H. J Nicholson: The Knights Templar on Trial

Titel
The Knights Templar on Trial. The Trial of the Templars in the British Isles, 1308-11


Autor(en)
Nicholson, Helen J.
Erschienen
Anzahl Seiten
256 S.
Preis
£ 25 / € 29,53
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Heiduk, Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte, Universität Göttingen

Unzählige Mythen und Räuberpistolen um das Ende des Templerordens bilden seit Jahrhunderten ein unerschöpfliches Reservoir für phantastische Konstruktionen, von denen sich Versatzstücke längst zu einer Para-Historie verdichtet haben. Die seriöse Geschichtswissenschaft überlässt der Imagination viel Raum, vermag sie doch in vielen Punkten nicht zu einer mehrheitlich akzeptierten schlüssigen Deutung von Hintergründen und Geschehnissen im europaweiten Häresieprozess gegen die geistliche Rittergemeinschaft in den Jahren 1307-1312 zu gelangen. Lediglich mit Akzentverschiebungen diskutiert sie heute wie bereits im 19. Jahrhundert, ob die Vorwürfe der Verleugnung Jesu Christi, der Besudelung christlicher Symbole, der Idolatrie und sexueller Exzesse gegen die Ordensritter zumindest in Teilen zutreffen oder nicht. Die kontrovers ausgetauschten Argumente gründen dabei mitunter auf beständigen Zirkelschlüssen und methodisch ungenauer Quelleninterpretation. So richten viele Erörterungen einseitig den Fokus auf die Protokollserien der in Paris abgehaltenen Teilprozesse. Dabei konnten Studien zu Verfahren außerhalb der französischen Diözesen bereits wichtige Modifikationen im Gesamtbild vom Templerprozess erreichen und zu Vergleichen anregen, die wiederum die besondere Situation in Frankreich deutlich machen.1 Dass der vergleichende Blick auf die britischen Inseln sich künftig nicht mehr auf die unzulänglichen Textauszüge aus dem 18. Jahrhundert von David Wilkins2 stützen muss, ist der Verdienst der Expertin für die Geschichte der Kreuzzüge und geistlichen Ritterorden an der Universität von Cardiff, Helen Nicholson. Ihrer in zwei Bänden angekündigten kritischen Quellenausgabe hat sie mit dem hier angezeigten Buch bereits eine auswertende Studie vorweggeschickt. Mit dieser Untersuchung erfüllt die Autorin ein dringliches Forschungsdesiderat, wurde doch insbesondere der englische Templerprozess immer wieder als Kontrastfolie zum Hauptgeschehen in Frankreich befragt, ohne dass ausreichend gesicherte Erkenntnisse vorgelegen haben.

Ihre Auswertung gliedert Helen Nicholson in sieben Abschnitte. Im ersten Kapitel führt sie in den Prozessauftakt in Frankreich ein. Entlang der französischen Verfahren erörtert die Autorin einige grundsätzliche Probleme, die in der Forschung immer wieder diskutiert werden, wie beispielsweise Motivation und Steuerung des Prozesses von Seiten Philipps IV. und seiner Amtsträger und die Auswirkungen der systematischen Folter auf die Geständnisse, die die Inquisition in großer Zahl von den in Frankreich inhaftierten Templern erzielte. Wie die Verhaftungsaktionen auf den britischen Inseln verliefen, ist Gegenstand des zweiten Kapitels. Einen eigenen Abschnitt widmet die Autorin der Erfassung und Nutznießung der Templerbesitzungen durch den englischen König während der Prozessjahre. Die folgenden drei Kapitel behandeln minutiös die Haftbedingungen, die Prozessorganisation, die Verhöre und die Aussagen von Beschuldigten und Zeugen jeweils getrennt nach den Teilverfahren in England, Schottland und Irland. Die formale Beendigung der britisch-irischen Prozesse während einer Synode in London 1311 bildet den letzten Untersuchungsabschnitt. Eingerahmt werden die sieben Hauptkapitel von einer Einleitung, in der Helen Nicholson die Überlieferungs- und Forschungssituation zu den Templerverfahren auf den britischen Inseln vorstellt, sowie von einer Conclusio, in der sie ihre Beobachtungen bündelt und in Beziehung zur Verhandlung über den Gesamtorden auf dem Konzil von Vienne 1311/12 setzt. Zwei sehr informative Appendices listen sämtliche in den Prozessprotokollen namentlich erfassten Templerbrüder und Templerbesitzungen auf den Inseln auf, einschließlich ihres Verbleibs nach dem Prozess, unter Angabe der historischen Quellen. Abgerundet wird die ansprechende Ausstattung des Buches durch ein ausführliches Orts- und Personenregister sowie sehr informative Karten und Photographien von den Überresten der Schauplätze der Templergeschichte. Vermutlich den verlegerischen Kalkulationen sind die mageren Literaturhinweise am Ende des Anhangs geschuldet, die leider nicht die ausführliche Forschungsdokumentation aus den Anmerkungen versammeln.

Während Helen Nicholson aus der Fülle des Materials den Prozess auf den britischen Inseln souverän überblickt, schleichen sich in ihre Anmerkungen zum Geschehen in Frankreich einige unbefriedigende Vereinfachungen ein. Die Motivation des französischen Königs zur Anstrengung des Prozesses lediglich in fiskalischen Gründen zu suchen, greift zu kurz. Auch das aufgeworfene Verständigungsproblem angesichts einer lateinischen Protokollführung trifft nur begrenzt zu, wurden den Templern doch die Niederschriften zur Bestätigung in ihre jeweilige Muttersprache übertragen. Ein erstaunlicher Lapsus unterläuft der Autorin mit der Aussage, König Philipp habe mit den Verhaftungen der Templer in Frankreich seine Kompetenzen überschritten, da die Verfolgung von Häresien eine Angelegenheit der Geistlichkeit gewesen sei. Das Gegenteil trifft zu: Angesichts der vermeintlichen Bedrohung durch Häresien initiativ zu werden, stellt seit den Regelungen zur Ketzerbekämpfung des 13. Jahrhunderts eine zentrale Forderung an einen christlichen Herrscher dar. So entzündeten sich die Konflikte zwischen Papst und König während des Templerprozesses auch nicht am Gegenstand der Verhaftung, sondern am beständigen Unterlaufen der päpstlichen Autorität. Wie sehr alle Maßnahmen in Häresieverfahren von der Kooperation mit der weltlichen Macht abhängig waren, verdeutlicht Helen Nicholson an den britischen Beispielen selbst nachdrücklich.

Dass die ausgewerteten Quellen nicht nur juristische Abläufe und die Schuldfrage erhellen, sondern auch breitere Einblicke in die Sozial- und Vorstellungsgeschichte der Zeit geben, versteht Helen Nicholson geschickt einzubinden. Die Verfahrensmechanismen deutlich wie selten zuvor herausgearbeitet zu haben, stellt dennoch den Hauptverdienst der Untersuchung dar. So lassen sich päpstliche und königliche Anweisungen detailliert in ihrer Verschränkung verfolgen, ebenso die Vorverurteilung des Ordens durch die Prozessführung und -dokumentation der Inquisition. Als Maßgabe für die leitenden päpstlichen Legaten galt offensichtlich eine Bestätigung der Anschuldigungen, wie sie nach den ersten Verhören in Frankreich in umfänglichen Interrogatorien zusammengestellt worden waren. Den unter diesen Voraussetzungen als unbefriedigend anzusehenden Umstand, dass von 144 auf den Inseln verhafteten Templern lediglich drei selbst nach wiederholten Verhören und Folterungen Verfehlungen einräumten – und diese Geständnisse lassen sich nach Helen Nicholson plausibel auf individuelle prekäre Situationen zurückführen –, glichen die Inquisitoren durch Verkürzungen und Umgewichtungen aus: Die wenigen Geständnisse wurden in den Vordergrund gestellt, auf Hörensagen beruhende Gerüchte als auf Augenschein beruhende Zeugenaussagen ausgegeben, Aussagen zu Gunsten des Ordens systematisch unterschlagen und besonderes Gewicht den Argumenten konkurrierender Kleriker beigelegt. Die aufgrund der Geständnisse aus Frankreich vermutete Schuld der Templer konnte so als allgemein erwiesen angesehen und die britischen Ritterbrüder pauschal der Lüge bezichtigt werden. Das in London verhandelte abschließende Untersuchungsergebnis ergab dann folgerichtig auch keine Entlastung für die Templer, obwohl selbst nach den Rechtsmaßstäben des 14. Jahrhunderts keine ausreichenden Beweise gegen die meisten Ordensmitglieder vorlagen. Für die Beurteilung des gesamten Templerprozesses ziehen Helen Nicholsons Beobachtungen von den britischen Inseln erhebliche Folgen nach sich. Werden auch die französischen Prozessdokumente einer vergleichbar konsequenten Betrachtung nach Kontexten und Verfahrenslogiken unterzogen, geraten alle Befürworter eines wahren Kerns der Vorwürfe in Argumentationsnot: Sie müssen methodisch plausibel machen, was an den widersprüchlichen und teilweise absurden Aussagen im Verfahren wahr sein soll und warum die eingestandenen Verfehlungen offenbar nur in Frankreich regelmäßig auftraten, wenn die dort besonders rigide angewendete Denunzierung, Folter und Terrorisierung keine ausreichende „Motivation“ für die Geständnisse darstellen soll. Denn dass, wie kürzlich ins Feld geführt3, regionale Gepflogenheiten eine ausreichende Begründung dafür lieferten, vermag Helen Nicholson durch den Nachweis intensiver personeller Verflechtungen und regen Austausches zwischen französischen und englischen Ritterbrüdern über den Kanal hinweg ebenfalls zu widerlegen.

Helen Nicholson bezieht mit ihrer Untersuchung einen klaren und fundierten Standpunkt in anscheinend ewig diskutierten Forschungsfragen und verdient damit auch außerhalb von Spezialistenkreisen, deutlich vernommen zu werden. Lediglich der Umstand, dass die Edition der britischen Prozessdokumente nicht zeitgleich mit der auswertenden Studie vorliegt, bleibt dem Rezensenten am Ende noch bedauernd festzustellen.

Anmerkungen:
1 Wichtige Untersuchungen zu Regionalverfahren gegen die Templer außerhalb Frankreichs sind u.a.: Anne Gilmour-Bryson, The Trial of the Templars in the Papal State and the Abruzzi, Città del Vaticano 1982; Anne Gilmour-Bryson, The Trial of the Templars in Cyprus, Leiden u.a. 1998; Alan Forey, The Fall of the Templars in the Crown of Aragon, Aldershot 2001.
2 David Wilkins (Hrsg.), Conciliae Magnae Britanniae et Hiberniae, Bd. 2, London 1737.
3 Vgl. Jonathan Riley-Smith, Were the Templars Guilty? in: Susan Ridyard (Hrsg.), The Medieval Crusade, Woodbridge 2004, S. 107-124.