B. Kerski u.a. (Hrsg.): Przyjaźń nakazana? [Verordnete Freundschaft?]

Cover
Titel
Przyjazn nakazana? [Verordnete Freundschaft?]. Stosunki między NRD i Polską w latach 1949-1990 [Beziehungen zwischen der DDR und Polen in den Jahren 1949-1990]


Herausgeber
Kerski, Basil; Kotula, Andrzej; Ruchniewicz, Krzysztof; Wóycicki, Kazimierz
Erschienen
Wrocław 2009: Atut
Anzahl Seiten
484 S.
Preis
€ 20,79
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katarzyna Stoklosa, Lehrstuhl für Europastudien, Technische Universität Dresden

Die Beziehungen zwischen der DDR und Polen hat man lange Zeit als „verordnete Freundschaft“ bezeichnet.1 Als solche wurden sie vor allem unter polnischen Wissenschaftlern nicht für untersuchungswert gehalten. Nur schrittweise näherte man sich den zahlreichen Kontakten, die in den verschiedenen Phasen der Grenzöffnung zwischen ostdeutschen und polnischen Bürgern zustande kamen.2 Ersten Studien über das ostdeutsch-polnische Verhältnis wurden von der deutschen Seite begonnen. Diese Initiative bewegte etwas später auch die polnische Seite, Forschungen über dieses vielschichtige Verhältnis aufzunehmen.

Der vorliegende Band ist eine erweiterte und aktualisierte Version einer bereits 2003 – zuerst in polnischer und kurz darauf in deutscher Sprache – herausgegebenen Sammlung, worauf die Herausgeber in ihrer Einleitung auch hinweisen.3 Bedauerlich ist freilich, dass in der Einleitung die Inhalte des Vorgängerbandes nicht ausführlicher dargestellt werden. Das neue Buch ist in sechs Abschnitte gegliedert, die aber nicht mit eigenen Titeln versehenen sind. Teil I stellt eine Art Einführung in das Thema der beiderseitigen Beziehungen dar. Basil Kerski und Kazimierz Wóycicki unterstreichen zunächst die eigenständige Bedeutung der DDR-Geschichte, da in Polen die Tendenz besteht, deutsche Geschichte im Wesentlichen als Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zu verstehen. Wóycicki betont: „Man kann die Zeitgeschichte Deutschlands nicht ohne die Kenntnisse der DDR-Geschichte verstehen.“ (S. 29)

Im zweiten Teil werden verschiedene Perioden der staatlichen wie der gesellschaftlichen Beziehungen zwischen Polen und der DDR behandelt. Ludwig Mehlhorn, Burkhard Olschowsky und Mieczysław Tomala analysieren die Zusammenarbeit auf der staatlichen und der Parteiebene. Mehlhorn fragt nach Gründen für die gegenseitige Ignoranz und stellt fest, dass man Freundschaft nicht verordnen könne (S. 37). Olschowsky und Tomala schildern gelungene Beispiele der Nachbarschaftsbeziehungen zwischen den beiden sozialistischen Staaten. Zu solchen gehörten die Einführung des Pass- und Visafreien Grenzverkehrs und die Grenzöffnung im Januar 1972. In dieser Zeit seien zahlreiche Bekanntschaften und Freundschaften von ostdeutschen und polnischen Bürgern geknüpft worden, wofür die etwa 10.000 zwischen ihnen geschlossenen Ehen sprechen (Olschowsky, S. 52). Zudem hatten die Vertriebenen in der DDR als erste die Möglichkeit, ihre ehemaligen Häuser östlich von Oder und Neiße zu besuchen. Trotz dieser positiven Begegnungen sei es auch in der Zeit der „offenen Grenze“ (1972-1980) – wegen der wirtschaftlichen Engpässe in beiden sozialistischen Ländern – zu Spannungen im gegenseitigen Verhältnis gekommen. Unter den DDR-Bürgern wäre das Bild von den Polen entstanden, die ihre Geschäfte leer kauften. Der Stereotyp der „polnischen Wirtschaft“ habe zugenommen.

Monika Tantzscher beleuchtet die Zusammenarbeit zwischen den Geheimdiensten der VR Polen und der DDR, die 1956 begann. In den 1970er-Jahren sei sie wegen der Ostpolitik der Bundesrepublik Deutschland intensiviert worden. Nach der Einführung des Kriegszustandes habe das MfS den polnischen Geheimdienst bei der Bekämpfung der Solidarność-Bewegung unterstützt. Jan Olaszek schildert in seinem Beitrag die Flucht von DDR-Bürgern über Polen in den Westen im Jahre 1989. Die Tatsache, dass diese Route nicht so häufig genutzt wurde wie die Flucht von DDR-Bürger über die Tschechoslowakei, begründet der Autor mit der geografischen Lage Polens, aber auch damit, dass die Beziehungen zwischen den Oppositionellen in der DDR mit denen in der Tschechoslowakei intensiver gewesen wären als zu denen in Polen.

Dem bilateralen Oppositionsthema, das auch in anderen Buchteilen behandelt wird, widmen sich Wolfgang Templin, Piotr Zariczny und Stefan Garsztecki. Obwohl es überwiegend Unterschiede gegeben habe, stellt Zariczny auch Gemeinsamkeiten fest: Widerstand gegen diktatorisches Regime, Zivilcourage, Widerstand und Solidarität (S. 249). Garsztecki kommt in seinem Beitrag zu dem Schluss, dass die Kontakte zwischen der ostdeutschen und der polnischen Opposition eher sparsam gewesen seien. Das Interesse für den Nachbarn von der anderen Seite der Grenze sei nur schwach ausgeprägt gewesen. Dennoch habe die polnische Opposition für zahlreiche ostdeutsche Oppositionelle als Vorbild für einen gelungenen Widerstand gedient (S. 271). Wolfgang Templin konzentriert sich im vierten Teil auf kulturelle Einflüsse aus Polen auf ostdeutsche Oppositionelle. In den 1970er-Jahren hätten kulturelle Initiativen aus Polen einen Teil der jungen Generation in der DDR erreicht, aus der sich in den späten 1980er-Jahren dann nicht wenige Aktivisten der DDR-Opposition rekrutiert hätten. Polen habe für ostdeutsche Oppositionelle auch deshalb eine wichtige Rolle gespielt, weil man in Warschau und anderen großen Städten westdeutsche und sonstige westliche Literatur habe kaufen können – Bücher, die in der DDR verboten gewesen seien.

Zu der im dritten Buchteil präsentierten Mischung verschiedener Themen zählen Czesław Osękowskis und Elżbieta Opiłowskas Ausführungen über die ostdeutsch-polnischen Beziehungen in den Grenzregionen. Dariusz Wojtaszyn beschäftigt sich mit der Frage, ob die Hilfeleistungen für Polen seitens der DDR nach der Einführung des Kriegszustandes eine Herzensangelegenheit der Ostdeutschen oder vor allem Propaganda gewesen sei. Die Antwort kann nicht eindeutig ausfallen: Während die SED-Führung die Unterstützung nur zu propagandistischen Zwecken genutzt habe, hätten sich zahlreiche DDR-Bürger spontan und altruistisch an Hilfsaktionen beteiligt. Das sei dann der Partei sogar nicht mehr recht gewesen.

Auf das Thema „Kirche“ in beiden sozialistischen Staaten gehen Andrzej Grajewski, Justus Werdin, Theo Mechtenberg und Konrad Weiß ein. Grajewski vergleicht den Kampf der katholischen Kirche in Polen und der in der DDR gegen das kommunistische Regime und stellt überwiegend Unterschiede fest: In Polen habe die Kirche die Rolle eines Mittlers zwischen der Regierung und der Opposition gespielt und neue Kommunikationswege für die Regierungselite und die Vertreter der Oppositionsbewegung Solidarność geschaffen. Die katholische Kirche in der DDR habe dagegen solche Möglichkeiten nicht besessen. Ihre ohnehin schon schwierige Lage sei durch den Bau der Berliner Mauer im Juni 1961 zusätzlich erschwert worden. Nichtdestotrotz haben nach Grajewski beide katholischen Kirchen zu wichtigen demokratischen Veränderungen in Osteuropa im Jahr 1989 beigetragen. Werdin analysiert die Aktivitäten der ostdeutschen evangelischen Kirche in Polen. Trotz persönlicher Kontakte, die sich mit der Zeit als dauerhaft erwiesen hätten, sei die Politik der evangelischen Kirche in der DDR sehr viel mehr in Richtung West- als Osteuropa ausgerichtet gewesen.

Schließlich wird in diesem Teil des Sammelbandes auch das Thema der in der DDR lebenden Polen abgehandelt. Auf der Grundlage polnischer und deutscher Archivquellen schildert Krzysztof Ruchniewicz für die erste Hälfte der 1950er-Jahre die Aktivitäten polnischer Organisationen in der DDR. Heinrich Olschowsky stellt die Präsenz der polnischen Kultur in der Berliner Szene dar.

Der vierte Teil des Sammelbandes umfasst überwiegend Beiträge, die die kulturelle Zusammenarbeit zwischen Polen und der DDR behandeln. Der Beitrag des Dichters und Literaturkritikers Leszek Szaruga ist ein schöner persönlicher Bericht über seine literarischen Kontakte in der DDR – sein „erstes Ausland“ (S. 342), das er besucht habe. Hermann Schmidtendorf behandelt die Zusammenarbeit zwischen Musikern aus Polen und der DDR. Der Autor stellt fest, dass der Austausch überwiegend einseitig gewesen sei: Lediglich polnische Musiker hätten Auftritte bei den ostdeutschen Nachbarn gehabt, während Musiker aus der DDR nur bei einzelnen Jazzkonzerten in Polen beteiligt gewesen seien. Die meisten Kontakte zwischen ostdeutschen und polnischen Musikern seien wegen der offenen Grenze in den 1970er-Jahren entstanden.

Im Schlussteil wird ein Gespräch abgedruckt, das Basil Kerski mit den Laureaten des DIALOG-Preises 2009 – Ludwig Mehlhorn, Wolfgang Templin, Angelica Schwall-Düren und Władysław Bartoszewski – geführt hat. Hervorzuheben ist schließlich die von Dariusz Wojtaszyn kommentierte Bibliographie polnisch sprachiger Titel über die DDR-Geschichte und ostdeutsch-polnische Beziehungen.

Anmerkungen:
1 Vgl. z. B. Ludwig Mehlhorn, Zwangsverordnete Freundschaft? Zur Entwicklung der Beziehungen zwischen der DDR und Polen, in: Basil Kerski / Andrzej Kotula / Kazimierz Wóycicki (Hrsg.), Zwangsverordnete Freundschaft? Die Beziehungen zwischen der DDR und Polen 1949-1990, Osnabrück, 2003, S. 35-40.
2 Vgl. Helga Schultz (Hrsg.), Grenze der Hoffnung. Geschichte und Perspektiven der Grenzregion an der Oder, Berlin 1999; Dagmara Jajeśniak-Quast / Katarzyna Stokłosa, Geteilte Städte an Oder und Neiße. Frankfurt (Oder)-Słubice, Guben-Gubin und Görlitz-Zgorzelec, Berlin 2000; Katarzyna Stokłosa, Grenzstädte in Ostmitteleuropa, Guben – Gubin 1945–1995, Berlin 2003.
3 Vgl. Basil Kerski / Andrzej Kotula / Kazimierz Wóycicki (Hrsg.), Przyjaźń nakazana? Stosunki między NRD i Polską w latach 1949-1990, Szczecin 2003; Deutsche Ausgabe: Zwangsverordnete Freundschaft? Die Beziehungen zwischen der DDR und Polen 1949-1990, Osnabrück 2003.

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