Cover
Titel
Why We're Polarized.


Autor(en)
Klein, Ezra
Erschienen
New York 2020: Simon & Schuster
Anzahl Seiten
336 S.
Preis
$ 28.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Zimmer, Forschungsgruppe Zeitgeschichte, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Die USA stecken in der Krise. Seit Monaten taumelt die Regierung durch die Pandemie; selten lagen die sozialen Verwerfungen, die das Land kennzeichnen, so offen zutage; die Politik scheint unfähig zu sein, die eklatanten Missstände anzugehen. Die Wurzel allen Übels erkennen die meisten Beobachterinnen und Beobachter dabei in der zunehmenden „Polarisierung“: Zwei Lager – ein „rechtes“ und ein „linkes“, ein konservatives und ein liberales, ein Republikanisches und ein Demokratisches – stünden sich unversöhnlich gegenüber, wodurch das Land gelähmt werde. Nun schickt sich mit Ezra Klein einer der klügsten Journalisten der USA an, die Ursachen und Auswirkungen dieser Entwicklung zu ergründen. Wie kaum jemand kennt sich Klein mit der gegenwärtigen politischen Lage aus, die er sehr genau seziert. Und wenn es sich bei Why We’re Polarized auch nicht um ein historisches Buch handelt, so ist es doch eines, das gerade Historikerinnen und Historiker unbedingt lesen sollten. Denn längst hat auch die Geschichtswissenschaft das Polarisierungsnarrativ aufgegriffen, und die jüngste Vergangenheit der USA wird immer stärker als eine Geschichte des fortschreitenden Zerfalls in zwei zunehmend radikale, verfeindete Gruppen erzählt. Ezra Klein liefert eine konzise Synthese dieser geradezu omnipräsenten Interpretation; allerdings ist es genau diese Kernthese des Buches, dass die „Polarisierung“ der Schlüssel zur Deutung der amerikanischen Gegenwart sei, die letztlich nicht recht überzeugt.

Klein beginnt mit der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten. Ein außergewöhnliches Ereignis – oder vielleicht doch nicht? Denn Trump schnitt 2016 unter Weißen, unter Christ/innen, unter selbsterklärten Republikaner/innen genauso ab wie die Republikanischen Kandidaten Romney oder Bush vor ihm. Bei immer mehr Amerikanerinnen und Amerikanern seien, so Klein, die parteipolitischen Identitäten so stark ausgeprägt, dass diese nicht nur das Wahlverhalten bestimmten – und zwar unabhängig von den jeweiligen Kandidaten –, sondern zunehmend auch alle anderen Lebensbereiche. Genau das gelte es zu erklären.

Der Autor nähert sich dieser Spaltung zunächst historisch (Kapitel 1–2). Noch in den 1950er-Jahren handelte es sich bei den großen Parteien um Zusammenschlüsse, die gar kein klares inhaltliches Profil aufwiesen. Erst in den 1960er-Jahren setzte ein Prozess ein, der sich als „sorting“ beschreiben lässt: Im Laufe mehrerer Jahrzehnte sortierte sich die Wählerschaft neu – „Konservative“ versammelten sich in der Republikanischen Partei, „Liberale“ bei den Demokrat/innen. In der „polarisierten“ Gegenwart decken sich die Grenzen zwischen den ideologisch und programmatisch scharf voneinander geschiedenen Parteien nun, so Klein, mit rassischen (weiß vs. multi-ethnisch), geographischen (urban vs. ländlich) und religiösen (christlich vs. nicht-christlich/ohne religiöse Bindung) Unterscheidungen. Und sogar nach Persönlichkeitstypen oder psychologischen Dispositionen seien die Parteien nun sortiert: Bei den Demokrat/innen fänden sich vor allem Menschen mit einer größeren „openness to experience“ – bei den Republikaner/innen umgekehrt jene, denen eine solche Aufgeschlossenheit eher abgehe.

Im nächsten Schritt fragt Klein nach den sozialpsychologischen Wurzeln dieser Entwicklung (Kapitel 2–4). Hier betont der Autor die Bedeutung von Gruppenidentitäten und diskutiert, wie diese aktiviert und so politisch nutzbar gemacht werden können. Eine Sportmetapher drängt sich auf: Traditionell seien Menschen Teil von mehreren Mannschaften gewesen und sich insofern in unterschiedlichen Konstellationen begegnet – mal als Verbündete, mal als Gegenspieler/innen. Nun aber, nach dem großen „sorting“ der vergangenen Jahrzehnte, sind nur noch zwei Mannschaften übrig geblieben, Team Red und Team Blue, und die Zugehörigkeit zu einer der beiden Mannschaften dominiert als „mega identity“ – ein Begriff, den Klein von der Politikwissenschaftlerin Liliana Mason übernimmt – beinahe alle Lebensbereiche. Damit aber ist die politische Auseinandersetzung zum existenziellen Kampf geworden. Denn hinter den Republikaner/innen hat sich nun jenes weiße, christliche, ländliche Amerika versammelt, das traditionell die gesellschaftliche Ordnung dominierte; vor dem Hintergrund eines fundamentalen demographischen und kulturellen Wandels aber fühlt diese Gruppe ihre Machtposition durch die multi-ethnischen, urbanen, tendenziell areligiösen Demokrat/innen bedroht (Kapitel 5).

Klein seziert ausführlich die Dynamiken, die in einer solchen Situation das politische und gesellschaftliche Geschehen bestimmen (Kapitel 6–8). Es bilden sich getrennte Medien- und Informationslandschaften aus, die sehr stark auf die Aktivierung und Bestätigung politischer Identitäten setzen; Wahlen werden nicht mehr in der vermeintlich schwindenden Mitte, sondern durch die Mobilisierung der Basis gewonnen; lokalpolitische Fragen treten in den Hintergrund und werden vom übergeordneten Kampf um die Macht in Washington verdrängt – die Polarisierung sei, so diagnostiziert Klein, mittlerweile tatsächlich bis in die letzten Winkel des Landes vorgedrungen.

Ezra Klein hat ein Buch vorgelegt, nach dessen Lektüre man sehr vieles besser verstanden hat als vorher. Dabei stützt er sich auf ausgewählte Ansätze und Argumente aus einer ganzen Reihe von wissenschaftlichen Disziplinen, die mit beeindruckender Klarheit eingeführt werden. So gelingt es ihm gewissermaßen nebenbei, den Forschungsstand der politik- und sozialwissenschaftlichen Polarisierungsforschung sowie der sozialpsychologischen Untersuchung von Gruppenidentitäten zu destillieren. Zudem ist das Buch als Grundkurs „USA im frühen 21. Jahrhundert“ Gold wert. Es versammelt die wichtigsten Daten und Fakten zum amerikanischen Gemeinwesen, die aus einer breiten Sammlung von Umfragen, Erhebungen und Statistiken stammen, und zeichnet so ein detailliertes Bild von den Kräften, die auf das amerikanische Gemeinwesen wirken.

Klein formuliert einige zentrale Einsichten, die man sich unbedingt zu Herzen nehmen sollte. So warnt er eindringlich davor, den Begriff „Identitätspolitik“ bloß in pejorativer Weise auf die Forderungen marginalisierter Gruppen anzuwenden: Eine an den Anliegen der traditionell dominierenden Gruppen ausgerichtete Politik sei eben auch – weiße, christliche, patriarchale – „identity politics“. Zudem weist er überzeugend nach, dass es sich bei der Vorstellung, rassistische Haltungen seien die Folge von sozio-ökonomischen Notlagen, um einen Fehlschluss handelt. Die verfügbaren empirischen Untersuchungen deuten darauf hin, dass sich eine kausale Verbindung zwischen „racial“ und „economic anxiety“ kaum herstellen lässt – und dass die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage bei weißen Amerikanerinnen und Amerikanern sogar vielmehr in hohem Maße davon bestimmt wird, inwiefern sie sich durch kulturelle und demographische Veränderungen bedroht sehen.

Eine wesentliche Stärke von Why We’re Polarized liegt darin, dass Klein völlig frei von Nostalgie auf die amerikanische Zeitgeschichte blickt. Die im Polarisierungsdiskurs häufig anzutreffende Vorstellung, „früher“, als man sich noch verstanden und respektiert habe, sei alles besser gewesen, weist er überzeugend zurück. Denn der oft beschworene „Konsens“ etwa der 1950er-Jahre beruhte auch auf dem Einvernehmen beider Parteien, das rassistische Apartheid-System in den Südstaaten unangetastet zu lassen und die Exklusion weiter Teile der amerikanischen Bevölkerung von der politischen Teilhabe zu akzeptieren. Die politische „Polarisierung“ begann deshalb nicht zufällig, als sich die Demokratische Führung entschloss, die Bürgerrechtsgesetze der 1960er-Jahre durchzusetzen und sie diese Übereinkunft weißer Eliten somit aufkündigte. In gewisser Weise ist „Polarisierung“ somit der Preis, den die amerikanische Gesellschaft für echte Fortschritte in Richtung multi-ethnische Demokratie zu entrichten hatte.

Das grundsätzliche Problem mit Ezra Kleins Buch besteht darin, dass man sich bei der Lektüre bald fragt, ob der Autor das, was er beschreibt, eigentlich mit dem Begriff „Polarisierung“ angemessen erfasst. Gegen Ende macht Klein selbst deutlich, dass es sich nicht um eine Radikalisierung auf beiden Seiten des politischen Spektrums handelt, sondern eben nur auf der Rechten – die Demokrat/innen seien hingegen gegenüber der Versuchung, immer weiter nach links zu rücken, aufgrund ihrer politisch, ethnisch und kulturell viel heterogeneren Anhängerschaft weitgehend immun (Kapitel 9). Der Autor versucht diesem Umstand Rechnung zu tragen, indem er das Konzept der „asymmetrischen Polarisierung“ aufgreift: Eine Entwicklung also, die sich auf einer Seite viel stärker vollziehe als auf der anderen. Damit ist das Problem aber nicht recht gelöst, denn der Begriff „Polarisierung“, egal mit welcher Einschränkung versehen, legt den Fokus eben doch auf eine Bewegung von zwei Seiten hin zu den Extremen – und verführt insofern auch dazu, beide Seiten mehr oder weniger pauschal der Radikalisierung zu bezichtigen. Aber das, was Klein hier in der Sache überzeugend skizziert, ist damit gar nicht adäquat beschrieben: Es gibt eben kein liberales Äquivalent zu Fox News, die Demokrat/innen haben keinen Donald Trump, und zum Einfluss rechtsnationaler und reaktionärer Kräfte auf die Republikaner/innen findet sich im Kongress keine „linke“ Entsprechung. Hätte Klein den Begriff „Polarisierung“ weggelassen und stattdessen von der Rechtsradikalisierung der konservativen Bewegung gesprochen, wäre das analytisch viel präziser.

Zuletzt vermisst man in Why We’re Polarized ein Bewusstsein dafür, dass die „Polarisierung“ selbst eine Geschichte hat – dass die Vorstellung, das Land „polarisiere“ sich, seit nunmehr fünf Jahrzehnten die Selbstwahrnehmung dieser Gesellschaft geprägt und somit das Handeln der zeitgenössischen Akteur/innen maßgeblich beeinflusst hat. Statt die Rede von der Polarisierung bloß zu reproduzieren, wäre es dringend an der Zeit, sie selbst zum Gegenstand der Analyse zu machen und gründlich zu historisieren.1 Dennoch: Alle, die Amerika verstehen wollen, sollten Ezra Kleins Buch unbedingt lesen – und dabei aber hoffentlich nicht nur die im Einzelnen durchaus berechtigten Mahnungen vor den Gefahren der Polarisierung beherzigen, sondern dringend auch eine gesunde Skepsis gegenüber dem Allerklärungsanspruch des Polarisierungsnarrativs entwickeln.

Anmerkung:
1 Siehe zur historischen Kritik am Polarisierungsnarrativ ausführlich Thomas Zimmer, Reflections on the Challenges of Writing a (Pre-)History of the „Polarized“ Present, in: Modern American History 2 (2019), S. 403–408.

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