, seine Position vor allem als erfolgreicher Seekrieger und als "Beschützer" der ertragreichen Handelswege von und nach Schleswig errang. Hermanson weist ihn aufgrund seiner Heiratsallianz mit Nowgorod, dem "Königs"titel über die Obotriten und der Allianz mit Pommern als "Ostseefürsten von Rang" (119) aus, zeigt aber auch den stetigen Erfolgsdruck, dem ein Großer ausgesetzt war, dessen politische Ressourcen wesentlich von der Versorgung seiner Anhänger durch Raubzüge und der damit verbundenen Bestätigung seines "Glücks" abhingen.

Noch in den 1130er Jahren also, so Hermanson, handelten die einzelnen konkurrierenden Gruppierungen im Königshaus nicht anders als die übrigen Magnatenkollektive; scheinbar königliche Amts- oder Diensttitel (camerarius, villicus, stabularius) seien weniger als Teilhabe an der Macht des "Königtums" denn als Zeichen für horizontale Allianzbildungen zu verstehen. Der Verlauf der Konflikte der Jahrhundertmitte, aus denen Valdemar I. (1157-82) als im Ergebnis fast konkurrenzloser Sieger hervorging, sorgte hier für Änderungen. Valdemars Sieg beruhte wesentlich auf der Stütze durch ein einzelnes Magnatenkollektiv, die Skjalm-Gruppe - laut Hermanson die eigentlichen 'Helden' in Saxos bislang meist als proköniglich gelesenen Gesta Danorum. Dies führte bei gleichzeitiger Desintegration zweier konkurrierender "Netzwerke" zu einer Situation, in der Valdemar den auf zeremoniale Weise proklamierten Anschluss an aktuell geläufige Monarchiekonzepte ansatzweise auch in eine erneuerte Praxis überführen konnte.

Es zeugt für Hermansons Souveränität im Umgang mit seinen eigenen Theoremen, dass er die bewaffneten Auseinandersetzungen in Schonen 1176-80 nicht als eine weitere Runde in der Konkurrenz innerhalb der Elite, sondern als Widerstand gegen den neuartigen, verschärften Herrschaftsdruck von König und verbündeter Magnatengruppe deutet. Die Ereignisse nach dem Tod Knuds VI. (1202) bleiben dann außerhalb des Zeitrahmens der Untersuchung. Man würde sich wünschen, ein andermal auch Hermansons Sicht der folgenden verstärkten dänischen Involvierung in Nordelbien, die in der Schlacht von Bornhöved 1227 gipfeln sollte, zu lesen.

Für die dänische Geschichte stellt Hermanson eine gelungene Akteuranalyse zur Verfügung; für die europäische Geschichte liefert er einen wichtigen Beitrag, indem er am Fallbeispiel nachvollzieht, wie politisches Handeln konkret funktionierte. In dieser Präzisionsarbeit liegt wohl der Hauptwert des Buches. Auf diese Weise gelingt es Hermanson auch, sein proklamiertes Anliegen, "in der Behandlung des Aufbaus und der Funktionsweise sozialer Netzwerke neue Möglichkeiten zu schaffen, die politische Rolle der Frauen in der hochmittelalterlichen Gesellschaft zu untersuchen" (13), einzulösen. Königin Margareta "Friedensmaid", deren mittelalterlicher Beiname auf ihre konfliktentschärfenden Eheschließungen abzielt, erscheint als aktive Schlichterin und Vermittlerin, die für die fast dreißig Jahre lang relativ friedliche Regierungszeit von König Niels (1104-34) in weit höherem Maße verantwortlich war als ihr königlicher Gemahl. Zwar bleibt die dem Kreis jüngerer Mittelaltererforscher in Göteborg verpflichtete Wahrnehmung und Anerkennung der politischen Funktion von Nebenfrauen (frillor)5, wiewohl konstatiert, leider unausgeführt; die Abhängigkeit männlicher Macht von diversen weiblichen Rekursen wird jedoch überzeugend dargelegt.

Hermansons Studie dürfte für die Geschichte des dänischen Hochmittelalters künftig unverzichtbar sein; für die Erforschung der Aristokratien anderer quellenarmer europäischer Regionen setzt sie Maßstäbe. Es ist zu hoffen, dass die mit einer guten englischen Zusammenfassung versehene Arbeit hierzulande - angefangen mit den verantwortlichen Bibliothekaren - allen sprachlichen und distributiven Hemmnissen zum Trotz bekannt genug wird.

Anmerkungen:
1 Maßgeblich Victor W. Turner: "An anthropological approach to the Icelandic saga", in: T. O. Beidelman (ed.), The translation of cultures. Essays to E. E. Evans-Pritchard. London 1971, 349-373; Kirsten Hastrup: Culture and history in medieval Iceland. Oxford 1985
2 Jón Viðar Sigurðsson: Goder og maktforhold på Island i fristadstiden. Bergen 1993; William Ian Miller: Bloodtaking and peacemaking. Feud, law, and society in saga Iceland. Chicago/ London 1990; Preben Meulengracht Sørensen: Fortælling og ære. Studier i islændingesagaerne. Århus 1993
3 Namentlich Sverre Bagge: Society and politics in Snorri Sturluson's Heimskringla. Berkeley/ Los Angeles/ London 1991
4 So der einschlägige Band der weitverbreiteten Gesamtdarstellung der dänischen Geschichte, Ole Fenger: 'Kirker rejses alle vegne' 1050-1250. (Gyldendals og Politikens Danmarkshistorie, 4.) København ²1993, Neuausgabe in Vorbereitung. Ein entsprechendes Bild wird auch in dem zum dänischen "Mittelalterjahr 1999" erschienenen Sammelband vermittelt. Erik Ulsig: "Højmiddelalder (1050-1350)", in: Per Ingesman u.a. (red.), Middelalderens Danmark. Kultur og samfund fra trosskifte til reformation. København 1999, 28-39. Das Logo des "Mittelalterjahrs" mit Hunderten von Veranstaltungen überall im dänischen Reich in seinen mittelalterlichen Grenzen (einschließlich der schonischen Provinzen und Schleswigs) war charakteristischerweise ein Wappenschild mit dem Danebrog, dessen vier Felder Symbole der vier Stände Kirche, Adel, Bauern, Bürger mit der Königskrone in der Mitte trugen.
5 Auður Magnúsdóttir: Frillor och fruar. Politik och samlevnad på Island i fristadstiden. Göteborg 2001.

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