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Titel
Handlungsstrukturen. Die Standesherrschaft Thurn und Taxis in der Epochenschwelle zum 19. Jahrhundert unter Fürst Maximilian Karl


Autor(en)
Doll, Eva-Carolina
Reihe
Thurn und Taxis Studien - Neue Folge 8
Erschienen
Anzahl Seiten
X, 235 S.
Preis
€ 29,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anne Sophie Overkamp, Seminar für Neuere Geschichte, Universität Tübingen

Kaum einer kennt sie nicht, die Fürstenfamilie von Thurn und Taxis, die bis zum Untergang des Alten Reiches die Reichspost besorgte und der es dank dieses Dienstes gelang, bis in den europäischen Hochadel aufzusteigen. Umso interessanter erscheint es, sich der Geschichte dieser Familie in den Zeiten der „Doppelrevolution“ (Eric Hobsbawm) anzunehmen und zu untersuchen, wie diese auf die Herausforderungen der grundlegenden Umbrüche der Zeit um 1800 reagierte, welche für die Familie nicht zuletzt den Verlust des sehr lukrativen Postwesens bedeutete. Eva-Carolina Doll widmet sich in ihrer an der Universität Regensburg entstandenen Dissertation nun dieser Frage mit einem besonderen Augenmerk auf die Handlungslogiken der Familienangehörigen.

Die Arbeit setzt ein mit einer Diskussion der auch im Titel genannten „Epochenschwelle“. Dieses Konzept dient Doll dazu, gegen lineare Modernisierungsvorstellungen zu argumentieren und vielmehr auf das „Ineinander oder Nebeneinander“ des historischen Wandels abzuheben, was sie im Folgenden an den verschiedenen Handlungslogiken der Thurn und Taxis aufzuzeigen sucht. Wenngleich hiergegen erst einmal nichts einzuwenden ist, erscheint die theoretische Grundlage des Konzeptes doch etwas dünn, zumal das Vor- und Nachher dieser Epochenschwelle nicht klar benannt wird. Das im Titel ebenfalls genannte, jenseits der Epochenschwelle liegende 19. Jahrhundert wird nicht genauer charakterisiert, sondern bleibt eine temporale Kategorie. Und angesichts der Tatsache, dass etliche der in der Arbeit untersuchten und der Epochenschwelle zugeschriebenen Handlungslogiken bis in die 1860er-Jahre reichen, stellt sich generell die Frage, ob „19. Jahrhundert“ hier eine sinnvolle Kategorie darstellt oder ob es nicht doch eher um die „Moderne“ geht, die es dann allerdings auch genauer zu beschreiben gelten würde.

Im zweiten Kapitel widmet sich Doll den „Veränderungen in Normgefüge und Umfeld“ und beschreibt so näher das Feld, innerhalb dessen sich die von ihr beobachteten Handlungen vollzogen. Vor allem den juristischen Veränderungen widmet sie einige Aufmerksamkeit. Die Fürstenfamilie verfügte in verschiedenen Teilen des Alten Reiches über Grundbesitz mitsamt den dazugehörigen Herrschaftsrechten und war so von den Veränderungen auf der politischen Landkarte 1806 und 1815 gleich mehrfach betroffen. Die in einer Tabelle im Anhang zusammengestellten Erlasse zwischen 1800 und 1870 machen deutlich, wie veränderlich die Stellung der Thurn und Taxis als ehemalige Standesherren und mediatisierte Fürsten war und welche Bemühungen in den verschiedenen Staaten unternommen wurden, die Fürstenfamilie zu integrieren. Es lag nicht zuletzt an diesen unterschiedlichen Regelungen, dass die Thurn und Taxis die nun bayrische Stadt Regensburg als ihren Hauptsitz wählten. Schließlich blieben in Bayern viele ihrer Privilegien als Standesherren unangetastet.

Ebenfalls zu den Präliminarien gehört das dritte Kapitel, das einen kurzen Abriss der Geschichte der Thurn und Taxis bietet. Etwas detaillierter wird der im Titel genannte Fürst Maximilian Karl (1802–1871) vorgestellt, allerdings bleibt es bei einer eher skizzenhaften Schilderung seiner Ausbildung und der ihm zugeschriebenen Charakterzüge, ohne dass dies bereits analytisch fruchtbar gemacht wird. Während seiner Regentschaft wurden entscheidende Weichen gestellt, nämlich die regionale Orientierung der Familie und die Umstellung der betriebenen Geschäfte – 1867 wurde der endgültige Postabtretungsvertrag unterzeichnet und die Thurn und Taxis konzentrierten sich in der Folge auf ihre Rolle als Großgrundbesitzer.

Kapitel vier bis sechs schließlich widmen sich den verschiedenen Handlungsmustern. Doll unterscheidet drei Muster: ein konservativ-konservierendes, ein umdeutend-experimentierendes und, als Sonderform des experimentierenden Musters, die Entkopplung bzw. den Rückzug ins Private. Dem ersten Muster wird mit 60 Seiten am meisten Platz eingeräumt, Muster zwei wird auf 40 Seiten verhandelt und Muster drei schließlich wird auf nur 20 Seiten untersucht. Die Untersuchung basiert auf dichtem Quellenmaterial, das – etwas irritierend – in der Einleitung kaum, aber dafür in der ersten Fußnote zu Kapitel 3 etwas ausführlicher erwähnt wird. Dafür sind im Anhang alle benutzen Quellen akribisch und unter voller Nennung der internen Aktenbezeichnung genannt.

Konservativ-konservierendes Verhalten beobachtet Doll vor allem auf den Feldern Politik und Wirtschaft. Hier ging es den Thurn und Taxis nach 1800 vor allem darum, ihren einmal erreichten Stand zu wahren. In Bayern konnten sie sich beispielsweise als Ersatz für das verlorengegangene Amt des Prinzipalkommissars das Ehrenamt des Kronoberstpostmeisters sichern, das als einziges Ehrenamt erblich war. Vom politischen Parkett hielt sich Maxmilian Karl dagegen weitgehend fern und nahm an den Landtagen nur teil, wenn die Krone in anstehenden Verhandlungen auf Unterstützung durch konservative Kräfte angewiesen war. Was die wirtschaftlichen Belange der Familie angeht, so nimmt Doll die Investitionen in die Eisenbahn als Indikator für die Risiko- und Innovationsbereitschaft der Familie. Da diese weitgehend ausblieben, dient ihr das geringe Aktienportfolio als Beleg für die eher konservative Wirtschaftsweise der Familie. Um hier zu einer abschließenden Wertung zu gelangen, hätte es sich angeboten, auch die agrarischen Unternehmungen der Familie genauer in den Blick zu nehmen. Schließlich ist es auch möglich, ein dynamisch wirtschaftender Landwirt zu sein und sich auf diesem Feld technische und wissenschaftliche Neuerungen anzueignen.

Überzeugend gelingt es Doll im anschließenden Kapitel, die Loyalitätsbezeugungen und Dienste für das bayrische Königshaus als umdeutend-experimentierendes Verhalten und damit im Rahmen von Handlungsmuster zwei zu fassen. Obwohl der Vasallendienst obsolet war, wandten die Thurn und Taxis bekannte Muster weiter an, indem sie etwa als Gastgeber fungierten oder ihre Reit- und Fahrpferde zur Verfügung stellten. Sie sicherten so eine enge Verbindung zum Herrscherhaus, die im Übrigen noch durch die Heirat des Erbprinzen Maximilian Anton mit der bayrischen Herzogin Helene verstärkt wurde. Deutlich weniger überzeugend bleiben dagegen die Ausführungen zur Erziehung der Kinder, vor allem weil diese ohne jeden Kontext dargestellt wird – das betreffende Kapitel 4.2.4 kommt bis auf eine Nennung zum adligen Bildungsprogramm in der Frühen Neuzeit ohne jede Sekundärliteratur aus, die über die Thurn und Taxis hinausführen würde. Generelle Trends im Bildungswesen, in die das sich verändernde Thurn und Taxische Bildungs- und Erziehungsprogramm im Übrigen nahtlos einfügen, bleiben völlig außen vor. Ohne Bezugnahme auf das die Handlungslogiken bestimmende Feld des allgemeinen Erziehungswesens greifen die vorgelegten Schlussfolgerungen am Ende zu kurz.

Das dritte vorgestellte Handlungsmuster beruht weitgehend auf der Untersuchung der nicht standesgemäßen Eheschließung Maximilian Karls mit der Freiherrin Wilhelmine von Dörnberg und der Trauer des überlebenden Ehemannes nach dem frühen Tod seiner Ehefrau. Die Verbindung zwischen den beiden wurde aus Neigung und gegen den Willen der fürstlichen Familie geschlossen und nahm unter allen Eheschließungen der Familienmitglieder im 18. und 19. Jahrhundert insofern eine Sonderrolle ein. Auch die Trauer Maximilian Karls folgte nicht den üblichen Mustern, wurde doch auf das öffentliche Trauergeleit für seine Frau verzichtet, dafür jedoch die Trauerperiode nach und nach auf zwölf statt der üblichen neun Monate gestreckt. Ob sich hier, wie auch in der auf den privaten Geschmack Maximilian Karls hin angelegten Kunstsammlung, die Familie Thurn und Taxis wirklich „zunehmend einen privaten Bereich schuf, der von der Außenwelt abgeschottet war“ (S. 169), scheint auf jeden Fall nicht eindeutig erwiesen. Wie Doll selbst angibt, muss Maximilian Karl vielmehr als Sonderfall gewertet werden (S. 170). Dies gilt dann aber auch für die hier beschriebenen Handlungsmuster.

Insofern bleibt fraglich, ob sich die von Doll entwickelte Methodik wirklich auf andere Epochen und Familien übertragen lässt, um so, wie die Herausgeber der Reihe in ihrem Vorwort meinen, den Anpassungsstrategien adliger Familien generell auf die Spur zu kommen. Dolls Arbeit selbst bleibt stark der Binnenlogik der Thurn und Taxis verhaftet. So betont sie noch in ihrem Fazit, dass es nicht darum gegangen sei, „das Muster eines Adligen der Zeit oder die Abweichung von diesem zu entwerfen“ (S. 178, FN 7). Sowohl die fehlende Kontextualisierung der Ergebnisse als auch die mangelnde Einbettung in größere Forschungszusammenhänge machen aus dieser Arbeit ein Werk, das für die Geschichte der Thurn und Taxis sicherlich neue Facetten erarbeitet hat, das aber der Adelsgeschichte allgemein eher wenig zu sagen hat.

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