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Titel
Die Geschichtsbilder historischer Romane. Eine Untersuchung des belletristischen Angebots der Jahre 1913 bis 1933


Autor(en)
von Rüden, Stefanie
Reihe
Geschichtsdidaktische Studien 4
Erschienen
Anzahl Seiten
443 S.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Heike Talkenberger, Redaktion DAMALS, Leinfelden-Echterdingen

Historischen Romanen gilt ein eher skeptischer Blick von Historikerinnen und Historikern, vermuten sie doch – meistens zu Recht – dass hier der Unterhaltungswert, nicht die seriöse Geschichtsvermittlung im Mittelpunkt steht und der Verbreitung von Stereotypen der Vorzug vor Differenzierung gegeben wird. Dennoch sind die auch weiterhin auflagenstarken und kommerziell erfolgreichen historischen Romane ohne Zweifel ein wichtiger Baustein der Geschichtskultur einer Gesellschaft. Dies ist auch der Ansatzpunkt von Stefanie von Rüdens geschichtsdidaktischer Dissertation, die die Geschichtsbilder von historischen Romanen der Jahre 1913 bis 1933 untersucht. Damit wählt sie einen durch heftige Krisen und Umbrüche geprägten Zeitraum, in dem epochemachende historische Romane von Lion Feuchtwanger, Stefan Zweig, Heinrich Mann oder Alfred Döblin erschienen. Doch nicht dieser „hochkulturellen“ Literatur, die schon oft erforscht wurde, wendet sich die Autorin zu, sondern der Unterhaltungsliteratur. Dass von Rüden dies allerdings als neuen Ansatz bezeichnet, ist wenig nachvollziehbar, denn schon seit den 1960er- und vermehrt seit den 1980er-Jahren erschienen einschlägige literaturwissenschaftliche Untersuchungen zur „Trivialliteratur“1, vom literatursoziologisch orientierten Klassiker Rudolf Schendas „Volk ohne Buch“ (1970) ganz zu schweigen.2 Von Rüden kritisiert den Begriff „Trivialliteratur“, da er nicht exakt definiert sei. Dass sie deshalb auf diese Untersuchungen überhaupt nicht zurückgreift, erscheint allerdings wenig zielführend, denn schon in dieser Forschung wurde die Bedeutung von massenhaft rezipierter Unterhaltungsliteratur für die Vorstellungswelt von Lesern klar herausgestellt.3

Innovativ ist dagegen die Methode, mit der von Rüden ihren Untersuchungsgegenstand konstituiert, wobei sie sich an einem literaturwissenschaftlichen Projekt der Universität Innsbruck orientiert. Von Rüden nimmt die Verlagsproduktion zum Maßstab, davon ausgehend, dass Verlage nur die Titel produzieren, die wirtschaftlichen Erfolg versprechen, weil sie den „Zeitgeist“ treffen. Deshalb hat sie eine Vollerhebung der Produktion historischer Romane nach dem Katalog der deutschen Nationalbibliothek Leipzig für die Stichjahre 1913, 1918, 1923, 1928 und 1933 durchgeführt. Ergebnis ist eine Datenbasis von fast 600 Titeln. Danach wählte sie je zwei „typische Romane“ für die Stichjahre auf der Grundlage einer „bibliometrischen Analyse“ aus. Parameter dieser Analyse sind der Anteil der historischen Romane an der Verlagsproduktion, die Themen der Romane, die Aufmachung der Bände und die Autoren. Die Auflagenhöhe bzw. Bestsellerlisten sind kein Kriterium, da zuverlässige Zahlen für den gesamten Untersuchungszeitraum nicht zur Verfügung stünden.

Erstes Ergebnis der Analyse ist, dass die Publikation historischer Romane im Jahr 1913 mit 15,5 Prozent einen später nie mehr erreichten Höhepunkt der Gesamtproduktion einnahm. Thematisch fand eine Verschiebung statt: von eher auf das 19. Jahrhundert bezogenen Büchern im Jahr 1913 auf die Themen Mittelalter und Frühe Neuzeit nach 1918; offenbar wurde statt über die jüngste Vergangenheit mit ihren unmittelbareren Bezügen zur Gegenwart lieber etwas über fernere Zeiten gelesen. Von Rüden vermutet, dass Leser damit den Verunsicherungen ihrer Zeit entfliehen wollten.

Von Rüden bestimmt zehn repräsentative Romane, die sie auf das in ihnen verbreitete Geschichtsbild hin analysiert. Sie bezeichnet ihre an Hayden White orientierte Analysemethode, die Inhalt, Schlüsselszenen, Sprache und Gesamttendenz der Romane charakterisiert, als „geschichtsdidaktisch-hermeneutisch“. Sodann werden die Romaninterpretationen vor dem Hintergrund der „Gegenwartsrealität potentieller Leser“ (S. 362), das heißt der historischen Entwicklungen in der Weimarer Republik, gewichtet.

„Flammensturm“ von August Friedrich Krause (Egon Fleischel Verlag, Berlin), und „Gräfin Potocka“ von Willy Norbert (Otto Beckmann Verlag, Berlin) stellen Napoleon und die Befreiungskriege in den Mittelpunkt, ein Thema, das 1913 überproportional häufig vertreten war. In beiden Büchern wird Frankreich als „Erbfeind“ dargestellt, dazu tritt bei „Gräfin Potocka“ ein negatives Polen-Bild, dem ein deutsches Nationalgefühl und die „Volksgemeinschaft“ gegenübergestellt werden. Napoleon erscheint als gefühlskalter Despot und triebgesteuerter Vergewaltiger. Dieses Ergebnis widerspricht der bisherigen Forschungsmeinung, die von einem auch in Deutschland positiv besetzten Napoleon-Mythos ausgeht. Die triviale belletristische Massenware folgt nach von Rüden solchen Differenzierungen nicht, weil sie vor allem die Lesererwartungen befriedigen wolle.

„Ein livländisch Herz. Katharina I. von Russland“ von Hans Freimark (Bong-Verlag, Berlin) sowie „Das große Jagen“ von Ludwig Ganghofer (Grotesche Verlagsbuchhandlung, Berlin) greifen in die Frühe Neuzeit zurück. Das Analyseergebnis für 1918 zeigt bei Freimarks Buch ein „eher linkes“ Plädoyer für Verhandlungen und Frieden, Kirchenkritik, Reformbereitschaft und Offenheit gegenüber ausländischem Wissen, dies alles exemplifiziert an der sehr positiv gezeichneten Romanheldin Katharina I. Erfolgsautor Ganghofer dagegen propagiert für die „rechte“ Leserschaft die Einheit aller Deutschen unter einem idealisierten Monarchen und schreibt gegen die „Asphaltliteratur“ der Metropolen, allerdings für religiöse Toleranz. Beide Romane haben einen optimistischen Grundton, der im letzten Kriegsjahr Hoffnung auf eine bessere Zukunft erweckt.

Im Krisenjahr 1923 entsprechen „Das schwarze Weib“ von Julius Wolff (List Verlag, Leipzig, zuerst 1894 erschienen) und „Albrecht Dürer“ von Hermann Clemens Kosel (Bong-Verlag, Berlin) der nun bei den Verlagen dominierenden thematischen Vorliebe für die Reformation, der Lieblingsprojektionsfläche des Nationalprotestantismus. Beide Romane empfehlen einen Rückzug ins private Glück und damit eine Flucht vor den Problemen der Gegenwart. Bei Kosel ringt Dürer um ein autonomes Künstlertum, während „die schwarze Hofmännin“ im Kampf um die Rechte der Unterpriviligierten im Bauernkrieg stirbt; die Einzelne kann die Gesellschaft nicht verändern.

Für das Jahr 1928 wird wieder ein Roman des Autors Willy Norbert ausgewählt, diesmal „Barberina“ (Neufeld & Henius, Berlin), was angesichts des Bestrebens, eine Repräsentativität zu erreichen, unglücklich erscheint. Dieses Buch ebenso wie die Biographie über Friedemann Bach von Albert Emil Brachvogel (Theodor Knaur Nachf., Berlin) spiegeln in der Hochphase der „Goldenen Zwanziger Jahre“ nicht „das neue Lebensgefühl der Zeit“ (S. 307) wider. Sie gestalten vielmehr ein idealisiertes Bild Friedrichs des Großen als Gegenentwurf zur Weimarer Republik und stellten dem ein negatives Frauenbild, das der „femme fatale“, entgegen. Die „neue Frau“, angeblich nur ein Phänomen der Avantgarde, habe eine Verunsicherung erzeugt, die durch die Bestätigung des Gewohnten befriedet wurde. Dass beide schon früher entstandenen Bücher (1913/1858!) wiederaufgelegt wurden, belege, dass die Verlage „die Menschen […] weiter mit veralteten Denkmustern und Geschichtsbildern“ bedienten (S. 307).

Die für 1933 herausgegriffenen Romane „Der Rosskamm von Lemgo“ von Albrecht Schaeffer (Deutsche Buch-Gemeinschaft, Berlin) und „Stadt in Not“ von Egid Filek (Die-Buchgemeinde, Berlin) setzen sich schließlich beide im Jahr der Machtübernahme kritisch mit dem Nationalsozialismus auseinander. Schaeffer schrieb einen Antikriegsroman, Filek stellt sich mit einem differenzierten Heimatbegriff aufkeimender Fremdenfeindlichkeit entgegen. Von Rüden zeigt sich erstaunt über das Fehlen von nationalsozialistischen Inhalten und vermutet eine bewusste Entscheidung der Verleger (der konservativen Buch-Gemeinschaft bzw. der eher linken Buchgemeinde) gegen die NS-Ideologie.

Trotzdem stellt von Rüden in ihrem Fazit eine insgesamt konservative Veröffentlichungspraxis der führenden Verlage fest. Populäre Geschichtsromane hätten vor allem der Unterhaltung und Zerstreuung gedient (S. 391). Danach schließt sie generell auf „den Buchmarkt“, der „Projektionsflächen konservativer Denkmuster“ produziert habe (S. 401). Dieses Pauschalurteil überrascht, ebnet es doch zuvor erarbeitete Differenzierungen bei der Romananalyse wieder ein. Die Tatsache etwa, dass Freimark eine den Männern weit überlegene Herrscherin beschreibt, deckt sich ebenso wenig mit diesem Befund wie das neue Heimatbild von Filek. Festzuhalten ist von Rüdens beachtliche methodische Leistung, doch ihre Mutmaßungen über den „Geschmack“ bzw. die Bedürfnisse der Leser bleiben recht vage. Es wäre daher sinnvoll, zumindest dort, wo es möglich ist, die Verkaufszahlen sowie die Rezeption von historischen Romanen in den Blick zu nehmen. Die Leser- bzw. Wirkungsforschung könnte die Vermutungen auf eine besser gesicherte Grundlage stellen.4

Anmerkungen:
1 Peter Domagalski, Trivialliteratur. Geschichte, Produktion, Rezeption, Freiburg 1986; Peter Nusser, Trivialliteratur, Stuttgart 1991.
2 Rudolf Schenda, Volk ohne Buch. Studien zur Sozialgeschichte der populären Lesestoffe 1770–1910, 3. Aufl., Frankfurt am Main 1988, bes. S. 22–26; siehe auch Rudolf Schenda, Die Lesestoffe der kleinen Leute. Studien zur populären Literatur im 19. und 20. Jahrhundert, München 1976.
3 Schenda, Volk; zu methodologischen Überlegungen siehe S. 27–31.
4 Werner Faulstich, Bestandsaufnahme Bestseller-Forschung. Ansätze – Methoden – Erträge, Wiesbaden 1983. Für die Zeit des Nationalsozialismus siehe Christian Adam, Lesen unter Hitler. Autoren, Bestseller und Leser im Dritten Reich, Berlin 2010; zuletzt Wolfgang Beutin, Zur Wirkungsweise massenhaft verbreiteter Unterhaltungsliteratur, Berlin 2015.

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