Titel
The Cognitive Challenge of War. Prussia 1806


Autor(en)
Paret, Peter
Erschienen
Anzahl Seiten
176 S.
Preis
$ 22,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jürgen Luh, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg

2008 hat Peter Paret, Professor Emeritus of Modern European History at the Institute for Advanced Study in Princeton, die „Lees Knowles Lectures” am Trinity College Cambridge gehalten. Die Vorlesungsreihe, die Blickpunkte der Militärwissenschaft und Militärgeschichte beleuchtet, wurde 1915 ins Leben gerufen. Vorgetragen haben in den vergangenen Jahren unter anderen Geoffrey Parker (1984), John Keegan (1986), Hew Strachan (1995) oder David Parrott (2004). Viele Ideen und Diskussionen sind durch die Lees-Knowles-Vorträge angeregt worden.

Paret hat sich in seiner vierteiligen Vorlesung die Frage vorgelegt, wie Armee und Gesellschaft auf Innovationen im Kriegswesen und Krieg reagieren. Als sehr guter Kenner dieser Zeit hat er sich auf eine Hauptaktion konzentriert: „The historical episode I want to address is the war of 1806 between France and Prussia and some of its consequences.“ (S. 5) Seine Studienobjekte sind die preußische Armee und die preußische oder besser die, wenn man die von Paret gewählten Beispiele genau anschaut, preußisch-deutsche Gesellschaft zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts. Auf welche Weise und wie intensiv haben sie sich mit den militärischen Innovationen, die bei Jena und Auerstedt den französischen Soldaten den Sieg über die preußischen Truppen brachten, auseinandergesetzt?

Um diese und damit zusammenhängende Fragen zu beantworten, skizziert Paret in der ersten Vorlesung, und damit im ersten Kapitel, „Two Battles“ (S. 1-32), den Feldzug von 1806, das Vorgehen der Franzosen und die Schwierigkeit der Preußen, diesen beizukommen. Es ist eine sehr gelungene, auf den Punkt geschriebene, gut und verständlich zu lesende Zusammenfassung der militärischen Bewegungen und der Ideen, die hinter diesen standen. Parets Schlussfolgerung: „In 1806 the French were the better integrated and mobile force, against which the less flexible and slower Prussians with their uncertain strategic concepts, would not necessary lose but were at disadvantage. When Brunswick [Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig, der preußische Befehlshaber] rejected a strategy based on maneuver rather than battle and moved against the French before they were assembled, his army could not respond.” (S. 28)

Im zweiten Kapitel, „Violence in Words and Images“ (S. 33-71), wendet Paret sich den Reaktionen auf die verheerende Niederlage in Druckgraphik, Literatur und Malerei zu, welche „the extension of war to all classes of society“ anzeigen, „an expansion that created a new environment for policy and theory“ (S. 8). Untersucht werden vier Graphiken: zwei von Christian Gottfried Geissler („Französische Infanterie zieht in Leipzig ein“, 1807 und „Straßenszene in Lübeck“, 1806-1807), ein Blatt von Jacques François Swebach („Der Tod des Prinzen Louis Ferdinand“, 1807) und ein Blatt eines unbekannten Künstlers („Rettung der Fahnen“, ebenfalls von 1807). Danach geht Paret auf Schillers Drama „Wallensteins Lager“ ein und auf den „Prinzen von Homburg“ von Kleist, um sich schließlich Caspar David Friedrichs Gemälde „Der Chasseur im Walde“ zuzuwenden. Das Ergebnis: Die Bilder und Stücke der Künstler und Literaten hätten geholfen, „to break down the social and emotional isolation of war, that fort the middle classes had been part social fact, part cultural hope in the years before the French Revolution“ (S. 68), und sie machten deutlich, dass der Krieg nun nicht mehr nur die militärische Elite, die Landbevölkerung und die gemeinen Soldaten betraf. Nationalismus und Wehrpflicht hätten den Krieg zu jedermann gebracht. „The images, […], the plays, and Friedrich’s painting reflect and reinforce this expansion.“ (S. 68)

In seiner dritten Vorlesung, dem dritten Kapitel des Buches, „Responses and Reform“ (S. 72-103), reflektiert Paret die politische und staatlich-institutionelle Reaktion in Preußen auf die Niederlage von Jena-Auerstedt. Im Mittelpunkt stehen die militärischen Reformen, die entlang der Gedanken, Vorschläge und Umsetzungen Scharnhorsts und Clausewitz’ vorgestellt und diskutiert werden. Aber auch die Rolle von König Friedrich Wilhelm III. wird in ein versöhnlicheres Licht gerückt. Er sei zwar ein Mann ohne große Talente gewesen, dickköpfig, sehr konservativ, auf Details fixiert und argwöhnisch gegenüber allen Beratern. Seine Furcht, nur eine Marionette Napoleons zu sein, erwies sich aber als sein Beitrag zu den Reformen. Denn dadurch hätte er Veränderungen auch gegen seine eigentliche Überzeugung zugestimmt. Alles in allem, so Parets Bilanz, führte die Niederlage von 1806 in der preußischen Armee zu Veränderungen in der Organisation, der Verwaltung, der Offiziersausbildung, der Taktik und der Operationsführung. Die Einebnung der Standesunterschiede sei jedoch nur teilweise gelungen. „Turning the regular army into an institution more closely linked with all segments of the population meant essentially expanding the obligation of military service, and changing its motivation. Service to the nation became the new appeal, but the old authoritarian system remained, only now with an added justification.” (S. 102)

Die vierte und letzte Vorlesung, das vierte Kapitel des Buches (S. 104-143), hat einen etwas anderen Fokus. Sie betrachtet die preußische Niederlage nicht mehr im engen Zusammenhang von Gesellschaft, Kultur und Militär, sondern sieht unter der Überschrift „The Conquest of Reality by Theory“ rein auf die Reaktion eines einzelnen Mannes: Clausewitz. Zwar geht Paret als Folie eingangs auch auf die Gedanken Jominis zu Krieg und Kriegsführung ein, doch ist es die Perspektive von Clausewitz, die ausführlich angeführt wird. Paret, der große Clausewitz-Biograph, stellt in knapper Form vor, wie Jena und Auerstedt Clausewitz’ Denken beeinflusst haben, welche Konsequenzen er aus diesen Niederlagen zog. „By studying particular phenomena, he comes to recognize the general characteristics of war, which in turn leads to a better understanding of the particulars.“ (S. 129)

Parets Buch folgt dem Leitbild der „Lees Knowles Lectures“. Es ist eine souveräne Studie, die dem Leser eine Vielzahl von Anregungen bietet.