D. Werberg: Der Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten

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Titel
Der Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten. Eine Veteranenorganisation als politischer Akteur und ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus


Autor(en)
Werberg, Dennis
Reihe
Zeitalter der Weltkriege
Erschienen
Anzahl Seiten
X, 407 S.
Preis
€ 49,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sebastian Elsbach, Lehrstuhl für Politische Theorie und Ideengeschichte, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Die Dissertation von Dennis Werberg entstand am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr und befasst sich mit dem größten der rechten Wehrverbände der Weimarer Republik: dem Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten. Nach dem schnellen Erscheinen von gleich drei Dissertationen zum Stahlhelm in den Jahren 1966 und 1967 war es für lange Zeit sehr ruhig um dieses Thema. Es erschien zwar eine kleine, wenn auch inhaltlich beachtliche Anzahl von Aufsätzen, Buchkapiteln und Lexikonbeiträgen (S. 3–5), aber erst Werberg liefert eine Monographie, die deutlich über das 1966 veröffentlichte Standardwerk von Volker R. Berghahn hinausgeht.1

Eine komplette Neuerzählung der Organisationsgeschichte des Weimarer Stahlhelms betreibt Werberg dabei nicht. Vielmehr geht es ihm um die Erweiterung des bisherigen Wissensstandes auf drei Feldern, und zwar der Ideen-, der Sozial- und der bundesdeutschen Nachgeschichte des Wehrverbandes, wobei organisationsgeschichtliche Einordnungen nicht fehlen. Leitthema ist die Abgrenzung zwischen Stahlhelm und Nationalsozialismus als Ideologie, Bewegung und Regime. Hinter Werbergs Forschungsausrichtung stehen zwei quellenbedingte Gründe, um der Frage nach dem Bedarf einer neuen Monographie zuvorzukommen: Es war eine Besonderheit der Studie Berghahns, dass er auf Material aus dem DDR-Zentralarchiv zugreifen konnte, was vor oder nach ihm keinem westdeutschen Historiker gewährt wurde, der sich mit einem der Wehrverbände der Weimarer Zeit befassen wollte. Hinzu kommt, dass die Hauptüberlieferungen des Stahlhelms im Gegensatz zu anderen Wehrverbänden wie des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, der Sturmabteilung (SA) oder des Roten Frontkämpferbundes überhaupt erhalten sind. Werberg stützt sich in seiner Studie weniger auf die im Bundesarchiv befindlichen Akten der Stahlhelm-Bundesleitung, sondern auf bayerische Archivbestände sowie weitere kleinere Bestände (S. 9 u. 12f.). Dieser Umweg über süddeutsche Archive ist in der Weimarforschung etabliert und wurde jüngst von Jan-Philipp Pomplun in seiner Studie über die Freikorps erkenntnisbringend beschritten.2

Um den Stahlhelm vom Nationalsozialismus abzugrenzen, greift Werberg auf die positivistische Definition des Faschismus als palingenetischer Ultranationalismus (S. 28f.) von Roger Griffin zurück, was den Vorteil hat, dass die Ideologie des Stahlhelms genauer bestimmt werden kann als bisher. Berghahns Zuordnung der Stahlhelm-Ideologie als Teil des „Neuen Nationalismus“ (S. 27) ist demgegenüber weniger aussagekräftig. Parafaschismus beschreibt das Paradox, dass der Stahlhelm zwar die Weimarer Demokratie strikt ablehnte, ihre Beseitigung forderte und förderte, aber anders als die Nationalsozialisten keinen revolutionären Umsturz der bestehenden Ordnung befürwortete. Quasi auf evolutionärem Wege sollte die Errichtung eines autoritären Staates in Form einer Entmachtung des Parlamentes zugunsten des Reichspräsidenten vonstattengehen (S. 341f.) und so kam es auch. Im Stahlhelm mischten sich national-konservative und faschistische Vorstellungen, denen zufolge die Institutionen und Werte des Kaiserreiches trotz Kriegsniederlage und Novemberrevolution 1918 zu bewahren seien, aber hierfür eine „nationale Wiedergeburt“ gefordert und der Rückgriff auf vermeintlich ewige Mythen über deutsche Rasse und Nation gepflegt wurden (S. 53–57). „Parafaschismus“ ist insofern nicht als inhaltliche Relativierung zu verstehen, sondern als Aussage über die politische Methodik. Die aus dem Militärjargon entnommenen Ideologeme des Stahlhelms („Tempo 114“, „Richtmann“, „Verdun“ usw.) sind nicht ohne Weiteres verständlich und Werberg leistet mit ihrer Erläuterung ideengeschichtliche Grundlagenarbeit.

Der Stahlhelm war mit seinen rund 500.000 Mitgliedern vor 1933 die größte Sammelbewegung der außerparlamentarischen Rechten und als solche sehr heterogen aufgestellt, wie Werberg betont. Die beiden Bundesführer Franz Seldte (DVP) und Theodor Duesterberg (DNVP) verkörperten nicht nur verschiedene Idealtypen des kaiserlich-preußischen Soldaten – Seldte der schwer kriegsversehrte Frontsoldat, Duesterberg der gewandte Generalstabsoffizier –, sie repräsentierten auch verschiedene Grundströmungen des geradezu föderal organisierten Stahlhelms, die nicht immer einfach in Einklang zu bringen waren. Die Organisation oszillierte im parteipolitischen Spektrum zwischen DVP und NSDAP und präsentierte sich mal als eher traditionalistischer Kriegerverein, mal als aktivistischer Kampfbund (S. 109). Dieser überparteiliche Ansatz des Stahlhelms war besonders Mitte der 1920er-Jahre sehr erfolgreich und wurde im Reichsbanner bewusst für das demokratische Spektrum adaptiert. Während von den rund 1,5 Millionen Mitgliedern des Reichsbanners etwa zwei Drittel im Ersten Weltkrieg gedient und sich somit die Mehrheit der politisch aktiven Kriegsteilnehmer der Republik zugewandt hatte, verstand sich der kleinere Stahlhelm als elitäre Vereinigung, in der die obersten Führungspositionen für ehemalige Offiziere reserviert waren und der stolz auf die engen Kontakte zur Reichswehr und Reichspräsident Hindenburg war. Werberg kann anhand der Akten des bayerischen Stahlhelms belegen, dass in mittleren Führungspositionen sowie bei den einfachen Mitgliedern zahlreiche Vertreter der bürgerlichen Mittelschicht und Handwerker zu finden waren und der Stahlhelm breiter in der Gesellschaft verankert war als bislang angenommen (S. 127f. u. 138). Im Stahlhelm konnten trotz des demokratischen Umfeldes der Republik gesellschaftliche Hierarchien des Kaiserreiches erhalten und rechtsgerichteten Veteranen eine sinnstiftende Deutung ihres Weltkriegserlebnisses ermöglicht werden. Wenn man das Trommelfeuer der feindlichen Artillerie in den Schützengräben an der Somme stoisch erduldet habe, dann könne ein echter Mann auch das politische Chaos der Demokratie mit Leichtigkeit überstehen, bis sich die vermeintlich natürliche Ordnung der Dinge wieder einrichte, so – spitz zusammengefasst – eine im Stahlhelm verbreitete Logik.

Das Manövrieren des Stahlhelms im rechten Spektrum der Weimarer Republik und während der Konsolidierungsphase des NS-Regimes bis 1935 bildet einen gesonderten Hauptteil des Buches, in dem Werberg seine Grundthesen testet. Die verschiedenen Dimensionen des Konkurrenzkampfes zwischen dem Stahlhelm und dem Nationalsozialismus um die Führungsposition im rechten Lager kann Werberg überzeugend darstellen. Weniger klar ist seine These, dass sich dieser Konkurrenzkampf ab 1931 zu einer „erbitterten Feindschaft“ (S. 344) ausgewachsen habe. Werberg lässt in seinen Betrachtungen die Dimension der politischen Gewalt fast vollständig außen vor. Dies hat zur Folge, dass er aus einzelnen Schlägereien und Bedrohungen von Stahlhelmfunktionären sowie einzelnen (sicherlich wertvollen) Ego-Dokumenten eine „Feindschaft“ konstruiert, die so nicht bestand, wenn die Maßstäbe der späten Weimarer Republik angelegt werden. Die Stahlhelm-Mitglieder waren praktisch nie in ernsthafte körperliche Auseinandersetzungen mit Nationalsozialisten verwickelt, sondern kooperierten bei verschiedenen Gewaltaktionen gegen Kommunisten oder Reichsbannermitglieder.3 Wie Berghahn bereits 1966 darlegte, konkurrierten die Stahlhelmer mit den Nationalsozialisten, aber sie waren keine Feinde.

Der Stahlhelm war als Sammelbewegung in mehrere Richtungen politisch anschlussfähig und es ist eine Ironie dieser Geschichte, dass es dem eher gemäßigten Seldte gelang, sein Segel günstig in den politischen Wind zu setzen und den radikaleren Duesterberg auszubooten. Unterstützt wurde er durch die betont staatstreue und ordnungsliebende Gesinnung der gemäßigten Stahlhelmer, aber auch durch die antisemitische Hetze der Nationalsozialisten gegen Duesterberg, dessen Großvater vom Juden- zum Christentum übergetreten war. Im Kabinett Hitlers besetzte Seldte den Posten des Arbeitsministers, und zwar über die gesamte Dauer des NS-Regimes, während sich Duesterberg ins Privatleben zurückzog. Diese ambivalente, aber letztlich vollständige Integration des Stahlhelms in den NS-Staat erfolgte 1935 im Rahmen des Aufbaus der Wehrmacht. Er war somit die letzte politische Organisation im „Dritten Reich“, die legal bestand, ohne unverwechselbarer Teil des Nationalsozialismus zu sein. Das war für die Gesamtorganisation und speziell den Seldte-Flügel ein großer Erfolg, auch wenn es einzelne Stahlhelmer nicht so empfunden haben mögen, die etwa bei der Verteilung von Posten leer ausgingen (insbesondere S. 258–264), mit der SA in Konflikt gerieten oder sich an diesem oder jenem Ideologem der Nationalsozialisten rieben. Dem Stahlhelm kam für die Etablierung des Regimes eine wichtige Ventilfunktion zu, da seine Existenz über den totalitären Charakter des Regimes hinwegtäuschen konnte. Selbst zahlreiche Mitglieder des ab März 1933 verbotenen Reichsbanners versuchten im Stahlhelm zu „überwintern“. Wenn die These der „Feindschaft“ zum Nationalsozialismus weiter diskutiert werden soll, dann wären Ausführungen über das Verhältnis des Stahlhelms zum Antisemitismus, dem deutschen Judentum (insbesondere dem Reichsbund jüdischer Frontsoldaten) und dem Widerstand gegen das NS-Regime zweckdienlich. Der von Werberg häufig zitierte Führer des bayerischen Stahlhelms – Otto von Waldenfels – schloss sich denn auch dem bürgerlichen, passiven Widerstand an, wie Manuel Limbach in seiner 2019 erschienenen Studie zeigt, die Werberg wohl nicht mehr einbeziehen konnte.4

Sehr instruktiv ist auch der letzte Hauptteil über die Nachgeschichte der Organisation. Es ist im positiven Sinne schockierend zu erfahren, dass die noch lebenden Mitglieder der Weimarer Stahlhelm-Führung nicht nur ernsthaft versuchten, praktisch dieselben Organisationsstrukturen mit denselben Aktionsformen erneut aufzubauen, sondern dass sie hierbei insbesondere in der Adenauer Ära vom Bundeskanzleramt, dem Bundesinnen- und dem Bundesverteidigungsministerium unterstützt wurden (S. 317f.). Es kam mit rund 40 Jahren Verzögerung zu einer Wiederholung der Geschichte des Weimarer Stahlhelms, der 1918/19 als regierungstreue Schutztruppe gegründet wurde, um sich dann schrittweise zu radikalisieren und schließlich aufzulösen. In den 1950er-Jahren erhielt der wiedergegründete Stahlhelm finanzielle Zuwendungen von der CDU-geführten Regierung und veranstaltete politische Schulungskurse mit ehemaligen und aktiven Bundeswehroffizieren. Zwar erfolgte all dies auf einem quantitativ sehr viel niedrigerem Niveau als in Weimarer Zeiten, aber zum Höhepunkt des bundesdeutschen Stahlhelms hatte die Organisation etwa 40.000 Mitglieder, deren Zahl bis Ende der 1960er-Jahre rapide abnahm (S. 323f.). Der Stahlhelm war somit in der Gründungsphase der Bundesrepublik ein zentraler Akteur des außerparlamentarischen Rechtsextremismus, und erst Mitte der 1960er-Jahre wurden nach öffentlichen Protesten die Verbindungen der Regierungsstellen zum Stahlhelm gekappt. Um diesen Druck zu verstärken, wurde Berghahn vermutlich Akteneinsicht in der DDR gewährt. Den ideologischen, symbolpolitischen und organisationsgeschichtlichen Kontext dieser faszinierenden Entwicklung arbeitet Werberg anhand von Beständen des Bundesverfassungsschutzes heraus. Das „Bonn ist nicht Weimar“-Narrativ muss angesichts dessen relativiert werden, wie Werberg abschließend feststellt (S. 348).

Werbergs methodisch wie formell überzeugende Arbeit steuert Bedeutendes zur Erforschung der Weimarer Republik und ihrer Position in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts bei. Insbesondere sein Ansatz, den Stahlhelm als parafaschistische Organisation zu deuten, ist ausgesprochen förderlich und hilft, viele jener Untiefen zu umschiffen, in denen andere Arbeiten zur nicht nationalsozialistischen Rechten Schaden genommen haben. Ein quellenbedingter Bias kann von Werberg nicht immer vermieden werden, aber wer in dieser Sache gänzlich schuldfrei ist, möge den ersten Stein werfen. Dies schmälert nicht den Ertrag der Dissertation, die nicht in allen Fragen das bisherige Standardwerk Berghahns ersetzt, aber wertvolle Perspektiverweiterungen zu einem lange vernachlässigten Thema bietet.

Anmerkungen:
1 Volker R. Berghahn, Der Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten 1918–1935, Düsseldorf 1966.
2 Jan-Philipp Pomplun, Deutsche Freikorps. Sozialgeschichte und Kontinuitäten (para)militärischer Gewalt zwischen Weltkrieg, Revolution und Nationalsozialismus, Göttingen 2023.
3 Sebastian Elsbach, Gewalt, Prestige und der Schutz der Republik. Mikrosoziologie politischer Tötungsdelikte im Freistaat Preußen 1924–1930, in: ders. / Ronny Noak / Andreas Braune (Hrsg.), Konsens und Konflikt. Demokratische Transformation in der Weimarer und Bonner Republik, Stuttgart 2019, S. 171–193, hier insb. S. 184–189 u. 191.
4 Manuel Limbach, Bürger gegen Hitler. Vorgeschichte, Aufbau und Wirken des bayerischen „Sperr-Kreises“, Göttingen 2019.

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